55 | ein missratener Kartoffelsack

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Clementine Lynch

„Habt ihr schon eine Idee für das Kleid?", fragte ich seufzend, „Ich bin nicht nur unkreativ, sondern habe auch keine Ahnung, was der Königin gefallen würde."

Madeline Grace Golightly saß am Nachbartisch und hatte meine Worte anscheinend gehört, denn sie lachte und drehte sich um. „Nimm dir doch Inspiration von ihren sonstigen Kleidern", riet sie mir, „Ein gewisses Farbschema ist zu erkennen. Außerdem kannst du dich auch an ihrer Haar- und Hautfarbe orientieren."

Nachdem sie sich wieder umgedreht hatte, schnitt ich eine Grimasse. „Wenn das so einfach wäre, wie es klingt, hätte ich bereits das perfekte Kleid", murmelte ich und starrte wieder auf die Skizze vor mir. Wie auch viele andere Ladys hatten wir den restlichen Nachmittag im Damensalon für die Aufgabe genutzt und saßen so an einem runden Tisch beisammen, um über unseren Ideen zu brüten.

Meine Skizze ähnelte allerdings eher einem missratenen Kartoffelsack. Ich linste zu Bethany herüber und der Kloß in meinem Magen wurde noch größer. Die stille, missmutige Bethany war anscheinend eine wahre Künstlerin. Ihre Zeichnung zeigte ein wunderschönes, beinahe magisches Kleid mehreren Schichten Tüll und raffinierten Bändern. Die Königin würde wie eine Fee in ihm aussehen.

„Das sieht super aus, Beth", meinte ich ehrlich und ohne eine Spur Missgunst. Zwar überrascht es mich, dass sie sich anscheinend Mühe gab, doch auch ich saß hier bereits seit einer knappen Stunde und starrte Löcher in den Tisch. Von mir selbst hätte ich das ebenso nicht gedacht.

Bethany sah mich kurz an, nickte knapp und vertiefte sich dann wieder in die Auswahl von Farben, Stoffen und Verzierungen.

Ich seufzte. Da ich bereits akzeptiert hatte, dass aus meiner Skizze nichts mehr werden würde, beschloss ich, mich stattdessen auf die anderen zu konzentrieren. Nova und Blair musste ich jedenfalls unbedingt im Auge behalten. Nachdem Blair Lyndon vor wenigen Minuten auf dem Gang abgefangen, aber nichts herausgefunden hatte, steckten die beiden ununterbrochen ihre Köpfe zusammen. Ich wollte nicht, dass Nova in Schwierigkeiten geraten würde. Immerhin schienen ihre Gefühle für Decan ehrlich zu sein.

„Nova", zischte ich, als sie sich gerade von unserem Tisch erhoben hatte, um Blair zu folgen, welche aufgestanden war, „Was tust du?"

Die Brünette schob sich eine Haarsträhne hinter das Ohr, doch ich sah keinerlei Unsicherheit in ihren Augen. Sie war entschlossen, alles über Earlines seltsames Verschwinden und plötzliches Auftauchen herauszufinden. Und genau das machte mir Sorgen. Sie hatte sie Lippen zusammengepresst und schien mir anscheinend keine Antwort geben wollte.

„Nova", wiederholte ich sanft und warf einen raschen Blick auf ihr Skizzenbuch. Es war leer. „Du musst dich auf die Aufgabe konzentrieren."

Ich konnte nicht glauben, dass ich diejenige war, welche sie zur Vernunft bringen wollte. Immerhin war ich selbst mit meinen Aufgaben ziemlich nachlässig umgegangen. Doch ich hatte schließlich auch nichts zu verlieren. Natürlich genoss ich die Zeit im Palast, aber bereits nach dem ersten Treffen war ich mir sicher gewesen, dass ich keinerlei Gefühle für einen der vier entwickeln würde. Nova schon.

„Wir haben noch ein paar Tage Zeit", erwiderte Nova, „Ich schaffe das schon. Das hier kann nicht warten."

Ich seufzte. „Wenn Earline tatsächlich noch hier sein sollte, hat sie bereits über eine Woche gewartet. Dann kann sie auch noch einen Tag länger warten."

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