80 | Zwischen Wahrheit und Lüge

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Fenna McGrath

„Porter", sagte ich und schnappte nach Luft, „Was machst du hier?"

Der Kronprinz von Frankreich hatte sich verändert, doch erkannte ich ihn ohne zu Zögern wieder. Er trug nun einen leichten Bart und hatte offensichtlich an Reife dazugewonnen. Das Gesicht des damals Mitte zwanzig Jährigen jungen Mann war merklich gealtert, doch es stand ihm sehr gut.

Er lächelte. „Tante Dena hat uns eingeladen. Sie hat mir erzählt, dass du hier sein würdest."

Ich schluckte. „Wie geht es Ellen?"

Porters Gesichtsausdruck änderte sich für einen Moment und wirkte beinahe schmerzvoll. „Es geht ihr gut", sagte er leise, „Den Kindern auch."

Ich hob meine Mundwinkel zu einem Lächeln. Innerlich war mir nach Weinen zu Mute.

Es kam mir noch immer unwirklich vor, ihm tatsächlich gegenüberzustehen und mit ihm zu sprechen. So viele Male hatte ich mir erträumt, ihn noch einmal zu treffen, und gleichzeitig hatte ich eine solche Begegnung gefürchtet. „Ich weiß nicht, was ich sagen soll", gab ich schließlich zu.

„Du musst nichts sagen", erwiderte Porter, „Ich denke, wir haben eine Menge zu bereden, Fenna. Aber das kann warten."

Ich starrte ihn lange an und erkannte, dass er Bescheid wusste. Ich schlug meine Augen nieder. „Es tut mir leid."

„Ich weiß", sagte er gefasst und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: „Ich freue mich wirklich, dich zu sehen."

Er beugte sich zu mir hinüber und drückte mir einen Kuss auf die Wange. Tränen traten mir in die Augen, welche ich versuchte wegzublinzeln. Als wir uns wieder voneinander lösten, lächelte ich tapfer und sah dann zu, wie Porter in eine andere Richtung ging.

Nun konnte ich die Tränen nicht mehr zurückhalten. Scham und Trauer überfluteten mich. Eilig wandte ich mich von der tanzenden und lachenden Menge ab und überlegte für einen Moment, den Ballsaal für ein zweites Mal an diesem Abend zu verlassen. So hatte ich mir die Rückkehr an den königlichen Hof sicherlich nicht vorgestellt.

Eamon McGrath

„Lass uns tanzen, Eamon", Maera streckte mir lächelnd ihre Hand entgegen und wartete darauf, dass ich sie ergriff.

Ich wandte meinen Blick von dem Raum ab, in welchem ich schweifend nach meiner Schwester Ausschau gehalten hatte und blickte zu Maera.

„Ihr geht es sicher gut. Quinn weiß, wie man mit Fenna umgehen muss", beruhigte sie mich sanft.

Ich nickte stumm und nahm dann Maeras Hand, um mich von ihr auf die Tanzfläche ziehen zu lassen. Als nächstes würde ein Walzer folgen, immerhin ein Tanz, den ich einigermaßen konnte. Unser Vater hatte ihn mit und Fenna beigebracht, indem wir auf seinen Füßen gestanden hatten und er mit uns durch das Wohnzimmer gewirbelt war. Ich lächelte wehmütig.

„Wie geht es Noee?", fragte Maera, als wir begonnen hatten zu tanzen.

Ich richtete meine Aufmerksamkeit endlich auf sie. „Den Umständen entsprechend gut. Ich habe gestern mit ihr telefoniert. Sie war noch ziemlich durch den Wind, aber ich denke, die Erleichterung überwiegt."

„Was hast du ihr erzählt?"

„Keine Lügen, aber auch nicht die ganze Wahrheit", seufzte ich, „Es war irgendwie nicht der rihctige Zeitpunkt, am Telefon die ganze Geschichte zu offenbaren."

Maera nickte verständnisvoll. „Ich bin mir sicher, dass sie es verstehen wird. Sie hört sich nach einer tollen Frau an."

Ich nickte. „Das ist sie." Für einen Moment schwieg ich in Gedanken an meine Familie. „Und wie geht es dir? Wir hatten den ganzen Abend noch keine Gelegenheit, zu reden."

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