„Ihr seid so schweigsam." Peitholaos Stimme war scharf und unbarmherzig. „Dann will ich euch einen guten Rat geben. Ich gewähre euch genau die Zeit, um von hier zu verschwinden, die meine Männer brauchen, um die Pfähle wieder abzubauen." Er war kurz vor Herodes stehengeblieben und schob diesen nun, indem er sich ihm unbeirrt näherte, immer weiter nach hinten. Auch Herodes hatte mittlerweile unter dem Mantel nach dem Knauf seiner Waffe getastet und doch wagte er es nicht, sich dem kräftigen, breitschultrigen Kerl, der seine Wut offensichtlich nur schwer im Zaum halten konnte, entgegenzustellen. Also wich Herodes Schritt um Schritt weiter zurück. „Nach dieser Zeitspanne, Bürschchen", setzte Peitholaos zu reden fort, „werde ich dich und deinen jämmerlichen Bruder mit einem Tritt in euren wohlgeborenen Arsch den Festungshang hinunterbefördern. Also macht, dass ihr fort kommt!"
Während er gesprochen hatte, war Phasael aufgestanden und hatte sich hinter dem fetten Wams seines Freundes Calpurnianus in Stellung gebracht.
„Bewegung!" brüllte Peitholaos plötzlich unbeherrscht und Phasael zuckte erschrocken zusammen. Herodes dagegen hielt dem zornigen Blick des jüdischen Offiziers stand.
„Euer Verhalten wird Folgen haben, Herr", erwiderte er, wobei er das letzte Wort beinahe spöttisch in die Länge zog. „Ihr habt nicht das Recht, mit uns so umzuspringen. Wir stehen unter dem Schutz Roms."
Die Schreie der Gekreuzigten waren inzwischen verstummt und Peitholaos spürte, wie er allmählich ruhiger wurde. „Calpurnianus, wir kennen einander seit Jahren und ich würde es bedauern, wenn ich ein diplomatisches Problem verursacht haben sollte." Er hielt einen Moment inne und begann wieder im Kreis von einem Mann zum anderen zu gehen. Nur ließ es sich dieses Mal mehr Zeit. „Aber bevor Marcellinus eure Leichen zu sehen bekommt", sagte er langsam und gedehnt, „wird es Monate dauern. Und die Geier werden inzwischen genug Zeit haben, euch die Augen auszuhacken und eure Innereien zu verspeisen." Er steigerte die Lautstärke. „Darum ein letzte Mal: Hinaus aus meiner Festung, solange euch eure eigenen Füße noch tragen können!"
Jetzt endlich kam Bewegung in die Szene. Unsicher, ob ihm Peitholaos, wenn er sich von ihm abgewandt hätte, einen Dolch in den Rücken rammen würde, wandte sich zuerst Calpurnianus zum Gehen, gefolgt von Phasael und den vier Soldaten, die ihre unbenützten Schwerter inzwischen wieder eingesteckt hatten. Nur Herodes blieb noch einen Moment lang stehen und sah Peitholaos direkt in die Augen. Dann ging er hinter den anderen her und achtete darauf, sich wederSchwäche noch Unsicherheit anmerken zu lassen. Peitholaos selbst verharrte starr in seiner Position und wirkte dabei beinahe verloren, wie er groß, aufrecht und kampfbereit in der Mitte des Festungshofes stand, während die Männer um ihn herum alle irgendeiner Beschäftigung nachgingen. Seine Gedanken waren unstet, bald beklagte er innerlich die Toten, die er nicht mehr retten hatte können, bald dachte er wehmütig an seine Frau und den kleinen Sohn, dann wieder an ein Gerücht, das man ihm in Jerusalem zugetragen hatte. Alexander, so erzählte man sich hinter vorgehaltener Hand, sei aus dem Exil zurückgekehrt und habe damit begonnen, die Festungen Alexandreion und Hyrkania wieder aufzubauen.
Als Peitholaos am Abend desselben Tages den Offiziersraum der Festungsanlage betrat, wartete Malichos bereits auf ihn. In der Hand hielt er einen Kelch mit Wein, den er Peitholaos unaufgefordert reichte. Peitholaos nahm ihn und leerte ihn mit einem Zug.
„Vierzehn Kreuzigungen", stellte er bitter fest. „Du hättest es verhindern müssen!"
Malichos senkte betreten den Kopf. Außer ihnen waren noch ein paar anderen Soldaten im Raum, und es war ihm unangenehm, von seinem Vorgesetzten gerügt zu werden, zumal das eigentlich gar nicht dessen Art entsprach. „Es war eine schwierige Situation, Herr", begann er, wie um sich zu entschuldigen. „Calpurnianus war sehr klar in seinen Vorstellungen und Phasael ist immerhin der Anführer der Leibgarde unseres geschätzten Hohenpriesters Hyrkan."
„Der Anführer der Leibgarde", Peitholaos Reaktion war aufbrausend. Sofort verstummten die Gespräche der Soldaten und die beiden Offiziere hatten spätestens jetzt die ganze Aufmerksamkeit der Anwesenden für sich. „Hast du gesehen, wie er vor mir im Staub gekrochen ist? Was für ein Anführer soll das sein? Und außerdem: Die Leibgarde besteht seit gerade einmal zwei Wochen, ein Haufen schlecht ausgebildeter Söldner, die für einen richtigen Kampf nichts taugen. Und von so einem lässt du dich einschüchtern?"
„Herr, ich bitte Euch, wir sind nicht allein", flüsterte Malichos und tatsächlich schien sich Peitholaos seine Worte zu Herzen zu nehmen. Deutlich ruhiger fuhr er zu sprechen fort: „Hyrkan hat nur eine Armee, Malichos. Du und ich, wir stehen ihr vor. Diese Leibgarde ist nichts als ein lächerlicher Aufputz, irgendeine griechische Mode, damit der Eitelkeit unseres Herrn Genüge getan ist. Und damit ein paar adelige Buben endlich die Gelegenheit bekommen, Männer zu spielen."
Obwohl ihm die Situation unangenehm war, musste Malichos lachen. Insgeheim bewunderte er Peitholaos für seine Unnachgiebigkeit, dafür, dass er immer wusste, was zu tun war, während er selbst, Malichos, stets von der Angst getrieben war, sich die Missgunst irgendeiner wichtigen Persönlichkeit einzuhandeln. Peitholaos hatte sich inzwischen an den massiven hölzernen Tisch gesetzt und den leeren Kelch abgestellt. Malichos folgte seinem Beispiel und schenkte ihm nach.
„Es wird immer schlimmer", sagte Peitholaos tonlos. „Rom herrscht und die Kinder Israels können kaum noch kriechen. Nach dem Massaker am Tempelberg, als wir Aristobulus besiegt haben, schwor ich mir, dass kein Jude mehr durch meinen Befehl sterben wird." Er unterbrach sich und starrte Malichos ausdruckslos an. „Wozu machen wir Gefangene, wenn wir ihr Leben nicht schützen können? Ich habe diese Männer hierher gebracht, damit sie vor der Willkür Roms sicher sind." Wie offen er spricht, dachte Malichos, vor mir und vor einem Duzend Soldaten. Wenn ihn einer von ihnen verrät, wird er sich selbst bald an einem schönen römischen Kreuz wiederfinden. „Warum rebellieren diese Männer?" fuhr Peitholaos nun mit lauter Stimme fort. „Warum rebellieren sie und wir halten still, als wäre es kein jüdisches Herz, das in unserer Brust schlägt. Haben wir den Bund Gottes vergessen? Ich will euch etwas sagen!"
„Herr, mäßigt Eure Worte", bat Malichos inständig. Er war Peitholaos unmittelbar unterstellt und fürchtete, dass im Fall eines Verrates auch seine eigenen Tage gezählt sein würden. Nicht zuletzt hatte er die Befehle des Peitholaos ausgeführt und sich damit öffentlich gegen Calpurnianus, Phasael und Herodes gestellt. Doch Peitholaos achtete nicht auf ihn.
„Wir sind Götzendiener! Huren, die sich von den Römern für ihre schmutzigen Dienste bezahlen lassen." Im Raum herrschte absolute Stille. Keiner wagte es sich zu bewegen, geschweige denn zu sprechen. Peitholaos schlug mit beiden Fäusten kräftig auf den Tisch. „Vierzehn gläubige Diener Gottes, Malichos", herrschte er seinen Untergebenen an. Seine Stimme bebte, das Gesicht war schmerzerfüllt. „Sag mir, warum mussten diese Menschen sterben? Warum kämpfen wir gegen unser eigenes Volk?"
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...