14 | what the rules say

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Earline

Joas blickte genervt über meine Schulter hinweg. ,,Siehst du nicht, dass ich mich gerade mit Earline unterhalte?"

,,Natürlich habe ich das gesehen. Es sah bloß nicht so aus, als würde ihr das Gespräch besonders gefallen."

Ich fuhr herum. ,,Warum sollte es mir ni-", ich brach ab, als ich in Kadens blaue Augen blickte. Ihn hatte ich nun wirklich nicht erwartet. Er wirkte immer so distanziert und überlegen, dass es mich gewundert hatte, dass er mit Bethany so lange gesprochen hatte. Obwohl - die beiden passten vom Auftreten her ziemlich gut zusammen.

Joas zog die Augenbrauen zusammen, als er sah, wie wir uns anstarrten. Eigentlich starrte vor allem ich, Kaden sah eher amüsiert aus. ,,Verschwinde, Kaden."

Dieser ignorierte den braunen Lockenkopf vollkommen und musterte meine Gesichtszüge. ,,Earline also? Ein ungewöhnlicher Name."

Ich räusperte mich und sah zwischen den beiden hin und her. ,,Ahm- Ich denke, ich kann mich jetzt nicht mehr unterhalten. Ich bin die zweite und Colleen scheint endlich aus dem Wasser gekommen zu sein." Damit lächelte ich die beiden ein letztes Mal an und schlüpfte unter dem Arm von Joas durch, den er um mich gelegt hatte, ohne dass ich es so richtig wahrgenommen hatte.

Schnell verwarf ich den Gedanken an Kaden und Joas und versuchte mich auf den mir bevorstehenden Parcours zu konzentrieren, aber es gelang mir nicht wirklich. Ich wurde das Gefühl nicht los, dass Kaden gar nicht auf mich zugekommen war, weil er sich unbedingt mit mir unterhalten wollte - immerhin kannte er nicht einmal meinen Namen -, sondern weil er Joas reizen wollte. Und das hatte offensichtlich funktioniert.

,,Wenn das Startsignal ertönt, können sie loslaufen. Ich hoffe, Sie haben sich den Parcours gemerkt, denn der wird Ihnen nicht noch einmal erklärt. Wenn Sie mit allen Bällen getroffen haben, müssen Sie noch über die Ziellinie, sonst wird die Zeit nicht gestoppt. Alles klar?"

Ich warf der jungen Frau mit dem Headset auf dem Kopf einen kurzen Seitenblick zu und nickte. So wirklich hatte ich bei dem Parcours nicht zugehört, aber ich hatte gesehen, wie Colleen es gemacht hatte und so würde ich es dann wohl auch machen.

Die Frau mit dem Headset murmelte irgendetwas in ihr Mikrofon und kurz darauf ertönte ein lautes Tröten, was wohl meinen Start signalisieren sollte. Ich war alles andere als unsportlich, aber so wirklich etwas mit Fitness hatte dieser Parcours nichts zu tun. Den Schlammgraben überstand ich mit Leichtigkeit - das Geheimnis bestand darin, sich nicht zu tief sinken zu lassen, sondern sich so schnell wie möglich fortzubewegen.

Auch das Hindernis war kein großes Problem, aber leider verhakte sich mein Bein in eines der Netzen, an denen wir hochklettern mussten, was mich einige Sekunden kostete. Unter den ersten würde ich ohnehin nicht landen - immerhin standen am Start noch ziemliche Maschinen -, aber ins Mittelfeld sollte er reichen.

Nachdem auch das Hindernis überquert war, lief ich, so schnell ich konnte, zu dem Wasserhindernis. Der Balken, der einen über den Wassergraben führen sollte, war rund und drehte sich, wenn man ihn berührte. Hier war Ruhe und Konzentration angesagt. Aber auch schnell musste es gehen, immerhin würde sich die Rolle ansonsten unter den Füßen wegdrehen.

Ich tat den ersten Schritt auf den Holzbalken und lief dann mit federnden Schritten los, bedacht darauf, immer mittig zu bleiben. Das funktionierte auch ziemlich gut - bis es wieder auf festen Untergrund gehen sollte. Ich wurde zu übermütig und wollte den letzten Meter springen. Ups. Innerhalb einer Sekunde hing ich wie ein Klammeräffchen kopfüber unter dem Holsstamm.

Jetzt erst hörte ich die Stimmen und Rufe um mich herum. Während ich die anderen Hindernisse absolviert hatte, hatte ich mich vollkommen auf meinen Herzschlag konzentriert, aber nun hörte ich dei Anfeuerungsrufe von ein paar Ladys. Angelique war wahrscheinlich auch unter ihnen - trotz meiner Drohung.

Ich atmete einmal tief durch und konzentrierte mich wieder auf meine Aufgabe. So langsam ließ die Kraft in meinen Armen nach, schließlich hing ich hier nun schon beinahe zwanzig Sekunden und alle Versuche wieder auf die Beine zu kommen, halfen nichts. Also entschied ich in dieser Haltung weiterzumachen. Schließlich hatte nie jemand verboten den Balken kopfüber zu überqueren. Nun war ich am Ende angekommen und schaffte es geschickt mich auf das Endpodest zu hangeln. Als ich endlich wieder auf meinen Beinen stand, atmete ich erleichter aus. Durch diese Aktion hatte ich ziemlich viel Zeit verloren - Bye, Mittelfeld -, aber wenigstens hatte ich es geschafft.

Schell lief ich zur letzten Station, warf die drei Bälle mit dem ersten Versuch in das aufgebaute Ziel und überquerte die Ziellinie. Augenblicklich kam Blair auf mich zugerannt. ,,Das war der Hammer! Also wirklich Earline, soetwas hätte ich ja gar nicht von dir erwartet. Nicht besonders gut zwar, aber sehr schlau, das muss man dir lassen."

Ich stütze meine Hände auf die Oberschenkel und grinste. ,,Was ein großes Lob, Blair, vielen Dank."

Sie zuckte nur lächelnd mit den Schultern. ,,Du kennst mich doch. Ich werde dir gleich mal zeigen, wie es richtig geht. Aber wirklich: Sehr kreativ."

Immernoch mit einem Lächeln auf den Lippen blickte ich zum Start, wo eigentlich die nächste Lady stehen sollte, aber dem war nicht so. Da erst bemerkte ich, dass sich alle Leute von der Filmcrew und dem Organisationsteam irritiert ansahen und berieten. Gab es technische Probleme?

Die junge Frau mit dem Headset kam auf mich zu und schob Blair von mir weg. ,,Ihr Lauf kann leider nicht gewertet werden, Earline. Sie haben das Hindernis kopfüber überquert und das ist gegen die Spielregeln."

Ich sah sie entgeistert an. ,,Wie bitte? Es hat nie jemand gesagt, dass man nicht hangelnd über den Fluss kommen darf. Woher sollte ich wissen, dass es verboten ist?"

Sie schürzte die Lippen. ,,McKenna hat ausdrücklich gesagt ,über den Stamm laufen'. Ich dachte, da besteht keine Missverständnisgefahr."

,,Ja, aber sie hat nicht gesagt, dass alles andere verboten wäre. Ich würde gerne persöhnlich mir ihr sprechen", sagte ich und trat selbstbewusst einen Schritt vor.

,,Das ist nicht möglich. Gehen Sie bitte zu Colleen ins Studio, um den zweiten Teil zu absolvieren - vielleicht haben Sie ja noch eine Chance." Ihr Tonfall verriet, dass sie nicht auf eine Chance für mich hoffte.

Gerade wollte ich widersprechen, als eine mir sehr bekannte Stimme hinter uns erklang. ,,Nicht nötig, Hanna. Ich regle das schon. Tragen Sie sich bitte die gestoppte Zeit von Miss Lancester ein und lassen Sie das nächste Mädchen starten."

Hanna sah so aus, als wolle sie widersprechen, aber als auch sie erkannte, dass es sich um die Königin handelte, nickte sie bloß und machte sich eine Notiz auf ihrem Klemmbrett. Ich wirbelte zu der Königin herum und wusste nicht, ob ich lächeln sollte.

Sie zog eine Augenbraue hoch und lachte schließlich. ,,Nichts? Nicht einmal ein Danke?"

Ich zuckte mit den Schultern. ,,Ich bin mir sicher, dass Sie das nicht gemacht haben, weil Sie mich so schrecklich sympathisch finden, also: Nein, ich schätze nicht."

,,Da haben Sie wohl recht", sagte sie und ich konnte nicht sagen, ob ihr Lächeln immer noch echt war. Wenn nicht, konnte sie es sehr gut spielen. ,,Es hatte einen weitaus persöhnlicheren Grund."

Ich stand unentschlossen da, nicht wissend, ob ich nachfragen sollte, aber das blieb mir erspart.

,,Ich befand mich vor einigen Jahren in einer ähnlichen Situation. Ich habe die Königin angefleht, mich die Prüfung wiederholen zu lassen und sie hat nur gelächelt und verneint", ein Schmunzeln erschien auf ihren Lippen, ,,Ich habe es auch ohne eine alberne Prüfung geschafft, aber irgendwie hatte ich das Gefühl, Sie würden sie brauchen."

,,Weil ich Ihnen nicht sympathisch genug bin, als dass einer der vier mich mögen könnte?"

Sie lächelte nachsichtig. ,,Wenn ich nicht davon ausgehen würde, dass einer der vier Sie mögen könnte, hätte ich Ihnen nicht geholfen, Earline."

,,Aber-"

,,Und jetzt machen Sie, was Hanna gesagt hat und gehen Sie ins Studio. Ein Gespräch mit der Königin ist keine gültige Ausrede für eine Verspätung."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt