65 | Ich hasse Kellerasseln

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Earline

„Ich hätte gedacht, dass du mich nach fünf Metern fragst, wann wir endlich da seien." Ohne mich über ihre Schulter hinweg anzusehen, stapfte Maelle einige Meter vor mir durch das Dickicht und ließ mir dabei nicht selten einen Ast ins Gesicht fallen. Ich war mir nicht sicher, ob sie mit Absicht keine Rücksicht auf mich nahm oder tatsächlich nicht daran dachte, dass ihre zurückgeschobenen Äste mich würden treffen können. Doch ich machte sie nicht darauf aufmerksam.

„Du bist die Prinzessin von uns beiden, schon vergessen?" Ich ächzte, als mich erneut ein Ast streifte. Mein gesamtes Gesicht würde am Ende des Tages zerkratzt sein, doch das war nicht meine größte Sorge. Obwohl ich mir innerlich selbst dankte, dass ich kein unpraktisches Kleid angezogen hatte, waren auch die Seidenhosen und die weiße Bluse nicht gerade die passende Kleidung für eine Wanderung durch das Unterholz.

Maelle lachte. „Wie könnte ich das vergessen? Ich werde jeden verdammten Tag von den Leuten um mich herum daran erinnert."

„Und du hasst es natürlich Prinzessin zu sein." Meine Worte klangen sarkastischer als ich sie eigentlich meinte. Ich konnte mir tatsächlich vorstellen, dass Maelle das Leben als Trohnfolgerin nicht selten verabscheute. Aber ich kam einfach nicht um ein wenig Spott herum. Sie lebte den Traum von unzähligen Mädchen.

„Du bist tatsächlich wie alle anderen", meinte sie daraufhin, ohne direkt auf meine Bemerkung einzugehen. Es war eine Art Feststellung, wobei sie nicht besonder überrascht oder enttäuscht klang. Als hätte sie nicht mehr von mir erwartet.

Ich schnaubte leise. „Ich habe nichts dagegen, wie alle anderen zu sein. Wenigstens versuche ich nicht verzweifelt, mich von mein Rolle in der Gesellschaft zu distanzieren und anders zu sein."

„Ich habe nicht gesagt, dass es schlecht sei, wie alle anderen zu sein", erwiderte sie. Sie duckte sich unter einem tiefhängenden Ast hindurch und gab nach einigen Schritten den Blick auf eine hübsche Lichtung frei. Wir waren einen relativ schmalen Pfad, welcher wahrscheinlich einmal hübsch gewesen nun aber von der Natur beinahe zugewachsen war, entlang gegangen. Neben uns war ein kleiner Bach entlang geflossen und hatte durch sein leises Plätschern eine angenehme Hintergrundmusik beigesteuert.

Ich wich dem Ast ebenfalls aus und trat neben Maelle auf die Lichtung. Sie war von großen Bäumen umringt und lichtdurchflutet. Es wuchsen auf der grünen Wiese in der Mitte eine Anzahl verschiedener Blumen und Pflanzen. Der kleine Bach mündete in eine Art See, an wessen Ufer einige Vögel saßen. „Du klingst genau so wie Lyndon", meinte ich, als ich meinen Blick von der wunderschönen Natur losgelöst hatte. Erneut klangen meine Worte abfälliger als ich sie eigentlich gemeint hatte, doch Maelle schien sie sich nicht zu Herzen zu nehmen.

Stattdessen lachte sie wiederum und schüttelte sich ihre Haare aus dem Gesicht. „Das hat er sich wohl von mir angewöhnt. Man nimmt einige Eigenschaften voneinander an, wenn man zusammen ist." Maelle setzte sich wieder in Bewegung und schlenderte nun auf den kleinen See zu. In ihrem Näherkommen flatterten die Vögel eilig weg.

Ich war vollkommen perplex stehen geblieben und fing mich dann schnell wieder. „Wenn man viel Zeit gemeinsam verbringt", vergewisserte ich mich. Sie konnte doch nicht tatsächlich gemeint haben, dass Lyndon und sie ein Paar gewesen waren. Bei dieser Vorstellung musste ich beinahe auflachen.

Maelle warf mir einen Seitenblick zu, als würde sie meine Miene studieren wollen. Sie zuckte mit den Schultern. „Ja. Wobei ich froh bin, dass ich keine von Kadens Eigenschaften angenommen habe."

Die missmutige Miene hatten die beiden dennoch gemeinsam, überlegte ich und verkniff mir ein Lächeln. „Ihr fünf verbringt wohl viel Zeit gemeinsam."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt