Aufbruch

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Tabitha drehte sich nach Jonathan um. Er stand nun in der Tür der Laubhütte und nickte ihr zu, ein Lächeln auf den Lippen. Wie zur Entschuldigung zuckte sie mit den Achseln und folgte dann mit dem gebotenen Abstand der pflichtbewusst vorauseilenden Dienerin. Jonathan versuchte ihr noch eine Weile nachzublicken, doch viel zu schnell verlor er ihre Silhouette zwischen all den Menschen, die ausgelassen und fröhlich das Laubhüttenfest begingen. Und so starrte er schließlich nur noch in die Richtung, in die er Tabitha hatte fortgehen sehen, als er von einer  bekannten Stimme angesprochen wurde.

„Da bist du ja. Können wir endlich aufbrechen?"

„Sei gegrüßt, Silas", erwiderte Jonathan ruhig und betrachtete den Freund, wie er groß, muskulös und voller Anspannung vor ihm stand. Die Rastlosigkeit und Entschlossenheit, die von ihm ausgingen, machten ihn zum Fremden unter den Feiernden. „Ich wollte dich nicht warten lassen", fügte Jonathan entschuldigend hinzu und setzte sich mechanisch in Bewegung. Silas folgte ihm und obwohl er stets einen halben Schritt hinter ihm blieb, schien es doch, als wäre er derjenige, der die Führung übernommen hatte, das Tempo angab. Während sie sich zwischen den Laubhütten einen Weg bahnten, schwiegen sie, und erst als die Menschen, die sie trafen, weniger und die Stimmen leiser wurden, wandte sich Silas wieder an den Freund.

„Hast du sie endlich gefragt, ob sie deine Frau werden will?"

Jonathan antwortete nicht gleich. Es ist nicht mehr weit bis zur Stadtgrenze, sagte er sich. Dann brachen die Worte plötzlich und unbeherrscht aus ihm hervor: „Um sie gleich zur Witwe zu machen?"

„Jonathan, ich bitte dich", herrschte ihn Silas an und packte ihn dabei entschlossen an der rechten Schulter. „Zur Witwe machen? Was redest du denn? Ich denke, du glaubst an unsere Sache?"

Jonathan hielt kurz inne. Er sah Silas in die Augen, die vor Leidenschaft und wohl auch etwas Wut funkelten. „Natürlich glaube ich daran", entgegnete er mit fester Stimme und es gelang ihm sogar ein kleines Lächeln. „Aber es schien mir trotzdem kein guter Moment." Er nickte Silas zu und legte die letzten Schritte, die sie noch von der Wache trennten, zielstrebig zurück. Nachdem sie das halb verfallene Stadttor passiert hatten, bogen sie nach links in Richtung Hinnom-Tal ab. Eine Zeit lang suchten sie sich schweigend ihren Weg zwischen den Sträuchern und Bäumen und Jonathan überlegte, ob er dem Freund noch eine Erklärung schuldig war. Da endlich hörte er den vereinbarten Pfiff.

„Dort", flüsterte Silas und zog ihn ein Stück mit sich. Er hatte Jetur zuerst erkannt und bahnte sich nun ungeachtet der Zweige, die sich in ihren langen Obergewändern verfingen, energisch einen Weg. Jetur grüßte Silas höflich, und als Jonathan ihm gegenüberstand, kniete er nieder.

„Du brauchst doch nicht vor mir zu knien, Jetur", sagte Jonathan sanft und hielt dem Diener kameradschaftlich die Hand hin.

„Mein Herr", antwortete der andere, nahm unsicher die Hand und erhob sich, ganz so, als ob es etwas sehr Unerhörtes sei, das er im Begriff war zu tun.

„Und bitte, nenn mich nicht mehr Herr. Ab heute sind wir nicht Herr und Knecht, sondern Brüder", fuhr Jonathan fort und er spürte, während er sprach, wie ein großes Glück sein Herz erfüllte.

„Wenn ihr dann endlich mit eurem Gerede fertig seid, können wir uns vielleicht aufmachen", unterbrach ihn Silas ungeduldig. „Ich nehme an, der Sonnenaufgang wird nicht auf uns warten." Er hatte bereits seine Festtagskleider abgelegen und begonnen, die Pferde loszubinden. Energisch drückte er den beiden anderen die Zügel in die Hände. Bevor er aufsaß, zog er noch einmal den Gürtel um seine Tunika fest. „Die Römer tragen lederne Brustpanzer", ergänzte er wie zu sich selbst.

„Aber sie glauben nicht an das, wofür sie kämpfen", erwiderte Jonathan gelassen, während er mit Jeturs Hilfe sein langes Obergewand auszog. Im von den Bäumen gedämpften Mondlicht fiel sein Blick für einen Augenblick auf das Familienwappen, welches das dunkle Leinen als Ornament zierte. Wenn mich Vater sehen könnte, ging es ihm unwillkürlich durch den Kopf und er spürte, wie sich dabei kaltes Unbehagen über seine Schultern die Arme hinab ausbreitete. Es war besser, nicht weiterzudenken, das wusste er. Mit sicherem Griff nahm er die Zügel auf und nutze einen Baumstumpf, um sich mit einer einzigen schnellen Bewegung auf den Rücken des Pferdes zu schwingen. Ohne abzuwarten schloss er seine Schenkel fest um die Stute, die auf seinen Befehl hin so energisch ausschritt, dass er sie im selben Moment, wie er angeritten war, auch schon wieder zurückhalten musste.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt