Ein Gastmahl

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Allmählich begannen die Gäste einzutreffen. Tabitha hatte sich von Meschach die Namen der Geladenen nennen und ihr Aussehen beschreiben lassen, sodass sie nun alle mit gespielter Selbstverständlichkeit begrüßen konnte. Das souveräne Auftreten seiner Ehefrau war Eleazar nicht entgangen. Als sie schließlich den Gästen voran in den Saal schritten, flüsterte er ihr zu: „Ihr scheint ganz Jerusalem zu kennen."

„Den einen oder anderen", gab Tabitha zurück und bemühte sich dabei, ihrer Stimme einen gleichgültigen Klang zu verleihen. „Aber der Mann, auf den ihr wartet, ist noch nicht da."

„Er wird sich verspäten", sagte Eleazar wie zu sich selbst. „Es ist noch nicht lange her, dass er die Leitung von Hyrkans Ehrengarde übernommen hat. Er hat viele Verpflichtungen."

„Nun", erwiderte sie vielsagend. „Dieser Zustand wird möglicherweise nicht sehr lange andauern." Eleazar sah sie fragend an. Es hatte ihn einiges an Mühe gekostet, Phasael, den Sohn des Antipaters, zu seinem Freund zu machen, und er hatte dessen Aufstieg naturgemäß mit großer Befriedigung zur Kenntnis genommen. „Ich habe gehört", sagte Tabitha langsam und genoss dabei die Neugierde ihres Ehemannes, „sein junger Bruder Herodes ist sehr ehrgeizig. Und, unter uns gesagt." Sie beugte sich leicht zu ihm. „Herodes hat einige Talente."

„Ihr interessiert euch also für Politik?" fragte Eleazar, der für einen kurzen Moment seine Unantastbarkeit verloren zu haben schien.

„Warum sonst hätte ich euch wohl geheiratet", erwiderte Tabitha knapp und wunderte sich dabei über ihre eigenen Worte. Denn sie hatte sie gesprochen, ohne lang nachzudenken und ohne dass sie tatsächlich eine Bedeutung hätten. Auch wusste sie in Wahrheit reichlich wenig über die Familie des Antipaters, genau genommen war sie froh, dass ihr der Name des jüngeren Sohnes überhaupt eingefallen war. Aber sie hatte Eleazar verunsichert und für den Augenblick genügte ihr das.

Gemeinsam betraten sie den Festsaal, in dem schon alles für das abendliche Gelage vorbereitet war. Die bunten Wandteppiche und das Kerzenlicht verliehen dem Raum eine warme Atmosphäre. Vor den Liegen, die U-förmig angeordnet worden waren, standen kleine dreibeinige Tischchen, auf denen sich in Honig eingelegte Feigen, Teigtaschen mit Gemüse und hart gekochte Eier mit Fischsauce türmten, der Duft von gebratenem Hühnchen und frisch gebackenem Brot lag in der Luft. Die Flötenspielerinnen hatten bereits zu musizieren begonnen und eine Handvoll Sklaven standen mit Karaffen bereit, die mit Gewürz-, Honig- oder Obstwein gefüllt waren. Tabitha spürte, dass Eleazar noch etwas sagen wollte, doch weil man den Platz zwischen ihnen dem Ehrengast Phasael zugedacht hatte, trennten sich ihre Wege. Und da sie ohnehin nicht recht wusste, wie sie das Gespräch am besten hätte fortsetzen sollen, war Tabitha über diesen Umstand nicht besonders traurig.

Ohne lange zu zögern nahm sie auf der ersten Kline Platz, die sich am Beginn der Längsseite befand. Eleazar lag ihr schräg gegenüber, sodass im Gewirr der Stimmen, die sanft von den ersten Flötentönen umspielt wurden, jedes Gespräch zwischen ihnen unmöglich war. Da der Ehrensitz für Hyrkans Gardenanführer noch immer leer stand, wandte sich Tabitha der anderen Nachbarliege zu und stellte fest, dass Meschach gerade einem Mann seinen Platz zuwies, dem Tabitha bereits begegnet war. Im Unterschied zu den anderen Gästen, die sie nur zu kennen vorgegeben hatte, war Achior für sie tatsächlich ein bekanntes Gesicht.

Sie hatte Achior nämlich einige Male in der Bibliothek Gamaliels gesehen, in der Jonathan und sie gerne in alten Schriften schmökerten. Im Unterschied zu den Pergamentsammlungen ihrer eigenen Väter, die außer religiösen Werken nicht viel zu bieten hatten, gab es dort Texte von Antimachos von Kolophon, Alkaios von Lesbos und Poseidippos von Pella. Während Tabitha selbst sich am liebsten mit der griechischen Poesie beschäftigt hatte, war Jonathan besonders von den lateinischen Schriften begeistert gewesen, die Cornelius Nepos über die römische Kriegsführung verfasst hatte. Tabitha seufzte. Sie wusste, sie durfte nicht mehr an den Jugendfreund denken. Und doch gelang es ihr nicht. Seine sanften und dabei doch entschlossenen Gesichtszüge standen so deutlich vor ihren Augen, dass sie meinte, seine Wangen berühren, die Stirn küssen zu können.

Gamaliel war ein Pharisäer, der im Unterschied zu Schlomo und ihrem eigenen Vater die Römer am liebsten aus dem Land gejagt hätte. Trotzdem mochte ihn Tabitha, er hatte eine angenehme Art und konnte stundenlang von den alten Autoren erzählen. Seraja hatte ihre Ausflüge zu seinem politischen Gegner bloß mit einem Schmunzeln kommentiert, aber dass Schlomos Reaktion, hätte er vom Ungehorsam seines Sohnes erfahren, eine ganz andere gewesen wäre, war ihnen natürlich beiden bewusst. Besonders dann, wenn in Gamaliels Haus noch andere Gäste wie etwa Achior zugegen waren, hatte Tabitha Jonathan stets besorgte Blicke zugeworfen, was der allerdings nur mit einem Schulterzucken kommentiert hatte. Und wenn es Vater auch erfahren würde, hatte er ihr einmal zugeflüstert, die Zeit, die ich hier mit dir verbringen darf, wäre es hundertmal wert. Die Zeit, die ich hier mit dir verbringen darf, wäre es hundertmal wert, wiederholte Tabitha innerlich und spürte dabei, wie sich Tränen in ihren Augen sammelten.

Schnell betupfte sie mit dem Ende ihres Schleiers die feuchten Lider und wandte sich dann beherzt ihrem Nachbarn zu. Heute betrachtete sie Achior zum ersten Mal nicht hinter Holzregalen hervorspähend, aus einem Winkel in der Bibliothek des Gamaliel, sondern sah ihm direkt ins Gesicht. Das, was ihr sofort auffiel, waren seine groben Züge und der schmutzige Blick, mit dem er ihren Körper musterte. Als ob er mich gering schätzen würde, überlegte sie und der Gedanke empörte sie. Er ist nichts weiter als ein Handlanger von Eleazar, sagte sie sich. Einer, der Geschäfte für den Herrn betreibt, hatte ihr Meschach erklärt und die Art und Weise, wie er das gesagt hatte, hatte ihr zu verstehen gegeben, dass es Geschäfte waren, über die man besser nur hinter vorgehaltener Hand sprach. Trotzdem fühle sie sich Achiors aufdringlichem Blick gegenüber schutzlos, fast so, als läge sie nicht in ihren schönsten Festkleidern, sondern nackt neben ihm.

„Sagt mir", setzte sie deshalb mit der größten Herablassung zu sprechen an, die es ihr möglich schien, in diese zwei Worte zu legen: „Gebt ihr auch gut acht auf die Obstbäumchen unseres Herrn?"

„Auf die Obstbäumchen meines Herrn?" fragte Achior böse zurück, doch schien ihm bewusst zu sein, dass er sich gegenüber der Gattin seines Auftraggebers mäßigen musste.

„Ich habe gehört, ihr kümmert euch um die Setzungen, die Eleazar am Hochland von Galiläa betreibt." Und da sie spürte, wie sehr es den grobschlächtigen Kerl ärgerte, von ihr gewissermaßen zu einem Gärtner degradiert worden zu sein, fuhr sie scheinbar arglos fort: „Es ist eine so fruchtbare Gegend, ein wahrer Segen, wie die Bergketten dort die feuchte Meeresluft aufzufangen verstehen."

„Wenn ihr erlaubt, Herrin", erwiderte Achior hart, „Eleazar hat mir noch andere, weit bedeutendere Aufgaben zugeteilt."

„Wichtiger als die Obstbäumchen?" erkundigte sich Tabitha voller Zynismus und beobachtete mit Genugtuung, wie Achior für einen kleinen Moment seine Augen niederschlug.

„Ich hebe Karawanenkredite ein", stellte Achior dann fest und es klang, als wollte er damit ihre Bewunderung erregen.

„Und schützt die kleinen Händler im Gegenzug davor, von Nomadenstämmen angegriffen zu werden?"

„So ist es", erwiderte er nicht ohne Stolz.

„Aber Achior", wandte Tabitha ein, „verhält es sich nicht eher so, dass die Banditen, vor denen ihr die Händler zu bewahren vorgebt, von euch selbst befehligt werden?" Sie sah Achior direkt in die Augen und ließ ihren scharfen Worten im nächsten Augenblick ein strahlendes Lächeln folgen. Der Mann ihr gegenüber schwieg. Sein Gesicht war von einer ganzen Reihe an Narben gezeichnet, die er sich im Kampf zugezogen haben musste. Am kleinen Finger seiner linken Hand trug er denselben protzigen Goldring wie Eleazar. „Ganz nach dem Vorbild der römischen Seekredite, habe ich Recht?" fragte sie und Achior nickte. „Und verlangt ihr auch derart unverschämte Steuersätze, wie es am Meer üblich ist? Bis zu 20 Prozent vom Warenwert?"

„30 Prozent", korrigierte er sie tonlos.

„30 Prozent", widerholte Tabitha ungläubig. „Das ist Wucher!"

„Kann sein, dass sich Eleazar aus dem Geschäft zurückzieht", entgegnete Achior ungerührt, „jetzt wo er seinen Stammbaum mit priesterlichem Blut veredelt hat."

„Kann sein", erwiderte Tabitha, die sich inzwischen wieder gefasst hatte.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt