91 | Schutzräume

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Earline Lancaster

Das Chaos war nur wenige Sekunden, nachdem ich die Nachricht des Rebellenangriffes überliefert hatte, ausgebrochen. Der typische Moment des Schocks hatte nur einen Wimpernschlag angehalten, bevor helle Aufregung und ein heilloses Durcheinander im Studio herrschte. Einige stürzten ohne nachzudenken zum Ausgang, in dessen Tür ich noch stand, und drückten mich rücksichtslos zur Seite. Andere begannen panisch zu kreischen und nur einige wenige bemühten sich darum, die Situation zu deeskalieren und einen geordneten Rückzug in die Schutzräume einzuleiten.

Für diese Momente gab es ein vorgeschriebenes Prozedere, welches von den Palastwachen angeleitet und von allen anderen Personen befolgt werden sollte. Das große Problem war allerdings, dass der Großteil der Palastwachen bereits von ihrem Hauptmann zu allen möglichen Posten zur Verteidigung gerufen worden waren.

Auf dem Weg zum Studio, bei dem ich am liebsten niemals angekommen wäre, hatte ich mir fieberhaft überlegt, wie ich die Nachricht überbringen können würde, ohne eine Massenpanik auszulösen. Doch einerseits war ich mit Adrenalin vollgepumpt nur eingeschränkt zu rationalem Denken fähig und andererseits schien es schien schlicht nicht möglich, eine solche Nachricht schön zu verpacken. Also hatte ich die kurze und schmerzlose Variante gewählt.

Bilder von dem Moment, in dem ich realisiert hatte, dass das Schloss angegriffen wurde, blitzten in meinen Kopf. Mein Vater und ich hatten einen Spaziergang im Rosengarten gemacht, als wir einen erstickten Schrei gehört hatten. Im nächsten Augenblick war ein dumpfer Schuss ertönt.

Mein erster Instinkt war gewesen, die Augen zu verdrehen und zu lachen. „Wollen sie uns etwa schon wieder auf die Probe stellen?"

Doch als ich meinen Vater angesehen hatte, war mein Lächeln erfroren. Der Gesichtsausdruck meines Vaters in diesem Moment hatte sich in meinem Gehirn eingebrannt, ich würde ihn niemals vergessen.

„Lauf", hatte er sofort gesagt und mich eindringlich angeschaut, „Finde deine Schwester und bring euch in Sicherheit. Du weißt, wo die Schutzräume liegen?"

Ich hatte automatisch genickt, auch wenn ich nicht verstanden hatte, was tatsächlich geschah. Ich hatte meinem Vater sagen wollen, dass die Rebellenangriffe nur gespielt waren. Dass die Königsfamilie sie nur nutzte, um die Ladys auf die Probe zu stellen und das Volk einzuschüchtern. Doch ich hatte kein Wort über die Lippen gebracht. Denn in diesem Moment hatte mich ein heftiger Schmerz in der Schulter in Folge eines weiteren Schusses durchzuckt.

Als ich realisiert hatte, dass ich tatsächlich angeschossen worden war, hatte mein Vater mich schon gepackt und in Deckung gebracht. Falsche Rebellen schossen nicht mit echten Patronen. Das Blut hatte auf einmal in doppelter Geschwindigkeit durch meinen Körper gepumpt und unzählige von Gedanken waren durch meinen Kopf geschossen. Doch ich hatte es geschafft, mich vollkommen auf meinen Vater zu konzentrieren, der mich eindringlich fokussiert und mir Anweisungen gegeben hatte. Kalte Angst hatte meinen ganzen Körper beherrscht.

„Und du?", hatte ich schließlich mit einem Laut hervorgestoßen, der wir ein unterdrücktes Schluchzen geklunge hatte.

„Geh", hatte er in einem Tonfall geantwortet, der keinen Widerspruch duldete, „Ich komme klar."

Dann hatte er sich umgedreht und war in die Richtung, aus der die Geräusche gekommen waren, verschwunden. Mir waren Tränen in die Augen getreten, doch ich hatte mich geweigert, der Angst um meinen Vater zu erlauben, mich handlungsunfähig zu machen. Also war ich so schnell, wie mich meine Beine hatten tragen können, in Richtung des Zimmers von Elea gestürmt.

Als diese mir die Tür geöffnet und meinen gehetzten Gesichtsausdruck erblickt hatte, war sie erbleicht. „Ich habe gehofft, ich hätte es mir eingebildet", hatte sie geflüstert. Im nächsten Moment hatte sie mich erschrocken angesehen, als sie festgestellt hatte, dass ein Streifschuss mich leicht an der Schulter verletzt hatte. Ich hatte sie davon überzeugt, dass es nicht so schlimm war, wie es aussah, doch sie hatte darauf bestanden, mir die Wunde zumindest zu verbinden. Anschließend hatten wir uns aufgeteilt. Wir hatten keine Vorstellung davon gehabt, wie weit die Rebellen bereits in den Palast vorgedrungen waren, doch wir würden nicht tatenlos in einem Schutzraum herumsitzen können, wenn wir nicht andere gewarnt hätten.

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt