42 | wartimes

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Earline

Je länger wir damit Zeit verbrachten, das Zimmer zu durchstöbern, desto größer wurde mein schlechtes Gewissen. Ich wollte Angel nichts vorenthalten, besonders da sie mir bei der Suche nach meiner Schwester half und dabei viel aufs Spiel setzte.

Und dennoch konnte ich ihr nicht anvertrauen, was ich von dem Königspaar erfahren hatte. Der Brief, den ein Page mir beim Frühstück überreicht hatte, brannte förmlich auf meiner Haut. Ich hatte ihn eilig in meinen Ärmel gesteckt, damit die anderen keine Fragen stellen konnten.

„Ich weiß gar nicht, was ich erwarte zu finden", seufzte ich und drehte mich zu meiner Freundin um, „Nur weil meine Schwester früher Lavender genannt wurde, bedeutet das noch lange nicht, dass sie nun unter diesem Namen als Zofe angeheuert hat."

Was ich nicht aussprach, waren die seltsamen Dinge um den Namen Wilhelmina, die einfach keinen Zusammenhang zu haben schienen und mir doch merkwürdig vorkamen. Die Tochter des Königspaares, ihre Uhr in meiner Jackentasche, die Gravur mit ihrer Unterschrift, die Tür mit dem Namen, meine Schwester, die im Schloss arbeiten sollte, aber niemand sie zu kennen schien.

Ich wollte einfach nicht aufgeben. Elea musste hier sein. Ich könnte meinen Eltern nicht unter die Augen treten, bevor ich sie nicht wiedergefunden hatte. Ich würde es keine Sekunde länger in unserem Haus aushalten.

„Alles könnte ein Hinweis sein", erwiderte Angelique diplomatisch, „Ein Bild, ein persönlicher Gegenstand, ein Taschentuch."

Während sie weiter in einer Kommode herumstöberte, konnte ich den Blick nicht von ihr abwenden. Schlechtes Gewissen nagte an mir. Ich musste es ihr sagen. Sie gab sich so viel Mühe für mich, doch.. ich wollte es nicht wahrhaben. Diese Suche war alles, woran ich mich festklammern konnte.

„Ich finde, wir sollten für heute aufhören. Es ist nicht sicher hier", erinnerte ich sie, „Das Schloss steht unter Beschuss."

„Ich habe dir doch bereits gesagt, dass wir nicht in Gefahr sind", Angel drehte sich zu mir um, „Die Rebellen interessieren sich nicht für uns. Sie werden uns nichts tun."

Ich runzelte die Stirn. „Aber warum? Ich habe unzählige Berichte gesehen, in denen von Toten von Anschlägen erzählt wurde. Die Rebellen sind bestialisch!"

„Lenk nicht vom Thema ab", wies sie mich zurecht und tat so, als wäre sie vollkommen im Durchsuchen einer Schublade vertieft.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. „Ich bin hier nicht diejenige, die ablenkt. Ich verstehe es einfach nicht. Wir standen doch beide da, Angel! Wir waren kurz davor zu sterben!"

Angel seufzte. Es schien ihr zu widerstreben, was sie als nächstes sagte. „Earline.. Die Rebellenanschläge sind nicht wirklich. Sie sind inszeniert."

Ich öffnete meinen Mund und schloss ihn sogleich wieder. „Wie bitte?!"

„Die Rebellenanschläge-", fing Angelique erneut an, doch ich brachte sie mit einem Kopfschütteln zum Schweigen.

„Ich habe dich schon verstanden", sagte ich eilig, „Aber.. wie kann das sein? Ich verstehe gar nichts mehr."

„Die Rebellen werden von Menschen gespielt, die von dem Königshaus dazu angeheuert werden", erklärt sie ruhig, „Ich kann verstehen, dass dich das überrascht, aber-"

Ich lachte spöttisch, immer noch ungläubig darüber, was Angelique mir gerade versuchte zu erklären. Überrascht war wohl die Untertreibung des Jahrhunderts. Es konnte nicht sein. Ich fühlte mich, als würde ich mein Leben lang betrogen worden. Mein ganzes Leben war eine Lüge! In jedem Buch oder gutem Film erfährt der Hauptcharakter einen solchen Moment, nicht wahr? Dieser Moment, wenn das unscheinbare Mädchen erfährt, dass sie eine Elfenprinzessin ist. Oder adoptiert und Kind eines reichen Popstars.

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt