Wilhelmina IX | Mädchengespräche

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23 Jahre zuvor

„Ich soll dich von Fenna und Quinn grüßen." Der Unterton in Maeras Stimme sagte Wilhelmina, dass die beiden Mädchen ihr nicht nur Grüße bestellt hatten. Sie seufzte. Natürlich hatte sie gewusst, dass die Ereignisse des Abends sich rumsprechen würden, aber insgeheim hatte sie doch gehofft, davon verschont zu bleiben.

„Du hast davon gehört", stellte Wilhelmina fest und schrubbte ihren Sattel noch fester.

Die beiden Mädchen hatten sich einen Tag nach Wilhelminas Rückkehr im Stall verabredet, um sich auf den neusten Stand zu bringen und dabei ein paar Reitutensilien zu reinigen. Natürlich hätte es dafür Angestellte gegeben, doch in diesem Moment konnte Wilhelmina das Gartenhobby ihrer Mutter verstehen: Manchmal tat es auch gut, selbst Hand anzulegen.

„Natürlich habe ich davon gehört!", Maeras Stimme war eine Oktave höher geworden. Sie klang aufgeregt und etwas vorwurfsvoll. „Und nicht nur ich: Die Sache ist das Dorfgespräch."

Wilhelmina verdrehte die Augen und stöhnte auf. „Es war doch keine große Sache."

„Eine kleine Schlägerei auf einer Party ist zwar keine Seltenheit aber spricht sich doch schnell herum", erwiderte Maera, „Besonders wenn Eamon McGrath darin beteiligt ist." Sie sah ihre Freundin bedeutend an.

Ohne darauf einzugehen fuhr Wilhelmina fort, ihren Sattel zu säubern.

„Ich hätte gehofft, es von dir zu erfahren", fuhr Maera fort, „Auch von der Sache mit Kane."

Nun sah Wilhelmina doch auf. Sie schämte sich für ihren Kuss mit Kane. Sie hatte sich und allen anderen etwas beweisen wollen und das war gehörig nach hinten losgegangen. Sie war zu keiner Zeit in ernsthafter Gefahr gewesen, denn Tavis hätte sie sicherlich jede Sekunde aus der Situation gerettet. Und doch schämte sie sich dafür.

„Es ist doch keine große Sache", wiederholte sie matt.

Maera legte ihr Zaumzeug ab und trat einen Schritt auf ihre Freundin zu, um ihr eine Hand auf die Schulter zu legen. „Es ist eine große Sache, wenn jemand sexuell belästigt wird", sagte sie sanft, „Kane ist ein großes Arschloch, weswegen ich nicht sonderlich überrascht bin, dass er zu weit gegangen ist. Aber das heißt nicht, dass man es unter den Teppich kehren sollte."

Wilhelmina sah auf. „Ich sage das nicht, um seine Taten zu verharmlosen", beteuerte sie, denn das tat sie tatsächlich nicht. Sie hätte Kane am liebsten selbst eine reingehauen, wenn Eamon das nicht schon für sie übernommen hatte. „Aber ich kann einfach nichts machen, Maer. Soll ich zu meinem Papi rennen und ihn anklagen?"

Maera verzog den Mund. Natürlich wusste sie ebenfalls, in welch vertrakter Situation sich ihre Freundin befand. Würde sie ihre Stimme gegen Kane erheben, würde höchstwahrscheinlich ihre Identität auffliegen. Dann wüssten nicht nur ihre Eltern von ihrem nächtlichen Ausflug, sondern auch die ganze Welt. Das würde ihrem Ruf schaden und sie wahrscheinlich auch noch ihre neugewonnenen Freunde kosten.

„Er ist wirklich ein Mistkerl", meinte Maera und seufzte, „Das Gute an der Sache ist, dass er sich so etwas wahrscheinlich nicht noch einmal leisten wird. Der Typ macht vor nicht viel Halt, aber vor Eamon hat er dann doch Respekt."

Wilhelmina lächelte. Sie verstand noch immer nicht, warum Eamon das getan hatte. Natürlich hatte Kane es verdient, doch warum sollte er sich deswegen auf eine Schlägerei einlassen? Sie beschloss, Eamon bei ihrer nächsten Begegnung zu danken. Das war das Mindeste, was sie tun konnte.

„Hast du seitdem mit Eamon gesprochen?", hakte Maera nach.

Wilhelmina schüttelte den Kopf. „Er ist sofort abgehauen, nachdem es passiert ist. Und am nächsten Morgen sind wir nach Frankreich aufgebrochen. Ich werde Luc fragen, wann er hier sein wird."

Maera nickte zustimmend und sah dann zerknirscht aus. „Es tut mir übrigens leid, dass ich dich allein gelassen habe", meinte sie, „Wäre ich nicht abgehauen-"

„Das ist schon in Ordnung", versicherte Wilhelmina ihr, „Mach dir bitte keine Gedanken darüber. Fenna und Quinn haben mich direkt unter ihre Fittichen genommen."

Maera lächelte. „Die beiden sind wirklich schwer in Ordnung", stimmte sie ihr zu, „Fenna hat sich ganz oft für den unmöglichen Auftritt ihres Bruder entschuldigt. Er hat einen sehr ausgeprägten Beschützerinstinkt."

Wilhelmina lachte. „Das war nicht zu übersehen. Er hat sie weggezerrt, als wäre sie ein ungezogenes Kleinkind."

Die beiden lachten und nahmen dann wieder ihre Arbeit auf. Schwatzend und lachend arbeiteten sie sich durch zwei Garnituren Reitausrüstung und legten dann eine Pause ein, um sich etwas zu stärken. Wilhelminas Mutter war nach draußen gekommen, um nach den beiden zu sehen und hatte eine Erfrischung mitgebracht. Danach überließ sie die beiden wieder ihrer Zweisamkeit. Aber nicht ohne ihrer Tochter einen undefinierbaren Blick zuzuwerfen. Sehnsucht, Mitleid und eine Spur von Ungewissheit schwangen in ihm mit.

Wilhelmina wusste natürlich genau, was es damit auf sich hatte. Am Vortag hatte sie ihrer Mutter ihre Entscheidung, eine Selection zu veranstalten, mitgeteilt. Maera hatte sie dies noch nicht erzählt, da sie die Stimmung nicht kippen wollte. Sie würde den mitleidigen Blick ihrer Freundin nicht ertragen können. Nicht in diesem Moment. Also schwieg sie über dieses Thema und unterhielt sich stattdessen mit ihr über den aktuellen Dorftratsch, zu welchem sie selbst leider auch gehörte.

„Alle fragen sich, woher du auf einmal aus dem Nichts aufgetaucht bist. Es haben dich an dem Abend nur ein paar Leute wirklich wahrgenommen und die vagen Beschreibungen reichen nicht aus, damit sie deine wahre Identität kennen", versicherte Maera mir, „Aber ich weiß nicht, was ich Fenna und Quinn erzählen soll."

Wilhelmina nickte zögerlich. Natürlich hatte sie sich auch schon Gedanken darüber gemacht, wie sie mit der Situation umgehen sollte. Sie würde die Tatsache, dass sie die Kronprinzessin war, nur geheimhalten können, würde auch Eamon dichthalten. Sie notierte sich in ihrem Kopf, ihn auch darauf bei ihrer nächsten Begegnung anzusprechen. „Weiß Fenna denn nicht, dass ihr Bruder zeitweise hier arbeitet?", fragte sie, „Oder dass du mit der Kronprinzessin befreundet bist?"

Maera lachte. „Nun überschätz dich Mal nicht", stichelte sie, „Nein. Erstens bin ich mir ziemlich sicher, dass in Eamons Arbeitsvertrag eine Schweigepflicht enthalten ist. Immerhin ist er nicht ganztägig angestellt wie Luc, der auch hier wohnt. Und zweitens bin ich nicht doof genug, um so etwas in die Welt hinauszuposaunen. Die Mädchen wissen, dass ich hin und wieder wegen meines Vaters hier bin, aber mehr auch nicht."

Wilhelmina nickte. Natürlich hatten ihre Eltern alle nötigen Vorkehrungen getroffen.

„Ich würde mich trotzdem gern bald mit den Mädels treffen. Sie scheinen immerhin nicht zu wissen, wer ich bin", erwiderte sie entschieden.

Maera zog eine Augenbraue hoch. Sie schien nicht besonders überzeugt von der Idee zu sein. „Bist du sicher? Das ist ein ziemlich großes Risiko. Immerhin können wir das nicht hier machen, aber im Dorf ist die Gefahr hoch, erkannt zu werden. Gerade nach der Sache auf der Party."

Wilhelmina seufzte. „Ich weiß." Sie wollte nicht sagen, dass in wenigen Monaten ihre Selection beginnen und die ganze Welt sie kennen würde. Danach würden die beiden Mädchen kein Wort mehr mit ihr wechseln können oder wollen. „Bitte?", sagte sie also schließlich und setzte ein scheinheiliges Lächeln auf.

Maera seufzte. „Ich werde sehen, was sich machen lässt."

Wilhelmina grinste breit und umarmte ihre Freundin. „Du bist die Beste."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt