„Malichos!", herrschte Peitholaos seinen Unteroffizier an, der noch immer verlegen auf den Boden blickte. „Ich habe einen Befehl erteilt!"
„Ja, Herr", antwortete Malichos, unternahm jedoch nichts, um den Anordnungen seines Vorgesetzten nachzukommen. Peitholaos wandte sich an Calpurnianus, dem der Schweiß über die Stirn lief. Ob dafür die gleißende Sonne verantwortlich war oder die Nervosität des Römers, war schwer zu entscheiden.
„Du bist der einzige, dem es zusteht, Todesurteile exekutieren zu lassen", sagte Peitholaos einigermaßen beherrscht. „Aber nicht hier", fügte er scharf hinzu und seine Stimme bebte vor Wut. „Nicht in meiner Festung. Nicht, wenn es um meine Gefangenen geht." Er wartete und da ihm niemand antwortete, fügte er voller Verachtung hinzu: „Und wer sind übrigens diese feinen Knaben?"
Der ältere der beiden Adeligen machte nun einen entschlossenen Schritt nach vorne, sodass er deutlich zu nah vor Peitholaos zu stehen kam. Er war beinahe einen Kopf kleiner als der jüdische Offizier, besaß aber dennoch eine Art natürliche Autorität, die man genauso gut als Arroganz hätte deuten können.
„Mein Name ist Phasael", begann er stolz. „Ich bin der Sohn des Antipaters, und gegenwärtig Befehlshaber über die Garde des Hohenpriesters Hyrkan sowie über jene Gruppe von römischen Auxiliarien, welche draußen die Kreuze fertigstellt. Ich bin beauftragt, die Bestrafung der Rebellen durchzuführen. Wie ihr sicher wisst, sind sie nicht eure Gefangenen, sondern die Gefangenen Roms. Und dies ist Herodes, mein Bruder." Peitholaos fixierte Phasael mit einem unbarmherzigen Blick.
„Wahrlich", sagte er dann langsam, „die gleichen Augen wie dein Vater. Und die gleiche dumme Überheblichkeit, wie ich sehe." Sofort verblasste die Selbstgefälligkeit im Gesicht des jungen Adeligen und im nächsten Augenblick verzogen sich seine Züge zu einer erschrockenen Fratze, denn Peitholaos hatte Phasael mit beiden Händen am Stoff seines Mantels gepackt und hielt ihn nun eine Spanne hoch über den Boden, sodass sein Gegner die Erde mit den Füßen nicht mehr berühren konnte. Nach einem kurzen Moment der allgemeinen Überraschung zogen die vier bewaffneten Soldaten, welche die beiden Söhne des Antipaters begleitet hatten, ihre Schwerter und richteten ihre Klingen gegen Peitholaos. Mit einer gewissen Verspätung griff auch Malichos zu seinem Schwert, wobei nicht klar war, gegen wen er es richten wollte. Calpurnianus stieß einen leisen, aber entsetzten Schrei aus und machte unwillkürlich ein paar Schritte nach hinten.
Peitholaos selbst schenkte den Soldaten und ihren Waffen keinerlei Beachtung. Er hob Phasael sogar noch etwas höher in die Luft, sodass sich sein Kopf durch die unter dem Kinn eisern ausharrenden Fäuste unnatürlich nach hinten überstreckte. „Hör mir gut zu", zischte Peitholaos drohend, „du kleine armselige idumäische Ratte! Sohn einer partischen Schlampe. Wenn du nicht als Mädchen zu deinem Hurenbock von Vater zurückkehren willst, dann wage es nicht mehr, dich in meiner Festung als großer Heerführer aufzuspielen."
Wie um seinen Worten Nachdruck zu verleihen, stellte Peitholaos Phasael mit einem so kräftigen Ruck zurück auf den Boden, dass der das Gleichgewicht verlor und nach hinten fiel. Er stützte sich mit den Händen im Sand ab, blieb jedoch am Boden sitzen, die Beine leicht gegrätscht. Peitholaos stellte einen Fuß zwischen Phasaels Beine und legte seine rechte Hand drohend auf den Knauf seines Krummschwertes. Seine Augen funkelten wild und unberechenbar. Phasael war instinktiv ein wenig nach hinten gerutscht und starrte den über ihm stehenden Offizier verwirrt an.
„Greift ihn an", brachte er schließlich stockend hervor und seine Stimme klang dabei unnatürlich hoch. Malichos konnte nur mit Mühe das Lachen unterdrücken. Als ob Peitholaos seine Drohung schon umgesetzt hätte, dachte er. Im selben Augenblick trat Peitholaos dem jungen Adeligen mit der Fußsohle brutal gegen die Brust. Mit einem schmerzerfüllten Aufschrei kippte der rücklings um und rang einen Moment lang hilflos um Atem. Peitholaos wandte sich von ihm ab und deutete mit einem entschlossenen Handzeichen in Richtung der Kreuze. Die mittlerweile unsicher gewordenen Soldaten ignorierte er immer noch. Jetzt endlich machte sich Malichos auf den Weg, um den Kreuzigungen ein Ende zu setzen.
Von den übrigen Männern wagte keiner sich zu bewegen und auch Peitholaos wirkte wie erstarrt. Nur Herodes, welcher der Demütigung seines älteren Bruders bis jetzt nicht ohne Genugtuung zugesehen hatte, stellte sich Schutz suchend neben Calpurnianus und rang sich schließlich dazu durch, das Wort zu ergreifen: „Wir haben klare Befehle und die Autorität Roms garantiert uns die Vollmacht, diese auszuführen." Peitholaos lachte höhnisch auf.
Wie eine unbändige Bestie, ging es Calpurnianus durch den Kopf. Calpurnianus selbst hatte seine steile Karriere in den Legionen des Pompeius nicht seinem militärischen Können, sondern seinem senatorischen Ursprung zu verdanken. In der Zeit, da er in Rom als Konsul amtiert hatte, war es ihm dann gelungen, durch eine ganze Reihe falscher Entscheidungen auf sich aufmerksam zu machen, und so musste er schließlich dankbar sein, dass er anstelle einer glänzenden politischen Laufbahn zumindest einen Versorgungsposten als Quästor der syrischen Provinz sein Eigen nennen konnte. Alles in allem war Calpurnianus ein unfähiger römischer Bürokrat, ein charakterloser und korrupter Schleimer, nicht gerade die Sorte von Mensch also, die in Peitholaos Augen Achtung verdiente. Sein Blick jedenfalls verriet mehr als deutlich, dass er heilfroh gewesen wäre, sich in Damaskus oder Tripolis in einer seiner Villen der Verwaltung und natürlich der Muse hingeben zu können, und nicht hier inmitten der judäischen Wüste einem zürnenden Peitholaos gegenüber stehen zu müssen, der zu allem Überfluss schwer bewaffnet war und eine ganze Festung voll loyaler Kämpfer hinter sich hatte.
„So ist das also", sagte Peitholaos mit fester Stimme und ging dabei in einem kleinen Kreis von einem Mann zum anderen, um sie alle mit böser Mine zu mustern. Unbeeindruckt von den Schwertern, welche die Soldaten immer noch gezückt hielten, vergrößerte er dabei beharrlich seinen Bewegungsradius und drängte die metallenen Spitzen mit seiner breiten, ledergepanzerten Brust zurück.
„Nun erzählt mir doch", spottete er, „wer hat den Befehl gegeben, meine Gefangenen zu kreuzigen?" Calpurnianus war die offene Drohung in seinen Worten nicht entgangen und so blickte er angsterfüllt bald nach links, bald nach rechts, in der Hoffnung, es würde sich ihm ein geeigneter Fluchtweg bieten. Herodes räusperte sich und versuchte die vier Soldaten durch versteckte Gesten zum Kampf aufzufordern. Sein Bruder Phasael hockte noch immer am Boden und es war nicht klar, ob er darauf wartete, dass ihm jemand aufhelfen würde, oder ob ihm schlicht der Mut für eine neuerliche Auseinandersetzung mit dem jüdischen Offizier fehlte.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...