6 | königliche Gespräche

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Earline

Ich hetzte durch die endlosen Gänge des Schlosses, um doch noch rechtzeitig zur offiziellen Begrüßung zu kommen. Das kurze Gespräch mit der seltsamen Frau - übrigens mit dem Namen McKenna - hatte doch ein wenig länger gedauert und hatte auch einen anderen Ausgang gefunden, als gedacht. Zwar hatte sie mir den Weg zum Damensalon beschrieben, doch ich hatte noch nie den besten Orientierungssinn gehabt.

Gerade dachte ich, ich sei auf dem richtigen Weg, da kam ich an einen Ort, an dem ich schon einmal gewesem war. Als ich kurz vor dem Verzweifeln war, sah ich eine kleine Gestalt um die Ecke biegen. Ich seufzte erleichtert auf und lief zu ihr. Es stellte sich heraus, dass es eine Küchenhilfe war.

„Gut, dass du hier bist", sagte ich völlig außer Atem, „Du müsst mir helfen. Ich bin Earline und ich.."

„Sie sind eine Lady", stellte sie überrascht fest, „Was machen Sie hier?"

Ich wurde rot. „Ich hatte gerade ein Gespräch mit der Königin und..."

„Mit der Königin?", fragte sie verwirrt und erstaunt.

Ja, das hatte ich auch gedacht, als McKenna mich aufgeklärt hatte.

„Was soll ich denn hier?", fragte ich ungeduldig, nachdem McKenna mich in einen kleinen Raum geführt hatte, der definitiv zu fein für eine Abstellkammer, in der sie mich hätte kidnappen können, war.

„Das hier ist das Arbeitszimmer ihrer Majestät", erklärte sie mir und betrachtete belustigt meinen Gesichtsausdruck, „Nicht das offizielle, aber von Zeit zu Zeit zieht sie sich hierhin zurück."

Als ich meine Überraschung überwunden hatte, fragte ich: „Wer nutzt denn sein Arbeitszimmer als Rückzugsort? Das würde mich ja nur stressen."

„Haben Sie denn ein Arbeitszimmer, Earline?", fragte McKenna mit einem kleinen Lächeln.

„Nein", gab ich zu, „Aber ich stelle es mir stressig vor."

„Unsere Vorstellungen trügen nicht selten unsere Sinne", erwiderte sie.

Genervt drehte ich mich zu ihr um. „Kommen Sie mir jetzt nicht mit..." Erschrocken stellte ich fest, dass die Königin höchstpersönlich vor mir stand. „Oh."

Diese lächelte bloß geheimnisvoll. „Beenden Sie ruhig Ihren Satz, Earline."

„-mit irgendwelchen Lebensweisheiten", sagte ich und schluckte. Ich ließ aus, dass ich die Lebensweisheiten eigentlich noch hatte unnötig nennen wollen.

Die Königin lachte, was mich ziemlich verunsicherte. Machte sie sich über mich lustig? „Und dabei dachte ich, gerade Sie wären ein großer Fan von eben solchen."

„Wie kamen Sie zu dieser Annahme?", fragte ich überrascht.

„Behandelt andere, wie ihr selbst behandelt werden möchtet", zitierte sie mich, „War es nicht das, was sie uns heute Vormittag geraten haben? Meiner Meinung nach ist das definitiv eine Lebensweisheit."

McKenna rümpfte die Nase. „Wenn auch nicht gerade originell."

Die Königin lächelte. „Wohl war, aber eine Lebensweisheit muss nicht originell zu sein, um ihren Zweck zu erfüllen."

Ich schwieg für einen Moment. „Wurde ich deshalb herbestellt? Damit wir uns über Lebensweisheiten unterhalten können?"

McKenna schien das gar nicht lustig zu finden, denn sie warf mir einen ziemlich bösen Blick zu. „Zügeln Sie Ihre Zunge, Miss Lancester."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt