bericht 8.1

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„Herzlich Willkommen zurück, liebes Volk von Iléa! Und damit herzlich Willkommen zu unserem letzten Bericht, live hier aus dem Inneren des Königspalastes", begrüßte Dadyar die Zuschauenden vor den Fernsehern mit einem strahlenden Lächeln, „Heute findet sie endlich statt: Die Entscheidung und die Enthüllung unseres Prinzen. Lange haben wir auf sie hingefiebert und heute ist es nun endlich soweit. Seid ihr auch so aufgeregt wie ich?"

Begeistertes Klatschen und Jubelrufe wurden über ein Tonband eingespielt. Die Kamera zoomte heraus und zeigte nun die vier Lords neben dem Moderator auf der roten Couch. Dadyar strich sich seine festliche, rote Fliege glatt und wandte sich dann an seine Gäste. „Lord Joas, Lord Lyndon, Lord Kaden und Lord Decan", begann er, „Wir alle können uns wahrscheinlich gar nicht vorstellen, wie es Ihnen vieren in diesem Moment geht. Bevor wir allerdings mit der Entscheidung beginnen, möchte ich unseren Zuschauern einen kleinen Rückblick auf die vergangenen acht Wochen bieten. Ist diese Selection so abgelaufen, wie Sie es sich vorgestellt hatten, Lord Decan?"

Decan schüttelte lachend den Kopf. „Das mag naiv klingen, aber keiner von uns hat sich vorgestellt, wie intensiv diese Erfahrung werden würde. Natürlich war uns allen von Beginn an bewusst, dass die Selection unsere Zukunft maßgeblich beeinflussen würde. Aber diese Tatsache in der Theorie zu hören und schließlich am eigenen Leib zu erleben, sind zwei vollkommen verschiedene Dinge."

„Dürfen wir annehmen, dass diese gemeinsame Erfahrung Sie vier maßgeblich zusammengeschweißt hat? Soetwas erlebt man schließlich nicht alle Tage mit seinen drei besten Freunden", meinte Dadyar an Lyndon gewandt.

Natürlich hatten die vier Lords die Fragen bereits vorher zu hören bekommen undd gemeinsam mit Pamela und deren Assistentin Hanna die angemessenen Antworten besprochen. Die Produzentin saß während der Aufzeichnung mit schweißnassen Händen im Studio und betete zu all den Göttern im Himmel, dass sich die Lords auch an die Absprachen halten würden.

Lyndon nickte nun zustimmend. „Das stimmt auf jeden Fall. Natürlich haben wir in den letzten Wochen vor allem eigene Erfahrungen gemacht, doch zu wissen, dass man gemeinsam diese Dinge erlebt und sich immer über die eigene Situation austauschen kann, ist sehr wertvoll. Ich bin sehr dankbar, dass ich nicht allein war." Kaden, der neben ihm saß, schlug ihm freundschaftlich auf die Schulter und lächelte.

„Die Zuschauer wollten gern wissen, wie es nach dieser Selection nun weitergehen wird", fuhr Dadyar fort, „Heute werden wir live vor der gesamten Bevölkerung unseres Königreiches enthüllen, wer unser Kronprinz ist. Für diesen scheint der Weg bereits sicher vorherbestimmt zu sein. Doch was wird mit den restlichen drei Lords geschehen? Werden Sie weiterhin im Palast leben und einander zur Seite stehen?"

Joas, an den diese Frage gerichtet war, benötigte einen Moment zu viel, um zu antworten. Deswegen kam Kaden ihm eilig zuvor. „Das ist der Plan, ja", bestätigte er, „Allerdings wissen wir heute noch nicht, was die ferne Zukunft für uns bereit hält. Keiner von uns ist an einen festen Plan gebunden, aber wir werden einander sicherlich immer unterstützen und zur Seite stehen."

Dadyar nickte zufrieden. „Das freut uns alle zu hören", sprach er stellvertretend für alle Fans der Selection, „Wir wenden uns nun Ihnen im einzelnen zu und kommen schließlich zu der Entscheidung. Lord Lyndon, für Sie hat es im Casting nicht die Liebe auf den ersten Blick gegeben, richtig? Im Laufe der Wochen hat man Sie immer wieder mit verschiedenen Ladys auf Dates gesehen und jedes Mal schien diese nun die Richtige für Sie zu sein. Innerhalb des Volkes gibt es sehr gespaltene Meinungen dazu, welche Lady am besten zu Ihnen passt. Ein kleiner Zusammenschnitt wird uns Ihre Reise in der Selection bis hin zu Ihren beiden Favoritinnen Lady Clementine Lynch und Lady Beatrice Golding noch einmal in Erinnerung rufen."

Es folgte eine zusammengeschnittene Montage von unzähligen Dates und Gesprächen von Lyndon mit unterschiedlichen Ladys. Begonnen hatte alles mit Phillipa St. Jones, bei der Lyndon nicht viel Zeit mit Gesprächen verschwendet hatte. Als sie durch ein Zusammentreffen mit Beatrice Golding, Lyndons zweitem Date, dahintergekommen war, dass sie wohl nicht die einzige Lady war, bei der er seinen vollen Charme einsetzte, war die Situation eskaliert und Phillipa hatte das Casting kurze Zeit später verlassen müssen. Jessalyn Marie Wond, Lyndons dritte Datepartnerin, hätte es sicherlich nicht gestört, wenn er seinen Charme ein wenig mehr eingesetzt hätte. Doch es schien beinahe, als hätte er aus seinen Fehlern gelernt und würde die Sache langsamer angehen - oder Jessalyn entsprach schlicht nicht seinem Beuteschema. Bei dem vierten Date mit Clementine Lynch, wie Phillipa und Beatrice eine hübsche Blondine, wurde nämlich wieder auf das heftigste geflirtet. Clementine konnte seinen Flirtversuchen allerdings widerstehen - und genau das war es, was Lyndon an einer Lady anziehend fand. Ebenso Beatrice, mit der er sein sechstes und achtes Date hatte.

Für die Zuschauer zeigte der Zusammenschnitt der Dates deutlich, dass es schließlich Beatrice und Clementine waren, die am besten zu Lyndon passten. Sie konnten ihm etwas entgegenbringen und ließen sich von seinem penetranten Charme nicht einwickeln. Was man allerdings auch erkennen konnte, war die Entwicklung, die Lyndon offenbar durchgemacht hatte. Von dem selbstsicheren, offensiven und charmanten jungen Mann war er mit der Zeit merklich rücksichtsvoller, bedachter und scheinbar reifer geworden. Noch immer war er für Scherze zu haben und liebte es zu flirten, doch dieses Verhalten geschah nicht mehr in derselben egozentrischen Weise wie es anfangs der Fall gewesen war. Lyndon schien die Frauen nun wirklich zu wahrzunehmen und in ihnen nicht nur eine weitere Eroberung zu sehen.

Dadyar hatte sich ein Stofftaschentuch genommen und tat nun in übertrieben dramatischer Geste so, als würde er sich eine Träne von der Wange wischen. „Was für eine Reise", sagte er mit einer Hand am Herzen, „Sie scheinen beinahe wie ein neuer Mann zu sein. Und dazu beigetragen haben sicherlich auch Ihre beiden Favoritinnen, die Ihnen die Stirn geboten und gezeigt haben, was eine Partnerschaft auf Augenhöhe bedeuten kann. Lady Clementine und Lady Beatrice, meine Damen und Herren!"

Die beiden Ladys erhoben sich von ihren Plätzen und gesellten sich zu den Männern auf die rote Couch. Sie strahlten beide über beide Ohren und sahen in ihren langen Kleidern umwerfend aus.

„Vielen Dank, Dadyar", sagte Beatrice zu dem Moderator, „Es ist wirklich bewegend, diese Bilder zu sehen. Ich kann für mich selbst sagen, dass ich mich beinahe nicht wiedererkenne, wenn ich mich vor acht Wochen sehe. Diese Erfahrung ist auch für uns Ladys extrem prägend und lehrreich."

Sie war von den beiden offensichtlich die entspanntere vor den Kameras. Clementine, die normalerweise durch ihre gelassene und direkte Art auffiel, wirkte nun angespannt und konnte sich nur ein kleines Lächeln abringen.

Dadyar stellte den beiden noch einige Fragen, die sie mit der gebotenen Professionalität und Ruhe beantworteten, wobei Clementine sich ein paar mal in ihren einstudierten Antworten verhaspelte und errötete. Beatrice sprang ihr allerdings stets zur Seite und beendete die Fragen für ihre Konkurrentin. Für Außenstehende mochte es seltsam erscheinen, wie harmonisch die beiden miteinander interagierten, wo sie doch um den selben Mann konkurrierten. Da allerdings für die eine von beiden klar war, dass sie niemals romantische Gefühle für Lyndon hegen würde, war die Situation zwischen ihnen entspannt.

Sichtlich unbehaglich fühlte sich allerdings Lyndon selbst. Als Dadyar seinen Smalltalk mit den Ladys beendet und die folgende Entscheidung angekündigt hatte, erbleichte der sonst so lässige und souveräne Lyndon. Die Menschen hinter der Kamera konnten jedoch erkennen, dass dies seinen Grund in der Person hatte, die in diesem Moment das Studio betreten hatte. Oder besser. die in diesem Moment in das Studio gestürmt gekommen war.

Pamela war von ihrem Stuhl aufgesprungen und bedachte Earline Lancaster, die mit schwerem Atem im Türrahmen stand, mit einem derart vernichtenden Blick, dass jeder andere sofort wieder umgekehrt wäre. Dass Earline in ihre live Aufzeichnung geplatzt war, würde sie ihr sicherlich niemals verzeihen. Genau so wenig den Palastwachen, die eigentlich das Studio hätten bewachen und damit verhindern sollen, dass Störenfriede hineingelangten. Der Gedanke, dass ihr Versagen oder ihr Fehlen einen triftigen Grund haben könnte, kam ihr nicht in den Sinn.

Earlines dunkelbraunen, langen Haare sahen aus, als würde vor den Studiotüren ein heftiger Wind wehen. Ihr Herz raste und aus ihrem Gesichtsausdruck sprachen hunderte Gefühle gleichzeitig. Ihre Augen hatten sofort die von Lyndon gefunden und der flehentliche Blick, mit dem sie ihn ansah, ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Dann hauchte sie nur ein einziges Wort: „Rebellen."

Blind Selection - never give up 3Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt