Wilhelmina I | Neuankömmling

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23 Jahre zuvor

„Ich kann es nicht erwarten", Wilhelmina seufzte und schloss dabei die Augen. In ihrem Kopf sah sie sich bereits mit ihm zusammen über die Wiesen schweben. Ohne Halt oder Ende.

Ihre beste Freundin lächelte und beobachtete sie amüsiert. Seit geschlagenen zehn Minuten warteten die beiden nun bereits darauf, dass Wilhelminas Traumpferd endlich ankommen würde. So lange hatte sie es sich gewünscht und vor einer Woche zu ihrem 20. Geburtstag hatten ihre Eltern sie dann damit überrascht.

„Ich auch nicht. Dann können wir nämlich wieder reingehen", Maera rieb sich ihre Oberarme, „Hätten wir uns bloß etwas übergezogen."

Wilhelmina hingegen schien die Kälte gar nicht zu bemerken. „Wir müssen unbedingt sofort einen Ausritt machen, Maer. Ich will ihn endlich sehen!"

Maera lachte. „Ich glaube, dass er erst einmal Ruhe brauchen wird. Immerhin wird er hierher geritten. Und das nur, weil du nicht noch einen Tag warten konntest."

Wilhelmina winkte ab. „Ach. Dann warten wir eben ein paar Stunden. Er muss sich hier auch erst einmal eingewöhnen. Oh, Maera. Ich freue mich so!"

„Ich weiß", neckte ihre beste Freundin sie, „Und das, obwohl du dir den wahrscheinlich temperemantvollsten Hengst aller Zeiten ausgesucht hast."

„Jetzt übertreibst du aber."

„Ich glaube, da hinten kommen sie. Ja, das ist Eamon."

Wilhemina folgte dem Blick ihrer Freundin und brachte für einen Moment kein Wort heraus.

„Luc ist jedenfalls entschlossen, ihm Marnieren beizubringen", Maera stieß sich von dem Gatter ab und kam auf ihre beste Freundin zu, welche wie gefesselt auf das herankommende Pferd samt Reiter starrte.

„Dem Pferd oder dem Typen?"

Maera drehte sich um und lachte, als sie ihrem Blick gefolgt war. „Gute Frage, vielleicht beiden. Ich wette jedoch, er hätte bei dem Hengst mehr Glück. Aber er sieht auch verdammt gut aus."

Wilhelmina drehte sich um. Erneut konnte sie nicht sagen, ob Maera von dem Pferd gesprochen hatte oder dem Mann, der auf ihm saß. Umwerfend waren sie alle beide.

Wilhelmina konnte nicht umhin, das Paar anzustarren, während sie immer näher kamen. Der Hengst - dunkel und gut gebaut, mit einem Feuer in den Augen, welches sie selbst aus der Entfernung erkennen konnte - testete seinen Reiter hin und wieder durch Bocksprünge und tänzelte hin und her. Trotz des kühlen Morgens war sein Fell verschwitzt und er sah gleichzeitig nervös und majestätisch aus.

Doch auch der Mann stand ihm in seinem Auftreten in nichts nach. Auch wenn Wilhelmina seine Worte nicht verstehen konnte, stellte sie sich seine wunderbare Stimme vor, mit der er auf das Tier einredete und es versuchte zu bändigen. Allein diese Vorstellung ließ alles in ihr rumoren. Freude, Aufregung, sagte sie sich, schließlich brachte er ihr ihr langersehntes Pferd. Doch als er immer näher kam, wurde aus dem Rumoren ein regelrechter Aufruhr. Der Mann war dermaßen attraktiv, dass sowohl ihr Magen als auch ihr Herz Alarm schlugen.

„Wer ist das?", hörte sie sich selbst fragen, doch hörte schon gar nicht mehr richtig auf die Antwort ihrer Freundin.

Alles an ihm war anziehend. Sein Haar in der Farbe von dunklem Karamell - nicht rot, nicht braun - wehte im leichte Wind in alle Richtungen. Er trug eine grobe Jacke, eine ausgeblichene Jeans, abgewetzte Stiefel, und das alles passte zu seinem herben und doch so attraktiven Gesicht. Um das ausgeprägte Kinn und den Mund spiegelte sich der kaum gebändigte Ärger, als der Hengst wieder herumbockte. Eine dünne Narbe verlief durch seine linke Augenbraue. Wilhelmina wusste nicht wieso, aber diese Narbe machte sie auf einmal ganz kribbelig. Wie konnte es sein, dass sich alle diese Merkmale in einer Person so perfekt vereinten?

„Oh, er scheint schlechte Laune zu haben, unser Eamon. Gewöhn dich besser dran. Das kommt, weiß Gott, oft genug vor." Maera trat vor und rief: „Na, der schenkt dir aber nichts, was?"

„Hat versucht mich zu beißen. Zweimal. Der Satan. Wenn er das noch einmal versucht, soll er mich erst einmal kennenlernen."

Während Eamon näherkam tänzelte das Pferd und legte die Ohren an. Es schien seinen Reiter erneut vom Rücken werfen zu wollen. „Für den bringe ich Luc noch um."

Wilhelmina rümpfte unschicklich die Nase. „Ich bin für ihn verantwortlich, falls Sie das meinen. Luc ist nur meinen Anweisungen gefolgt."

Der Mann wandte seinen Blick ihr zu und hob eine Augenbraue, als wäre sie ihm gerade erst aufgefallen. Zwar waren sie sich noch nie zuvor begegnet, doch er musste zweifellos wissen, wen er gerade vor sich hatte. „Er ist kein Reitpferd", stellte er abschätzig klar, „Wir werden ihn vielleicht für die Zucht einsetzen können, doch nicht um .. Reitstunden zu erteilen."

Wenn Wilhelmina überrascht oder empört über den Mangel an Respekt ihr gegenüber war, ließ sie es sich nicht anmerken. „Ich wäre auch nicht in bester Stimmung, wenn man mich von meinem zuhause weggerissen hätte. Er ist bloß sauer und das will er uns zeigen."

Eamon schwang sich von dem Pferd herunter und fasste die Zügel kürzer. „Ach, ist das so? Na dann ist es ja nicht so schlimm." Ohne sie eines Blickes zu würdigen nickte er Maera zu, welche sich dem Tier widmete und es unter Mühen in Richtung der königlichen Stallungen führen konnte.

„Sie wollen ihn in den Stall bringen?"

„Ich habe jedenfalls nicht vor, ihn in einem Hotel unterzubringen."

„Ich hatte eher an die Weide gedacht", ungerührt verschränkte die Kronprinzessin ihre Arme, „Und da ich die Besitzerin bin, habe ich das auch zu entscheiden."

Ihr Gegenüber zog die rechte Augenbraue hoch, die mit der kleinen Narbe. „Und Sie sind in der Lage darüber ein Urteil zu fällen?"

„Ich werde ihn reiten, also werde ich wohl auch in der Lage-"

„Sie werden ihn nicht reiten", fiel er ihr ins Wort, „Ich dachte, das hätte ich deutlich gemacht."

„Und ich dachte, ich hätte deutlich gemacht, dass ich das selber zu entscheiden habe", gab sie scharf zurück. Ein Tonfall, welcher normalerweise keinen Widerspruch geduldet hätte.

Er schwieg für einen Moment und zuckte dann mit den Schultern. „Ich hoffe, sie können fallen."

„Ich werde nicht fallen."

„Maera wird es mir übel nehmen, wenn Sie im Krankenhaus landen."

Wilhelmina lächelte und schlüpfte an ihm vorbei, um den Weg zu den Stallungen einzuschlagen. „Sie haben doch wohl keine Angst vor Maera."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt