Earline
„Earline, lass es mich dir erklären!"
Ich stürmte ohne jeden weiteren Kommentar die Gänge des Palastes entlang. Ich wollte nichts mehr hören, sie hatte mir nichts zu sagen. Jedenfalls nichts, was für mich eine Bedeutung hätte.
„Bleib bitte stehen!"
Vielleicht war ich verrückt und benahm mich vollkomen irrational, aber als ich in diesem einen Moment Angelique angesehen hatte, hatte sich das letzte Stück von dem Puzzle, von welchem ich gar nicht gewusst hatte, dass ich es begonnen hatte, zusammengefügt. Wie hatte ich nur so blind sein können? Es hatte mehr als genug Hinweise gegeben, doch ich hatte sie - blind in der verzweifelten Suche nach meiner Schwester - ignoriert.
„Du verstehst nicht", Angelique packte von hinten meinen Arm und ließ mich so zum Stillstehen kommen. Ich verfluchte im Inneren meine fehlende Kondition. „Lass es mich dir einfach bitte erklären. Du bist gerade völlig durch den Wind und ziehst falsche Schlüsse."
Ich funkelte sie an. Sie redete mit mir wie mit einem Kind, als wäre sie vollkommen überlegen und leider war sie das ja auch. Gewesen. Ich würde nicht mehr so dumm sein. „Der Fakt, dass es da überhaupt Schlüsse zu ziehen gibt, ist schon schlimm genug", fuhr ich sie an und riss meinen Arm los, „Du hast Recht: Ich habe keine Ahnung, was hier gerade vor sich geht, aber ich habe genug mitbekommen, dass ich dich ja nicht mehr um mich haben möchte."
„Ich weiß nicht, was du gerade denkst zu wissen, aber-"
„Aber du fühlst dich schuldig! Das beweist doch schon, dass es da etwas gibt, was du mir verschwiegen hast! Und ich weiß ehrlich gesagt nicht, ob ich es erfahren will", sagte ich und seufzte leise. Die anfängliche Wut legte sich und machte Unsicherheit und Enttäuschung Platz.
Angelique stand unschlüssig da. Sie schien ebenfalls unsicher zu sein, ob sie mit der Wahrheit herausrücken sollte oder nicht. Insgeheim hatte ich gehofft, dass sie nicht wissen würde, wovon ich sprach oder warum ich mich so aufführte. Aber ihre Reaktion bewies, dass es da tatsächlich etwas gab, was sie mir verschwieg.
„Warum kennt die Königin dich?", platzte ich schließlich heraus.
„Woher weißt du..?", sie lies die Frage unvollständig im Raum hängen. Es war ein schwacher Versuch einer Antwort auszuweichen und doch leugnete sie nichts.
„Ich bin nicht blöd. Ich habe es zwar gehofft, dass du es mir erzählen würdest, wenn es wichtig wäre, aber ich habe Augen und Ohren im Kopf. Sie hat dich gleich bei dem ersten Frühstück direkt angesprochen und geduzt." Tatsächlich war es mir an diesem einen Tag aufgefallen. Doch ich hatte es verdrängt und nicht für wichtig gehalten. Angeliques Eltern waren nun einmal einflussreich und da war es nicht unwahrscheinlich, dass sie im Vorraus bereits Kontakt zu der Königsfamilie gehabt hatten.
„Und woher weißt du so viel über das Casting? Nicht nur über die Teilnehmer, sondern auch über das Schloss, den Ablauf.. Es scheint, als wüsstest du über alles Bescheid", fuhr ich fort. Sie setzte zu einer Antwort an, aber ich blockte ab. Ich würde ihr nicht glauben, wenn sie erneut sagen würde, dass sie sich eben gut auf das Casting vorbereitet hatte - nicht noch einmal.
„Du wusstest, dass es da eine Kamera gab", warf ich ihr vor, „Du hast es nicht nur vermutet, sondern wusstest es ganz genau. Während alle anderen sich vollkommen normal verhalten haben, wusstest du, dass unsere Aufgabe noch nicht vorbei war. Woher?"
„Earline, bitte tu jetzt nichts Unüberlegtes-"
Ich unterbrach sie erneut. „Du bist immer überaus korrekt. Ich war wirklich überrascht, als du mit auf unseren nächtlichen Ausflug mitgekommen bist und handgreiflich geworden bist. Das passt nicht zu dir, denn ansonsten bist du immer die perfekte Vorzeigelady. Noch dazu kommt, dass du für dein Verhalten nicht bestraft wurdest. Jede andere würde vom Casting ausgeschlossen worden sein, du aber nicht!"
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Blind Selection - never give up 3
FanfictionKaden. Joas. Lyndon. Decan. Einer von ihnen ist der Kronprinz von Ilea. 35 Mädchen kommen ins Schloss, um genau das herauszufinden. Doch zwischen Verrat, Druck, Schmerz und einer endlosen Suche ist es schwer sich auf das Wesentliche zu konzentrieren...