Kapitel 93

101 7 0
                                    

Einige Zeit später

Mein Herz rast als ich die Arena betrete und das Publikum jubeln und klatschen höre. Alles dröhnt in meinen Kopf und ich kann keinen klaren Gedanken fassen. Ich fühle mich wie ferngesteuert. Ich sehe runter auf Arames gefleckten Hals und seine lange Mähne die mitschwingt. Ich spüre jeden kräftigen Tritt den er macht und versuche mich darauf zu konzentrieren. Als ich in der Mitte der Arena stehe nicke ich den Richtern zu und beginne mit den Spins. Vier auf der linken Seite und dann auf der rechten. Dann starte ich in die Zirkel im Galopp. Erst alles Rechts und dann Links. Immer wieder kommen mir während des Rittes Bilder vom Sturz in den Kopf, ich schüttle einmal den Kopf und hoffe sie so los zu werden. Der letzte Run Down. Ich schicke Arames Rückwärts und das war es dann auch schon wieder. Ich nicke ab und ohne auf den Score zu achten gehe ich aus der Arena. Erst als ich vor der Box von Arames absteige ist es als käme ich zurück in die Realität. Ich stehe neben Arames und denke über meinen Ritt nach. Habe ich eigentlich vier Spins auf beiden Seiten gemacht? Und hätte ich mit den Zirkeln nicht eigentlich Links anfangen sollen? Plötzlich reißt mich Christian aus meinen Gedanken. „Hey ist alles in Ordnung bei dir?" fragt er mich sichtlich besorgt. Verwirrt sehe ich ihn an und sage „Ja wieso?" Er hält mir die Zettel meiner Pattern hin die ich reiten sollte und da lese ich es. Ich lege die Hand an meine Stirn und kann es nicht glauben. Ich hätte links beginnen sollen mit meinen Zirkeln und ich habe rechts angefangen. „Oh mein Gott. Es tut mir so leid" sage ich zu Christian. „Hey kann ja mal passieren. Du hast halt einen Spin zu wenig rechts gemacht und hast bei den Zirkeln links und rechts verwechselt. Das ist halb so schlimm. Aber normalerweise passiert dir sowas nicht...deshalb frage ich." „Also habe ich mich bei den Spins auch verzählt..." Ich setzte mich vor Arames auf die Kiste mit seinen Sachen und lege den Kopf in meine Hände. Ich kann spüren wie Christian sich neben mich setzt und seinen Arm um mich legt als er sagt „Hey mach dir keinen Kopf. Okey, das kann schon mal passieren, wenn man nervös ist." Ich richte meinen Blick wieder nach vorne und sage dann „Ich war nicht nervös...Okey vielleicht ja doch. Aber das war sicher nicht der Grund dafür..." „Was war es dann?" fragt mich Christian und streicht mir dabei über den Rücken. Oh Gott vor lauter Frust habe ich gar nicht bemerkt wo er seinen Arm hat. Ich stehe sofort auf und sage nur „Ach ist nicht so wichtig. Das hat mit der Arbeit hier nichts zu tun. Ich, ich muss einfach einen klaren Kopf kriegen." Ich stelle Arames in seine Box und beginne ihn abzusatteln als Christian noch sagt „Du weißt du kannst mit mir auch darüber reden auch wenn es nicht mit der Arbeit zu tun hat. Immerhin verstehen wir uns doch sehr gut, du und ich." Als er diese Worte sagt ist es so als würden sie sich durch meine Knochen schneiden, ein absolut unangenehmes Gefühl. Ich blicke stur auf die Ausrüstung die immer noch auf Arames liegt. Und wünschte so sehr jetzt bei Fabio sein zu können. Plötzlich spüre ich Christians Hand auf meiner Schulter als er sagt „Shirin?" Ich drehe meinen Kopf zu ihm um und lächle ihn dabei an „Danke, aber ich... Es geht mir gut. Es ist alles in Ordnung wirklich." Im nächsten Moment nehme ich den Sattel von Arames und lege ihn vor die Box hin. Christian weicht mir dabei aus und sagt dann noch „Okey, alles klar. Aber auch wenn du nicht reden willst dachte ich wir könnten heute Abend noch was trinken gehen. Dann vergisst du vielleicht, was dir so viel Kopfschmerzen bereitet." Ich blicke ihn aus der Box nochmal an und sage dann „Nein lieber nicht. Ich möchte morgen früh, zeitig zum nächsten Stall fahren." Christian lächelt mich an und sagt dann „Okey, ja verstehe ich." Ich lächle noch kurz zurück und bringe dann schonmal alles in den Anhänger. Als ich alle meine Sachen im Anhänger verstaut habe fahre ich wieder ins Hotel zurück.

Als ich hinter mir die Türe ins Schloss fallen lasse atme ich einmal tief durch. Ich habe keine Ahnung wie ich die gesamte Saison hier in Europa überstehen soll, wenn ich absolut niemand hier habe außer Christian. Ich schüttle verzweifelt meinen Kopf und gehe dann ins Bad. Ich starre in den Spiegel so als würde ich hoffen das mein Spiegelbild die Antworten wüsste. Ich beschließe mir ein Bad einzulassen und hoffe das ich wenigstens mit Fabio telefonieren kann. Denn im Moment wäre ich schon froh darüber einfach seine Stimme zu hören. Gleich als ich in die Wanne steige wähle ich seine Nummer und rufe ihn an. „Hey mein Schatz wie geht's dir?" fragt er mich gleich. Sofort breitet sich ein Lächeln auf meinen Lippen aus als ich ihm antworte „Wie es mir geht? Wie geht's dir? Das ist viel wichtiger." „Mir geht es gut. Wie ich gesagt habe sind es nur ein paar Prellungen. Aber jetzt erklär mir mal wie du heute so schlecht abschneiden konntest?" Ich kann den Blick den er jetzt vermutlich hat förmlich vor mir sehen und antworte dann schüchtern „Ja weißt du..." aber dann fällt mir ein wie er das überhaupt wissen kann. Immerhin wurde das Turnier nicht übertragen. „Warte mal kurz. Woher weißt du das überhaupt?" „Intuition" sagt er selbstsicher ins Telefon und ganz ehrlich er kennt mir zwar sicher gut aber so gut? Doch gerade als ich es ihm glauben wollte sagt er „Nein, war nur ein Scherz. Ich habe die Rangliste im Internet gesehen." Mir kommt ein schmunzeln über mein Gesicht und ich denke mir nur, Intuition na klar. „Du hast dir echt die Rangliste im Internet hinaus gesucht?" „Na klar. Das habe ich letztes Mal ja auch schon getan. Immerhin machst du das gleiche ja bei mir." „Wieso hast du mich dann letztes Mal gefragt wie es lief, wenn du es eh schon wusstest?" „Aus demselben Grund aus dem du mich nach jedem Rennen fragst wie es für mich war. Ich will deine Sichtweise hören und nicht nur irgendwelche Zahlen." Wieder einmal bin ich paff über seine Antwort. Er ist wirklich gut, das muss ich ihm lassen.

Der nächste Morgen bricht an und noch recht früh packe ich alles in mein Auto und hole dann noch Arames bei dem Stall ab. Nach einer 5 ½ Stündigen Autofahrt sind wir dann endlich in der Schweiz angekommen. Auch hier herrscht leider noch immer dieses deprimierende Wetter. Als ich aussteige werde ich gleich von einer Dame herzlichst begrüßt. Sie zeigt mir gleich Arames Box und als ich ihn versorgt habe fahre ich in mein Hotel für diese Zeit. Ich stehe am Fenster meines Zimmers und denke mir dabei, dass das hier mein Zuhause für die nächsten drei Wochen ist. Na toll. Ich beschließe meine Eltern anzurufen um nachzufragen wie es zuhause gerade so läuft. Nachdem ich das getan habe rufe ich auch noch Fabio an, dann May, Gracy, dann auch noch Nadja und weil ich anscheinend immer noch nicht deprimiert genug war fing ich auch noch an Marcel, Alejandra und Joan, Iker und zu guter Letzt noch Enea und Laura anzurufen. Und ich muss sagen ich bin beeindruckt von mir, nicht nur das ich den restlichen Tag nur mehr telefoniert habe, sondern auch darüber das ich von Telefonat zu Telefonat immer deprimierter geworden bin und nicht einmal ans Aufhören gedacht habe. Doch als ich dann schließlich tschüss zu Enea und seiner Freundin Laura sage und mein Handy auflege kommt alles aus mir heraus. Ich breche in Tränen aus und kann mich nicht mehr zurückhalten. Absolut jeden den ich angerufen habe, habe ich schon lange nicht mehr gesehen und ich vermisse sie alle. Ich fühle mich so alleine und alles scheint mich zu erdrücken. Sie erzählten mir alle von den tollen Sachen die sie gerade machen und fragten mich alle wie es mir bei meiner tollen Saison geht. Und in gewisser weiße habe ich sie alle angelogen. Denn bei jedem sagte ich den exakt selben Satz. Nämlich, dass es mir gut geht, und dass es eine tolle Chance ist. In gewisser weiße ja wohl war. Doch vielleicht ist es einfach für mich keine tolle Chance.... Gedanken über Gedanken erschlagen sich in meinem Kopf. Die wildesten Ideen kommen auf und ich bin im nächsten Moment wütend dann wieder traurig, optimistisch und vollkommen pessimistisch... Bis ich irgendwann von meinen Gedanken so ermüdet werde das ich schließlich einschlafe. 

When your life changes, do you keep going or do you go back?Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt