61 | verkehrte Welt

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Earline

Die Gedanken drehten sich in meinem Kopf.  Ich wagte es nicht, irgendwelche Vermutungen oder Theorien aufzustellen, was Elea betraf. Allerdings hatte ich das Gefühl, kurz vor dem Entschlüsseln aller Rätsel zu sein. Immer mehr Puzzlestücke boten sich mir dar, doch ich vermochte es nicht, sie vollständig zusammenzusetzen.

Was ich allerdings nun sicher wusste, war, dass Elea unmöglich die Tochter meiner Eltern sein konnte. Immerhin hatten sie sich erst zwei Jahre nach ihrer Geburt kennengelernt, wenn man den Erzählungen meines Vaters folgte. Doch was bedeutete das nun? War Elea die Tochter meiner Mutter oder die meines Vaters? Oder war sie wohlmöglich adoptiert worden?

„Wir sollten Ariella folgen", sagte mein Vater schließlich, nachdem wir einige Zeit geschwiegen hatten, „Ich weiß, dass du wahrscheinlich noch viele Fragen hast, aber hier ist nicht der richtige Ort für die Antworten."

„Wo ist dann der richtige Ort? Oder der richtige Zeitpunkt?", ich verschränkte die Arme vor der Brust, „Immerhin hattest du es bisher auch nicht eilig, uns davon zu erzählen."

Mir kam der Gedanke, dass meine Mutter natürlich ebenfalls davon gewusst haben musste, dass Elea nicht ihr eheliches Kind war. Ich fühlte mich doppelt betrogen. Mein Vater hatte mich enttäuscht und hintergangen, doch nun wurde mir bewusst, dass es beide Elternteile gewesen waren. Hatte Elea wohlmöglich auch davon gewusst? Und hatte sie vielleicht auch mehr über die Vergangenheit meines Vaters gewusst? Er hatte Recht: Ich hatte viele Fragen.

„Der Zeitpunkt und der Ort sind nicht jetzt", beharrte mein Vater ruhig, wobei ich auch das Unbehagen in seinen Zügen erkennen konnte, „Für den Moment weißt du genug. Wir werden später reden."

Ich wollte schon protestieren und mich nicht vom Fleck bewegen, bis ich nicht alle Antworten erhalten hatte, beschloss dann aber, schweigend mitzukommen. Wahrscheinlich war hier tatsächlich kein guter Ort und Zeitpunkt, um solche Dinge zu bereden. Mir schwirrte noch immer der Kopf voller Fragen, doch ich schob sie in eine hintere Ecke, um mich auf die Gegenwart zu konzentrieren.

Ariella wartete bereits bei den Stallungen und falls ihr die angespannte Stimmung auffiel, äußerte sie sich nicht dazu. Sie begann eine angeregte Unterhaltung mit meinem Vater, stellte auch mir einige Fragen und schien ziemlich überrascht zu sein, als ich erzählte, dass ich eine Lady gewesen war. Anscheinend bekam sie nicht sonderlich viel von dem Casting mit.

„Ich bin fast pausenlos hier im Stall und Zuhause haben wir zwar einen Fernseher, aber ich verbringe meine freien Abende ehrlich gesagt nicht damit, mir den Bericht anzuschauen", gab sie zu und lächelte schief, „Beim letzten Date habe ich allerdings einige Ladys kennengelernt, da sie gemeinsam ausgeritten sind."

Ich nickte abwesend. Natürlich hatte ich davon nicht gewusst, doch ich wollte Ariella nicht erklären, warum ich noch im Schloss war, jedoch nicht mehr am Casting teilnahm. Ich selbst verstand es nicht einmal vollkommen, wie sollte ich es ihr dann erklären?

„Von wegen hier hat sich nichts verändert", mein Vater musterte jede Einzelheit im Stall und begrüßte einige der Pferde. Es erstaunte mich, wie gut er mit den Tieren umgehen konnte.

Ariella lachte. „Es wurden immer ein paar Kleinigkeiten gemacht. Deswegen fallen mir die Veränderungen wahrscheinlich nicht so sehr auf."

„Gibt es immer noch das kleine staubige Büro?"

„Ja, tatsächlich. Allerdings ist es nicht mehr staubig, sondern ziemlich nett. Ich verbringe dort gern meine Pausen", Ariella war stehen geblieben, um einem Pferd die Blesse zu streicheln.

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt