Wilhelmina XXVI | Grenzüberschreitung

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20 Jahre zuvor

„Maelle Schatz, Mami hat gerade keine Zeit. Gehst du schön mit Winfrey spielen?", Wilhelmina setzte ein angestrengtes Lächeln auf und drückte ihrer Tochter einen Kuss auf die Stirn. Dann warf sie dem Kindermädchen einen bedeutsamen Blick zu, dass sie im Laufe des Tages nicht gestört werden wollte.

Diese trat vor und ergriff eilig Maelles kleine Hand. „Komm Maelle. Wir können versuchen, Winfrey ein paar Tricks beizubringen. Das bringt doch Spaß, nicht?"

Die kleine Kronprinzessin verzog ihren süßen Schmollmund. „Aber Mami soll auch mitspielen!"

„Vielleicht ein anderes Mal, Spätzchen", erwiderte Wilhelmina und lächelte ihnen erschöpft hinterher, während sie zusah wie sich die hohe Eichenholztür zu ihrem Arbeitszimmer schloss.

Sie fuhr mit ihrer Hand durch die Haare und atmete tief durch. Der Berg an Arbeit, der auf sie wartete war bei Weitem nicht so erstrebendwert, wie es ein Nachmittag mit ihrer bezaubernden Tochter und dem neusten Familienzuwachs, eine niedliche Promenadenmischung Winfrey, gewesen wäre. Doch sie wusste, dass sie in die Rolle der Königin wachsen musste. Normalerweise erfolgte die Krönung des neuen Regenten sobald dieser geheiratet hatte. Doch Wilhelmina und Gadriel waren nun seit beinahe zwei Jahren verheiratet und bis jetzt hatte sie Gespräche über eine Trohnübernahme mit ihren Eltern stets abgewehrt.

„Ich bin einfach noch nicht soweit, Mom", hatte sie erst vor einigen Tagen zu Dena gesagt, als diese mal wieder an einem Abend an ihrem Zimmer geklopft hatte, um zu reden. Ihre Eltern machten ihr keinerlei Druck, doch dafür spürte sie den Druck von allen anderen Seiten. Es wurde von ihr erwartet, die Nachfolge ihrer Eltern anzutreten. Sie selbst wusste das. Und es machte die ganze Sache nicht besser, dass auch ihr Ehemann es in letzter Zeit immer häufiger angesprochen hatte.

Sie seufzte erneut tief und schob ihre Sorgen bei Seite. Sie durfte nicht erneut die gesamte Zeit an andere Dinge denken, während sie eigentlich einiges an Arbeit zu erledigen hatte. Sonst würde sie es erneut nicht zum Abendessen schaffen, all die Dinge vom Tisch zu schaffen, und Maelle erst ihren Gute-Nacht-Kuss geben können, wenn diese schon lang schliefen.

Gerade als sie sich daran gemacht hatte, die erste Akte durchzuarbeiten, klopfte es an der Tür. Vollkommen übertriebener Ärger stieg in ihr auf, den sie versuchte, herunterzuschlucken. „Ja?" Sie hatte dem Kindermädchen nun wiederholt gesagt, dass sie während ihrer Arbeit nicht gestört werden wollte.

Es war Gadriel. Sie setzte ein kleines Lächeln auf. „Ach du bist es."

Gadriel lachte, während er auf sie zukam und ihr eine Hand auf die Schulter legte. „Begrüßt man so seinen geliebten Ehemann?"

„Entschuldige", Wilhelmina streckte sich, um ihm einen kurzen Kuss zu geben, „Ich wollte mich gerade an die Arbeit setzen. Es ist mal wieder einiges heute."

Gadriel nickte. Er strich ihr mit einer Hand über das Haar. „Wie siehst du denn überhaupt aus? Dein Haar ist ja vollkommen zerzaust", er lachte, „Zum Glück steht heute kein wichtiger Besuch an."

Wilhelmina fuhr sich erneut durch ihre Haare und errötete leicht. „Ich werde mich gleich frischmachen gehen."

„Das solltest du", er nickte und drückte ihr einen Kuss auf den Kopf, „Ich bin so stolz auf dich, weißt du das, Wilhelmina? Du wirst eine wunderbare Regentin werden."

Das Lächeln auf ihrem Gesicht gefror. „Danke."

„Ich habe übrigens gerade Maelle mit dem Hund spielen sehen. Sie war vollkommen verdreckt. Das gehört sich nicht für ein Kind ihres Standes."

„Lass sie doch, Gadriel. Sie ist ein Kind."

Gadriel verzog missbilligend den Mund und tätschelte Wilhelmina dann den Kopf. „Ich werde mich darum kümmern." Damit verließ er den Raum. An der Tür hielt er noch inne und drehte sich um: „Du solltest deine Frisur wirklich richten. Nicht, dass du noch so gesehen wirst."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt