Im Amphitheater

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Jonathan gab sich einen Ruck und beschloss, die Zeit bis zu dem Fest, das am Abend zu Ehren des Königs veranstaltet werden sollte, damit zu überbrücken, sich bei einem der kleinen Stände am Markt etwas zu essen zu kaufen. Er zog sich also um und stieg die vier Stockwerke bis zum Innenhof hinunter, um sich dort am Brunnen das Gesicht und die Arme zu waschen. Dann trat er auf die Straße hinaus und machte sich, ohne lange zu überlegen, auf den Weg. Bei der ersten Bude wurde Fleisch gebraten und daneben frischer Käse zum Verkauf angeboten. Das Fleisch roch köstlich, doch Jonathan wusste nicht, von welchen Tieren es stammte, noch wie diese geschlachtet worden waren. Dafür hätte er ganz gerne etwas Käse genommen, doch der lag direkt neben dem Fleisch und da Milchiges und Fleischiges schon seit den Zeiten der Patriarchen nicht vermischt werden durfte, entsprach auch der Käse nicht den jüdischen Speisevorschriften. Also ging Jonathan weiter und blieb nach einer Weile bei einem Marktstand stehen, an dem ausschließlich Obst und Gemüse verkauft wurde, Äpfel, Möhren, rote Rüben, aber auch eingelegte Oliven und Gurken. 

Jonathan nahm sich also von dem Gemüse und aß es mit dem guten Gefühl, sich korrekt verhalten zu haben, jedoch ohne große Begeisterung. Außerdem wurde er von seinem bescheidenen Mahl nicht besonders satt und so war seine Laune nicht die beste, als wenig später die Gladiatorenspiele begannen. Die übrigen Besucher des Amphitheaters schienen dagegen in ausgezeichneter Stimmung zu sein, die Männer applaudierten laut und die Frauen kreischten mit einer Mischung aus Begeisterung und Entsetzen. Der erste Programmpunkt bestand darin, dass man wilde Tiere aufeinander losließ und dabei zusah, wie sie sich gegenseitig zerfleischten.

Als nächstes wurde eine Gruppe von Menschen in die Arena getrieben, die nur mit spärlichen Lumpen bekleidet waren. Sie waren so aneinander gefesselt, dass jeder von ihnen ein Bein frei hatte, mit dem anderen Bein aber an seinem Partner fixiert war, was ihre Bewegungsfreiheit entsprechend einschränkte. Während der rechte Mann ein Holzschwert mitführte, trug der linke ein geflochtenes Schild. Als etwa zwölf derartige Paare in der Mitte der gewaltigen Kampfbahn standen, wurden die Seitentüren geöffnet und unter dem Grölen der Zuschauer fuhren drei Kriegswägen ein. Neben dem Auriga stand jeweils eine Amazone, die ihren Langbogen hoch in die Luft hielt. Die Gespanne umrundeten zunächst die aneinander festgebundenen Gladiatoren, die instinktiv damit begonnen hatten, sich zu einer defensiven Formation zu gruppieren. Die ersten Pfeile wurden geschossen, Panik breitete sich aus. Da man ihnen ein Weglaufen so gut wie unmöglich gemacht hatte, waren die Gefangenen eine leichte Beute für die Schützinnen.

Das Publikum schrie vor Begeisterung und feuerte die Angreifer mit rhythmischen Sprechchören an. Jonathan dagegen war starr vor Entsetzen und Wut. Er hatte noch nie einem derartigen Spektakel beigewohnt. Alles, was er wollte, war diese Menschen von ihrem Leid zu erlösen, und doch wusste er um seine eigene Ohnmacht. Nachdem die Hälfte der Gladiatoren bereits schwer verletzt am Boden lag, änderten die Wägen ihren Kurs und steuerten frontal auf ihre Opfer zu. Die versuchten, zur Seite zu springen, doch an den Holzrädern waren scharfe Messer befestigt und so wurden die Gefangenen wie mit Sensen niedergemäht. Blut spritze aus den abgetrennten Gliedern der Männer, Arm- und Beinstücke lagen im Sand herum und die Pferde trampelten über die zerstückelten Gliedmaßen. Ein Auriga hatte damit begonnen, sein Gespann über die am Boden liegenden Menschen zu lenken.

Ihre Todesschreie erfüllten das Amphitheater und mischten sich mit dem Brüllen der Zuseher, die sich unterdessen den Bauch mit Obst und Fleischstücken vollschlugen. An ihrem Grölen konnte man erkennen, dass die meisten von ihnen bereits zu viel Wein getrunken hatten. Jonathan blickte sich angewidert um. Die Loge des Ptolemäus befand sich nur wenigen Reihe unterhalb von ihm. Der König selbst lag neben einer halb nackten Frau und wirkte gelangweilt. Selbst als ein Sprecher seine Anwesenheit bekannt gab und die Masse noch lauter zu jubeln begann, zeigte er keinerlei Regung. Nun kamen Helfer in die Arena, um die Toten und Sterbenden hinauszuschleppen. Jonathan musste ein Würgen unterdrücken. Wie gut, dass ich nur Gemüse gegessen habe, sagte er sich, konnte an der Ironie aber keinen Gefallen finden.

Als nächstes standen die öffentliche Folter und Hinrichtung von vier Straßenräubern auf dem Programm. Die Männer wurden zuerst mit glühenden Eisenstangen bearbeitet, dann stach man ihnen die Augen aus und schnitt ihnen Nase und Ohren ab. Als ihre Gesichter nur noch blutverschmierte Fratzen waren, wurden ihre Glieder verbrannt. Anschließend wurde eine Horde von Kampfhunden in der Arena freigelassen, woraufhin sich die hungrig auf die Leiber der Verurteilten stürzten und sie zwischen ihren Zähnen zerfetzten. Jonathan beschloss, dem bestialischen Schauspiel nicht länger beizuwohnen. Er wusste, dass das Treffen mit dem König in einem Versammlungsraum im hinteren Teil des Amphitheaters stattfinden sollte. Er beobachtete seine Nachbarn aus den Augenwinkeln und stand in einem Moment auf, als er den Eindruck hatte, dass sein Abgang keinem besonders auffallen würde.

Der Saal lag am Ende eines langen Korridors und war nicht schwer zu finden. Da niemand auf Jonathan achtete, trat er ein und sah sich um. Dem Eingang gegenüber und zu den Seiten hin zentriert befand sich ein mit roten Leinentüchern verkleideter Podest, darauf ein Holzthron mit goldenen Verzierungen. Davor waren in mehreren Reihen Sessel aufgestellt worden. Von den Ehrengästen war offenbar noch keiner eingetroffen, doch eine kleine Gruppe von rund dreißig Sklaven ging geschäftig herum. Sie trugen Tablette mit Speisen sowie Krüge und Becher aus Terrakotta, rückten die Sessel noch einmal zurecht und zündeten die letzten Fackeln an. Auch waren einige Soldaten anwesend, Legionäre der römischen Truppe, die den Konvoi begleiteten, ebenso Schreiber, die sich mit ihren Wachstafeln und Griffeln in Position brachten.

Nach einer Weile wurde Jonathan von einer ägyptischen Sklavin angesprochen. Er nannte ihr seinen Namen und sie führte ihn zu einem Sitzplatz in der dritten Reihe links vom Podest. Allmählich begann sich der Raum zu füllen. Die Stimmen im Raum wurden immer durchdringender, die meisten Gäste kamen direkt von den Spielen, waren gut gelaunt, mehr oder weniger angetrunken und unterhielten sich lautstark in einer Kakofonie aus Latein, Griechisch und verschiedenen Jonathan nicht bekannten Dialekten. Jonathan nahm alles wie durch einen Schleier der Teilnahmslosigkeit wahr. Die ungeheuerliche Grausamkeit, mit der in derselben Arena kurz zuvor noch die Gefangenen zu Tode gequält worden waren, hatte ihn durch und durch erschüttert.

Ein weiterer Grund die Römer zu hassen, dachte er und überlegte einmal mehr, ob er Herodes doch noch das Bündnis aufkündigen sollte. Doch er wusste von Gamaliel, wie Hyrkans Männer mit ihren Gegnern umgegangen waren: Sie hatten ihre Frauen geschändet, sie sterbend in ihrem eigenen Blut liegen lassen, die Kinder verstümmelt. Ohne Zweifel würden Hyrkans Feinde, sofern sie einmal an der Macht waren, Rache nehmen. Er sah Tabitha vor sich, ihr Lachen, wie es erstarren und schließlich ganz ersterben würde. Andererseits hat Alexander nicht den Eindruck gemacht, als wollte er sich wie ein blutrünstiger Tyrann aufspielen, sagte sich Jonathan. Er war unentschlossen und da es ihm nicht gelingen wollte, Klarheit in seine Gedanken zu bringen, beobachtete er die Mosaiksteinchen, die den Boden in ein Muster aus eckigen, miteinander in Weiß, Grün und Schwarz verwobenen Spiralen kleideten. Noch dazu habe ich Alexander eine Art Versprechen gegeben, schoss es ihm durch den Kopf.

Wie soll ich zugleich Ptolomäus zum Thron verhelfen, Hyrkan dienen, damit Tabitha retten und zugleich seinen entmachteten Bruder unterstützen? Jonathan hatte keine Antwort auf seine Fragen. Er zählte die Steinchen. Acht grüne, dann drei weiße und acht schwarze waren es im äußeren Rahmen der geometrischen Figuren. Auf die Mitte hin hatte jede Reihe drei Steine weniger, ein Quadrat aus vier Plättchen bildete das Zentrum. Als Jonathan zu überlegen begann, ob die Regelmäßigkeit des Mosaiks eine symbolische Bedeutung haben könnte, verschwanden mit einem Mal alle Zweifel. Ich muss zurück nach Jerusalem, sagte er sich, koste es, was es wolle. Denn erst wenn er selbst am Zionsberg wäre und sich ein Bild von den Machtverhältnissen machen könnte, würde es ihm möglich sein, das Richtige zu tun, um Tabitha zu schützen.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt