Versuchung

30 12 2
                                    

Kurz war es still. Niemand wagte, etwas zu sagen. Nur die Musiker spielten die immer gleichen Melodien. Die beiden Mädchen standen jetzt etwas abseits und Jonathan konnte aus den Augenwinkeln erkennen, dass Thyra die Szene mit besorgtem Blick verfolgte. Die Männer, die hinter ihm ausharrten, warteten offenbar auf weitere Befehle.

„Schade", meinte Herodes nach einer Weile. „Schade, dass ich mich in euch getäuscht habe. Ihr hättet das Schicksal so vieler guter Menschen wenden können. Wenn Ptolomäus nicht als König eingesetzt werden kann, werden sie hohe Verluste hinnehmen müssen. Schlimmer noch, es ist zu befürchten, dass die Schwächung der Hyrkan-Treuen letztlich Aristobulus und seinen missratenen Söhnen zur Macht verhelfen wird." Er wartete.

Jonathan reagierte nicht. Er war entschlossen, Herodes nicht mehr zu beachten. „Bitte", sagte er freundlich zu Thyra, „bring mir etwas Wein." Das Mädchen kam seiner Aufforderung sofort nach und so hatte Jonathan zumindest wieder einen vollen Kelch vor sich stehen, von dem er trinken konnte, wann immer ihm nichts Besseres zu tun einfiel.

„Wenn Aristobulus und Alexander erst einmal das Sagen haben", fuhr Herodes fort und machte dabei eine theatralische Geste, die nur auf eine Enthauptung anspielen konnte, „werden sie ihre politischen Feinde schnell eliminieren. Nicht meinen Vater, Jonathan ben Schlomo, der wird in Marisa sicher sein. Ich spreche von eurem Vater."

Jonathan nahm einen Schluck Wein. Mein Vater hat sein Grab selbst geschaufelt, sagte er sich, er hat sich für Macht und Geld an Hyrkan und an die Römer verkauft. Der Gedanke war von bestechender Klarheit und doch wusste Jonathan, dass das nicht ausreichen würde, sein Gewissen zu beruhigen. Schuldete er seinem Vater nicht doch Dank? War er nicht verpflichtet, sein Leben zu retten? Und was würde aus Daniel werden? Würde Alexander auch die Söhne seiner Feinde beseitigen lassen?

„Alexander wird euren Vater töten lassen, Jonathan", wiederholte Herodes, „und viele andere aufrichtige und brave Männer auch. Alwan und Manahat, die Söhne des Ezers, Jobab ben Serachs, Eleazar ben Alon oder Asarja ben Etan." Eleazar ben Alon. Der Name brachte Jonathans Herz mit einem Mal zum Beben. Natürlich, er war einer von Antipaters engsten Verbündeten, befand sich in unmittelbarer Nähe zu Hyrkan und musste daher in Judäa bleiben. Zwar war Eleazar alles andere als ein aufrichtiger und braver Mann, aber er war Tabithas Gemahl, und wenn Alexander an ihm Rache nehmen wollte, würde er seine Frau bestimmt nicht verschonen.

„Gut", erwiderte er trocken. „Ich will versuchen, das Leben dieser Menschen zu schützen. Was auch immer das bedeuten mag."

„Sehr schön", meinte Herodes. Doch diesmal sparte er sich sein penetrantes Lächeln. „Dann möchte ich, dass ihr nun den rechtmäßigen König von Ägypten kennenlernt."

Er stand auf und deutete Jonathan ihm zu folgen. Jetzt plötzlich war der Widerstand auf seinen Schultern nicht mehr zu spüren. Er erhob sich und ging hinter Herodes her durch einen langen Gang, einen anderen, als durch den er gekommen war. Die Villa des Pompeius, überlegte er. Das musste der Ort sein, an dem sie sich befanden. Die gleichen Wandteppiche wie zuvor, Kampfszenen, Götterstatuen, langsame schwere Musik, das Stöhnen hinter den Türen, was allerdings leiser wurde, je weiter sie sich vom Saal entfernten. Sie stiegen eine Treppe hinab und gelangten durch einen Innenhof in einen anderen Flügel des Palastes. Vor dem hölzernen Tor standen zwei Wachsoldaten. Sie trugen römische Uniformen, hatten aber ägyptische Gesichtszüge. Als sie Herodes erkannten, öffneten sie die Tür.

Hinter einem massiven Holztisch saß ein Mann, den Oberkörper in sich zusammengesunken, über eine Schriftrolle gebeugt. Eine einzige Kerze brannte, um ihm das Lesen zu ermöglichen. Als er Herodes und Jonathan bemerkte, sah er kurz auf und begrüßte sie, ohne jedoch großes Interesse zu zeigen.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt