Noch bevor Malichos es angesprochen hatte, war Peitholaos aufgefallen, dass Alexander seine Männer aufgeteilt hatte. Was er damit bezwecken wollte, war unklar. Zwar handelte es sich bei der Baris und der Zitadelle in der Tat um jene zwei Stellen, die er am ehesten würde verteidigen können, und doch schien es angesichts der ungünstigen Lage, in der sich die Juden befanden, äußerst unklug, die eigenen Kräfte aufzusplittern und sich damit zusätzlich zu schwächen. Vielleicht will er Gabinius verwirren, indem er zumindest zwei Möglichkeiten offen lässt, wo er sich verschanzen könnte, überlegte Peitholaos und schüttelte zugleich unwillkürlich den Kopf. So viel Taktik passt nicht zu ihm, sagte er sich. Peitholaos und Alexander waren praktisch gleich alt. Sie waren gemeinsam in den Palastgärten der oberen Stadt groß geworden. Alexander hatte sich nie besonders für den Krieg interessiert. Überhaupt war er kein Soldat, sondern ein charismatischer Führer, der eine Gabe dafür hatte, die Menschen von seinen Ideen zu überzeugen. Er war ein gläubiger Jude, der an seinen Idealen festhielt, selbstsicher auftrat und gut reden konnte, aber kein militärisches Kalkül besaß. Und die Offiziere, mit denen er sich umgeben hat, sind offensichtlich nicht viel fähiger, dachte Peitholaos und ertappte sich dabei, wie er überlegte, für welche Strategie er sich entschieden hätte, wäre er der Mann gewesen, dem Alexander die ehrenvolle Aufgabe übertragen hätte, Jerusalem zu verteidigen.
Peitholaos machte ein paar Schritte in Richtung Norden, denn es missfiel ihm, untätig neben dem mittlerweile verstummten Malichos herumzustehen. Mit einem kritischen Blick musterte er Position und Formation der beiden Heere. Die Römer standen geordnet und beinahe unbeweglich. Die Legionen waren in drei Reihen aufgegliedert, links und rechts hatten sich berittene Einheiten positioniert. Die linke Flanke bestand aus Auxiliartruppen, das Zentrum wurde von Legionären gebildet. Die Juden dagegen hatten sich zu Grüppchen formiert, sie waren schlecht ausgerüstet, und es war unschwer zu erkennen, dass es kaum eine Hierarchie gab, geschweige denn Disziplin. Für einen bewaffneten Widerstand draußen in der Wüste oder für eine Straßenschlacht wären sie vermutlich gute Soldaten gewesen, aber in einem offenen Kampf gegen die römischen Legionen waren sie dem Untergang geweiht.
„Sie sind noch nicht so weit", murmelte Peitholaos und wieder befiel ihn ein beklemmendes Gefühl. Zugleich war es auch Wut, dieselbe Wut, die er damals in Churvat Mezat empfunden hatte, als vierzehn seiner Gefangenen durch römische Willkür den Tod gefunden hatte. Es war die Wut darüber, dass er seinen eigenen Leuten nicht helfen konnte. Alexander hatte versucht, die Stadt zu befestigen, doch er hatte nicht damit gerechnet, dass Gabinius so schnell eintreffen würde.
„Er hat Jerusalem bereits aufgegeben." Malichos war ihm gefolgt und stand nun wieder unmittelbar neben ihm. Seine Stimme klang arrogant und Peitholaos hätte ihn gerne zum Schweigen gebracht. „Die Südseite ist ungeschützt. Es wird ein unvergleichliches Blutvergießen geben."
„Alexander wird versuchen, einen Kampf zu vermeiden", antwortete Peitholaos fast zu sich selbst. „Er liebt die Macht, aber noch mehr liebt er sein Volk. Er hat seine Männer aufgeteilt, weil er zeigen will, dass er sich den Römern nicht entgegenstellt." Im Bereich der Baris ließen sich Bewegungen wahrnehmen. „Sie werden jetzt verhandeln", fügte er hinzu und empfand dabei eine Art unsinniger Hoffnung, dass es doch nicht zur bewaffneten Auseinandersetzung kommen würde.
„Das sieht dem Verräter Alexander ähnlich", rief Malichos höhnisch aus und deutete dabei auf eine in Weiß gekleidete Gestalt, die umgeben von mit Lanzen bewaffneten Soldaten langsam von der Mauer der Baris auf die römischen Truppen zuritt. „Er rettet seinen Arsch. Er kehrt nach Rom ins Exil zurück und Gabinius freut sich über die zehntausend ausgedienten jüdische Soldaten, die er in seinen schönen neuen Städtchen ansiedeln kann."
Die Legionen hatten etwa eine halbe Meile von der Baris entfernt Aufstellung angenommen und waren offensichtlich kampfbereit. Zwischen ihnen bewegten sich zwei kleine Gruppen von Männern aufeinander zu. Das silberne, fast weiße Haar von Gabinius war klar zu erkennen. Alexander, ihm gegenüber, saß auf seinem Pferd. Weder der römische noch der jüdische Befehlshaber trugen einen Helm, womit sie ihre grundsätzliche Bereitschaft zu einer friedlichen Eignung signalisierten.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...