Wilhelmina XII | heiße Wellen

563 46 9
                                    

23 Jahre zuvor

Am Ende der Woche saß Wilhelmina um kurz vor sieben Uhr morgens wach auf ihrem Bett. Bereits am Vorabend hatte sie ihre Tasche gepackt, welche sie für den bevorstehenden Ausflug zum Meer benötigen würde. Da sie bei diesem Mal für das Treffen eine morgendliche Benimmstunde sausen ließ, hatte sie ihre Mutter bereits eingeweiht.

Die Reaktion von Dena war zu erwarten gewesen, doch nachdem sie ihr zehn Minuten lang vorgebetet hatte, wie gefährlich und leichtsinnig es doch sei, hatte Wilhelmina sie besänftigen können. Sie würden an einen verlassenen Strandabschnitt fahren und schließlich würde Tavis dabei sein, welcher selbst lang im Dienste der Palastwache stand. Das hatte ihre Mutter beruhigt und sie hatte schließlich eingewilligt, wobei sie ihr ein Zeitlimit setzte.

Nun hatte Wilhelmina noch eine knappe Stunde Zeit, bis Tavis sie abholen würde. Es war zwar nur ein Mädchenausflug mit Maera, Fenna und Quinn geplant, aber Tave hatte sich bereiterklärt, Wilhelmina abzuholen und zum Strand zu begleiten. Sie war ihm angesichts der Tatsache, dass es ihre Mutter beruhigen würde, dankbar. Ihr Frühstück war ihr auf Nachfrage hin bereits aufs Zimmer gebracht worden, also nutzte sie die restliche Zeit, um zu duschen und sich umzuziehen.

Als sie sah, dass ihr noch weitere zehn Minuten blieben, beschloss sie in Gedanken bei ihrer lieben Freundin McKenna doch noch ein wenig Bücher auf ihrem Kopf zu balancieren. Wenn sie schon die morgendliche Benimmstunde ausfallen ließ, würde sie vielleicht so einen Ausgleich schaffen. Sie war gerade so konzentriert dabei, die Bücher selbst beim Gehen auf hohen Schuhen nicht fallen zu lassen, dass sie aufschrie, als es plötzlich fest an der Tür klopfte.

Die Bücher fielen herunter und knallten unsanft auf den Boden. Eines von ihnen riss dabei ein Schälchen, aus welchem sie am Morgen ihren Joghurt gegessen hatte, mit zu Boden. „Verdammt." Sie würde definitiv noch an einem eleganten Verhalten in Schreckenssituationen arbeiten müssen.

Sie ging zur Tür und öffnete diese schwungvoll. „Du hast meine Konzentration gestört", begann sie, „Ich habe gerade... Oh. Eamon?"

„Sie haben Ihre Tür nicht abgeschlossen."

„Ich- Nein, ich habe mit Tavis gerechnet", gab sie zu und trat verlegen einen Schritt zur Seite, um ihn eintreten zu lassen. Dann schlug ihre Verwirrung in Besorgnis um. „Ist etwas passiert?"

„Nichts ist passiert. Tavis hatte einen Notfall bei der Arbeit und musste dort einspringen", erklärte er, „Wie sieht es hier überhaupt aus? Haben Sie mit den Büchern Weitwurf gemacht?" Eamon hatte über ihr Schulter hinweg gesehen und damit die am Boden liegenden Bücher und die Keramikscherben erblickt. Er zog fragend eine Augenbraue hoch.

„Nein, ich habe gerade-", sie unterbrach sich selbst, da es ihr vor Eamon irgendwie unangenehm war, „Nun ja, ist ja auch egal. Es tut mir leid, dass Sie mich jetzt abholen mussten. Ich hätte einfach Maera fragen können."

„Jetzt bin ich da, also holen Sie ihre Sachen."

„Kommen Sie mit zum Strand?"

„Sehe ich so aus, als würde ich in Badeshorts Beachvolleyball spielen?"

Nein, aber Wilhelmina hätte ihn gern Mal in welchen gesehen.

„Also gut, danke", Wilhelmina blickte hinter sich, „Lassen Sie mich hier nur noch kurz saubermachen. Die Scherben sind überall."

„Mhm." Er streckte die Hand aus und strich ihr zu ihrer Überraschung zart eine Haarsträhne aus dem Gesicht.

„Waren dort auch welche?", fragte sie mit hochgezogenen Augenbrauen.

„Nein."

Sie nickte langsam und machte sich dann daran, die Bücher aufzuheben und ordentlich wieder in das Regal zu stellen. Anschließend sammelte sie die größten Scherben mit der Hand auf und hielt dann Ausschau nach einem Handfeger.

„Sind es besondere Scherben?"

„Es sind einfach nur Scherben."

„Dann lassen Sie sie liegen. Eine Ihrer Kammerzofen kümmert sich sicher darum. Sie brauchen sonst ja eine Stunde, bis sie die ganzen kleinen Scherben unter dem Bett herausgefischt haben."

Sie seufzte. Warum hatte sie die Schale nur so weit an den Rand gestellt und unbedingt drei Bücher auf dem Kopf balancieren müssen? „Ich bin eine Idiotin."

„Kein Kommentar."

Sie schnappte sich ihre Tasche mit Badeklamotten und einem Handtuch und schulterte sie dann. „Ich freue mich so unglaublich auf diesen Tag", sagte sie aus dem Badezimmer, wo sie noch eilig eine Sonnencreme einsteckte, „Ich war ewig nicht mehr am Strand."

Strahlend trat sie aus der Tür wieder zurück zu ihm in den Flur ihres kleinen Apartments und sah zu Eamon auf. Hielt inne. Es war als hielte alles inne. Er sah sie an, auf seine direkte Art - Auge in Auge. Und was sie darin sah, war keine Belustigung, keine Kühlheit oder Gleichgültigkeit.

Es war Begehren.

„Oh." Sie standen nicht einmal einen Schritt voneinander entfernt und in diesem Moment tat Wilhelmina das, was ihr ihr Herz und Instinkt sagte. Sie handelte aus einem Gefühl heraus, einem Impuls. Sie trat einen Schritt auf ihn zu und neigte den Kopf.

Er zuckte förmlich zurück, wich aus, rasch und unmissverständlich. „Wir sollten gehen."

Er ging an ihr vorbei und war bereits einige Momente später auf dem Flur. Tief beschämt folgte Wilhelmina ihm. Sie schloss die Tür ab und trat zu ihm auf den breiten Gang.

„Ich glaube, ich habe da etwas missverstanden. Ich dachte, Sie... Aber dem war wohl nicht so. Es tut mir leid. Ich wollte es in keiner Weise für einen von uns unangenehm machen."

„Jetzt kommen Sie Mal in die Gänge!" Die Worte kamen barsch aus seinem Mund und für Wilhelmina waren sie wie eine Ohrfeige.„Wir haben alle noch etwas anderes zu tun."

Er hatte sich umgedreht und war nun mit langen, starken Schritten bereits beinahe am Ende des Ganges. Wilhelmina folgte ihm.„Okay, okay! Ich hab's kapiert. Sie finden mich nicht attraktiv, ist angekommen. Deshalb brauchen Sie nicht gleich so grob zu werden."

Als Antwort erhielt sie nur ein Murmeln. Mittlerweile befanden die beiden sich bereits draußen und steuerten auf den alten Jeep zu. Auf der Ladefläche befanden sich sämtliche Reiterutensilien, Eimer und Futtersäcke.

„Glauben Sie mir, ich habe nicht vor, Sie zu feuern oder auf Sie loszugehen", fuhr Willow fort. Wenn sie nervös war, plapperte sie manchmal. Eine schlechte Angewohnheit. „Ihre Schläge und Tritte können Sie sich also diesmal sparen. Ich weiß, dass ich Sie in eine unangenehme Lage gebracht hätte, besonders angesichts meiner Zukunft. Und deswegen ist ihre Reaktion vollkommen legitim. Aber ich bin erwachsen und komme mit einer Zurückweisung schon zurecht. Und ich bin selbst verantwortlich für meine..."

Sie zuckte zusammen, als Eamon mit einem Knall auf das Blech seines Jeeps schlug. „Verdammt, Sie reden zu viel." Damit riss er sie an sich. Völlig überrumpelt stolperte sie gegen ihn und brachte noch ein undefinierbares Geräusch heraus, bevor er seinen Kopf senkte und seine Lippen auf ihre presste, als wäre er ein Verdurstender.

Grob und leidenschaftlich war der Kuss, sodass Wilhelmina ihm wehrlos ausgesetzt war. Wie ein Sturmangriff waren die Wellen seines Begehrens und hätte Eamon sie nicht hochgehoben, hätten ihre Knie dem Angriff wahrscheinlich nachgegeben. Sie schlang die Arme um seinen Hals und ritt auf dieser heißen Welle mit.

Im nächsten Moment stellte Eamon sie auch schon wieder auf ihre Füße. „Das hat Sie wenigstens für einen Moment zum Schweigen gebracht."

„Äh..."

Eamon ergriff ihre Tasche, die zu Boden gefallen war und warf sie auf den Rücksitz. „Wenn Sie immer noch mitwollen, dann los."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt