Wilhelmina XXIV | Stille

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23 Jahre zuvor

„Ich bewundere Ihr Talent wirklich sehr. Sie haben ein gutes Händchen, was Pferde angeht." Gadriel und Wilhelmina ritten nebeneinander über die anliegenden Wiesen. Wilhelmina hatte für ihren Begleiter den ruhigen Jourdan gesattelt und für sich selbst eines ihrer Pferde, die sie anzureiten begonnen hatte. Alastar war an diesem Morgen unruhig gewesen und sie hatte nicht die Geduld oder Nervenstärke aufbringen können, sich mit ihm auf diesem Ausritt herumzuplagen. So sehr sie ihren Schatz auch liebte - er war kein einfaches Pferd und sie nicht in bester Stimmung, was sie nicht an ihm auslassen wollte.

„Ja, das höre ich häufiger Mal", murmelte sie abwesend. Sie wollte wirklich nicht unhöflich sein, immerhin mochte sie Gadriel und hatte sich auf einen entspannten Ausritt mit ihm gefreut. Aber nach der Bombe, die Eamon an diesem Morgen im Auto hatte platzen lassen, war sie zu sehr in Gedanken bei ihm.

Eamon trug adeliges Blut in sich. Seine Mutter war abgehauen, als Fenna und er noch klein waren Ihr Vater hatte sie geschlagen und misshandelt. Wilhelmina wusste nicht, welches dieser Tatsachen sie mehr schockierte. Entscheidend war jedoch, wie Eamon mit ihnen umging und das tat er in einer nicht besonders gesunden Weise. Er kompensierte seine Gefühle in einer kalten Fassade, Arbeit und Ablenkung und stellte sich deinen Problemen nicht gegenüber.

Gadriel lachte. „Sie scheinen mit Ihren Gedanken ganz woanders zu sein. Wollen Sie mich in diese Fantasielandschaft einladen?"

Wilhelmina blinzelte verwirrt und sah ihn schräg von der Seite an. Bisher war Gadriel stets zurückhaltend und höflich gewesen, was sie als angenehm empfunden hatte. Er hatte ihr Raum gelassen, sich auf die anderen Dinge in ihrem Leben zu konzentrieren und sie nicht bedrängt. Im Nachhinein fiel ihr auf, wie unhöflich sie sich selbst ihm gegenüber verhalten hatte und es noch immer tat: Während des gesamten Ausrittes dachte sie über einen anderen Mann nach und machte keine Anstalten, ihrem Gast etwas über die Landschaft zu erzählen oder nach seinem Zuhause zu fragen.

Dabei musste das sicher bezaubernd sein. Sie war nie zuvor in Jregon gewesen, was unter anderem an dem gespannten politischen Verhältnis der beiden Königreiche lag. Doch von Maera hatte sie nur Schönes von dem Land gehört. Ihr fiel auf, dass Gadriels Geschichte sie tatsächlich interessierte. Also schob sie alle sonstigen Gedanken bei Seite und setzte ein entschuldigendes Lächeln auf: „Ich habe gerade über Ihre Heimat nachgedacht. Erzählen Sie mir doch etwas darüber! Ähnelt Jregon Ilea sehr?"

Gadriel lachte, als wäre ihre Frage unglaublich banal. Doch zur gleichen Zeit schaffte er es, sich nicht für sie zu schämen. Es lag eine Wärme in seinem Blick, die bei Eamon nach außen hin nicht zu erkennen war. „Es kommt mir vor, als wären es zwei unterschiedliche Welten, in denen wir leben", berichtete er, „Ilea ist groß und grün. Voller Wälder, saftiger Wiesen und einer breiten Vielfalt an Flora und Fauna. Dagegen scheint mir Jregon beinahe ... öde."

„Tatsächlich?", fragte Wilhelmina überrascht, „Eine Freundin berichtete mir, es sei unglablich in Jregon! Sie habe nie zuvor solche Weiten und beeindruckende Gebirgsketten gesehen."

„Da muss sie maßlos übertrieben haben. Wahrscheinlich ist sie eine begeisterte Tänzerin - unsere Volkstänze sind nämlich das einzig Besondere an Jregon - oder vielleicht wollte sie sie auch nur eifersüchtig machen. Schließlich stand es nicht in Aussicht, dass sie jemals nach Jregon kommen würden."

Wilhelmina nickte seufzend. „Es ist eine Schande. Ich würde mir gern selbst ein Bild von diesen Tänzen machen. Tragen Sie dabei solch alberne Hüte und Trachten?", feixte sie und stellte sich den vornehmen Gadriel in einem Kostüm mit gemusterten Rock und Bommelmütze vor. Das würde sie wirklich zu gern einmal sehen.

Gadriel lächelte. „Ich hoffe, Sie rechnen nicht damit, dass ich mich sofort ins Kostüm schmeiße und vor Ihnen im Kreis hüpfe", er warf ihr einen kritischen Blick zu und stöhnte dann theatralisch, „Das tun Sie tatsächlich!"

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt