19 Jahre zuvor
„Ist sie endlich bereit, mit uns zu kooperieren?" Erik, der Anführer der Rebellen, wandte seinen Blick den Neuankömmlingen zu. Er saß gemeinsam mit weiteren Führungsleuten um einen Tisch und schien in ein ernstes Gespräch verwickelt gewesen zu sein. Als zwei Wächter allerdings gemeinsam mit der Gefangenen im Zentralzelt erschienen waren, wandte er ihnen all seine Aufmerksamkeit zu.
Willow reckte ihr Kinn in die Höhe. In den letzten zwei Wochen, die sie sich nun mittlerweile bei den Rebellen aufhielt, war sie keineswegs schlecht behandelt worden. Allerdings hatte man sie stets von zwei Wächtern begleiten lassen, nachdem sie Erik bei ihrer ersten Begegnung beinahe an die Kehle gesprungen wäre.
„Sie würde sich gern unterhalten", erwiderte sie in ihrem besten herrischen Tonfall und blickte auf die anderen anwesenden Rebellen, „Unter vier Augen."
Erik hob interessiert die Brauen. „Du machst mich neugierig, Willow. Worum soll es sich bei dieser Unterhaltung denn drehen?" Ein paar seiner Freunde lächelten amüsiert.
Willow schnaubte innerlich. Sie wusste, dass er sich über sie lustig machte. Als Kronprinzessin war sie es gewöhnt, mit sämtlichen Titeln angesprochen und mit Unterwerfung behandelt zu werden. Erik hingegen duzte sie und versuchte sie, vor allen Anwesenden bloßzustellen. Doch Willow ließ sich nicht beirren. „Ich sagte allein."
Erik bedachte sie noch einige Augenblicke schweigend und nickte dann. „Ich hoffe, ihr entschuldigt mich für einen Moment", sagte er an die anderen gewandt. Willow riskierte einen kurzen Blick auf die Anwesenden und stellte erleichtert fest, dass Quinn nicht unter ihnen war.
Es hatte sie vollkommen aus dem Gleichgewicht gebracht, ihre gute Freundin bei der Ankunft bei den Rebellen zu sehen. Sie hatte in Quinns Augen ähnliches Entsetzen gesehen, wie sie es selbst gefühlt hatte. Wie konnte sie sich nur so in ihr getäuscht haben? Seit Maera sie einander vorgestellt hatte, war Quinn eine ihrer engsten Freundinnen gewesen. Seit ihrer Heirat mit Gadriel hatten sich die beiden etwas voneinander entfernt, doch sie hätte ihr noch immer ihr Leben anvertraut. Nun schien es, als läge ihr Leben tatsächlich in Quinns Händen. Zumindest unter anderem.
Willow sah auffordernd zu den beiden Wächtern, die sich im Gegensatz zu den Restlichen nicht in Richtung des Ausgangs bewegten. Erik lachte. „Du hattest doch nicht wirklich angenommen, dass ich auch deine Wächter wegschicke, oder? Nach unserer ersten Begegnung bin ich ein wenig... vorsichtiger. Das wirst du sicher verstehen." Er lächelte freundlich und Willow hätte ihm dieses Lächeln am liebsten aus dem Gesicht gewischt.
„Ich verstehe", erwiderte sie zischend und schluckte aufkommende Beleidigungen herunter. Normalerweise würde sie sich nicht als konfrontativ beschreiben, aber ihre natürlichen Abwehrinstinkte schienen in dieser Situation Überhand zu nehmen.
Erik schlug seine Beine übereinander und wies auf einen freien Stuhl ihm gegenüber. „Setz dich doch."
Willow schüttelte knapp den Kopf. Sie wollte sich nicht mit Erik auf eine Ebene begeben. Das Stehen gab ihr im Moment die nötige Distanz und Selbstsicherheit. „Ich stehe lieber", erwiderte sie, „Es wird nicht lange dauern."
Erik hob die Brauen und schien nun ehrlich interessiert daran zu sein, was sie zu sagen hatte.
„Ich möchte Ihnen einen Deal anbieten", begann sie und holte tief Luft, um seine erste Reaktion abzuwarten. Doch er lachte sie nicht aus oder wirkte misstrauisch, sondern lehnte sich entspannt zurück und wartete darauf, dass sie weitersprach.
„Ich werde ganz sicher nicht Teil dieser terroristischen Organisation werden", stellte sie zuerst klar, „Und ich werde Ihnen auch keine vertraulichen Informationen verraten."
Um Eriks Mund zuckte ein schiefes Lächeln. Wilhelmina hatte in der Zeit, die sie bei den Rebellen war, mit keinem Wort verraten, dass sie die Kronprinzessin war. Andersherum hatte sie auch niemand darauf angesprochen, aber es schien eine feststehende Tatsache zu sein. Natürlich konnte Quinn von allen am allerbesten ihre Identität bestätigen, dachte Willow bitter.
„Fahre fort", forderte Erik sie auf.
„Ich werde Ihnen nichts verraten", wiederholte sie stur, „Aber ich habe auch nicht vor, tatenlos hier herumzusitzen und weiterhin Ihre Gefangene zu sein."
Erik lächelte. „Ich habe gehofft, wir könnten es als Gastfreundschaft ansehen. Gefangene klingt so grob."
Willow schnaubte. „Machen wir uns nichts vor, Erik. Ihr haltet mich gefangen, weil ihr hofft, euch so einen Vorteil für zukünftige Anschläge auf unschuldige Leben zu bekommen. Ihr seht in mir soetwas wie einen Hauptgewinn und habt keinerlei Bestrebungen, mich jemals laufen zu lassen. Also red hier keinen Mist von Gastfreundschaft", fuhr sie ihn an und trat einen Schritt näher, „Du wirst mir jetzt genau zuhören. Ich bin nicht irgendwer. Meine Familie wird alles daran setzen, mich zu finden, und wenn sie es tun, wird hier nichts mehr so sein, wie es einmal war."
Für einen Moment herrschte eine angespannte Stille zwischen den beiden. Die Luft schien zu knistern und das einzige, was zu hören war, waren ihre schweren Atemzüge. Dann, erst leise glucksend, begann Erik zu lachen. „Du drohst mir, sieh an", brachte er zwischen Lachern hervor, „Das gefällt mir. Ich sehe definitv Potenzial in dir, Wilhelmina."
„Aber weil ich mein Schicksal nicht in die Hände anderer legen möchte", fuhr Willow wütend fort und ignorierte Eriks Hohn, „Werde ich selbst handeln."
„Bitte", erwiderte Erik amüsiert lächelnd, „Ich bin gespannt, was du zu sagen hast."
„Ich bin von Zuhause weggelaufen", erklärte Willow und verzog das Gesicht. Es klang, als wäre sie ein pubertierendes Mädchen und keine erwachsene Frau, die das Beste für ihre Familie und ihr Land entschieden hatte. „Ich habe keine Ambitionen jemals zurückzukehren. Deswegen müsst ihr nicht befürchten, dass ich über euren Aufenthaltsort oder sonstiges etwas verraten könnte."
„Davon gehe ich aus. So dumm schätze ich dich nicht ein."
Willow runzelte die Stirn. „Aber trotzdem werdet ihr mich nicht gehen lassen", stellte sie fest und versuchte, sich ihre Resignation nicht anmerken zu lassen.
Er schüttelte den Kopf. „Nein", bestätigte er, „Aber es klingt ohnehin nicht, als wüsstest du, wohin du gehen solltest."
Willow schwieg. Er hatte Recht. Sie hatte keinen Ort, an den sie gehen konnte, ohne erkannt und von ihrer Familie gefunden zu werden.
„Und deswegen möchte ich dir einen Deal anbieten", fuhr Erik fort. Das amüsierte Lächeln war von seinem Gesicht verschwunden und er blickte Willow ernst an, „Ich möchte dir zeigen, wie wir in unserer Gemeinschaft leben und was unsere Werte und Ziele sind. Ich möchte, dass du dich darauf einlässt und offen dafür bist. Wenn du danach noch immer gehen möchtest, werden wir dich gehen lassen."
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Blind Selection - never give up 3
FanfictionKaden. Joas. Lyndon. Decan. Einer von ihnen ist der Kronprinz von Ilea. 35 Mädchen kommen ins Schloss, um genau das herauszufinden. Doch zwischen Verrat, Druck, Schmerz und einer endlosen Suche ist es schwer sich auf das Wesentliche zu konzentrieren...