Ein Bekenntnis

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„Ihr habt etwas verloren", sagte er leise, als wäre es eine Entschuldigung, und hielt ihr dabei das Kleidungsstück hin.

Nayla lachte. „Du wirst in Jerusalem doch wohl mit Frauen zusammen gewesen sein?", neckte sie ihn.

„Ja, doch", stammelte Silas und ärgerte sich darüber, dass es ihm nicht gelang selbstsicherer aufzutreten. Was bist du für ein Narr, ging es ihm durch den Kopf. Eine Göttin bietet sich dir an und du benimmst dich wie ein kleiner Schuljunge. Oder, was noch schlimmer ist, wie Jonathan. Unwillkürlich schüttelte er den Kopf.

„Was ist?", fragte Nayla.

„Ich habe gerade an einen Freund gedacht, den ich oft verspottet habe, weil er vor den Frauen beinahe davongelaufen ist." Silas stockte. „Nebet, ich bitte um Verzeihung. Ich wollte damit nicht sagen, dass ihr... Ich meine, ich wollte euch natürlich nicht mit irgendeiner Frau vergleichen." Nayla lächelte, nahm den Schal an sich und legte ihn locker um ihre Schultern.

„Gib mir deine Hände", befahl sie und Silas kam der Aufforderung mechanisch nach. Nayla nahm seine Hände in die ihren und führte sie zu ihren Lippen, wie sie es damals auf dem Schiff getan hatte. Dann küsste sie seine Handfläche und sah ihm dabei tief in die Augen. „Es ist gut, Silas", flüsterte sie, „du brauchst keine Angst vor mir zu haben."

„Ich habe keine Angst", log Silas und bemühte sich, ihrem Blick standzuhalten. „Aber ich weiß, wer ich bin und wer ihr seid."

„Das lässt du meine Sorge sein", erwiderte sie und einen Augenblick lang klang ihre Stimme streng wie die einer Herrin, nicht wie die einer Geliebten. Sie ging auf die Pritsche zu, die in einer Ecke stand und Silas als Bett diente, setzte sich und deutete ihm, es ihr gleichzutun. „Dein Lager ist nicht besonders bequem", stellte sie scherzend fest und für einen kurzen Moment hegte Silas die Hoffnung, dass die Gefahr, die von Nayla ausging, schon gebannt sein könnte.

„Nebenbei", gab er grinsend zurück. Dabei folgte er mit den Augen dem Verlauf ihres Schals, der nun zwar wie zufällig einen Teil ihrer Brüste bedeckte, damit aber den Reiz keinesfalls verminderte.

„Hör auf mit den Späßen", schimpfte Nayla, immer noch freundlich. „Es ist mir nicht leicht gefallen zu dir zu kommen. Aber ich werde bald heiraten. Und das bedeutet, dass ich mein ganzes Leben an der Seite eines alten Mannes verbringen muss, der mich langweilt. Was ist so falsch daran, wenn ich eine einzige schöne Erinnerung in diese Ehe mitnehmen will?" Sie wartete ein wenig. „Mit einem Jungen, der meinem Herzen nahe steht", fügte sie dann leise hinzu.

Silas fiel es schwer, seine Gefühle unter Kontrolle zu halten. Hat Nayla nicht schon oft genug bewiesen, dass ich ihr vertrauen kann, fragte er sich. War sie nicht immer gut und aufrichtig zu mir?

„Mit einem Sklaven zusammen zu sein", erwiderte er bitter, „kann keine schöne Erinnerung sein, Nebet. Und wenn er auch der beste aller Liebhaber wäre." Er sah ihr in die Augen und es kam ihm vor, als könnte er in ihnen einzelne unscheinbare Tränen entdecken. 

„Ihr zittert", sagte er zärtlich, legte seine Arme um sie und zog sie nah an sich heran. Dann nahm er seinen Wollumhang und hüllte sie beide damit ein. Sein Gesicht war jetzt ganz nah an dem ihren. Er spürte ihre Wange an der seinen, ihren Atem, der sich mit dem seinen verband. „Ich liebe und begehre euch, Nebet", flüsterte er, „wie ein Mann nur irgendwie lieben und begehren kann. Aber ich werde nicht bei euch liegen, solange ich der Sklave eures Vaters bin."

Eine Zeit lang blieben sie so beieinander und Silas genoss die Nähe und die Ruhe, die zwischen ihnen war. Er hätte für immer sitzen bleiben wollen, und der Umstand, dass Nayla bei ihm geblieben war, zeigte ihm, dass auch sie in gewisser Weise zufrieden war. Trotzdem fühlte er sich schuldig.

„Ihr habt mir einmal gesagt, dass ich an die Zukunft glauben muss", setzte er zu sprechen an. „Wenn also wirklich ein Tag kommen sollte, wo ich frei bin, Nebet, dann werde ich zu euch zurückkehren. Und wenn ihr es wollt, werde ich euch mit mir nehmen, ganz gleich ob es eurem Ehemann gefällt oder nicht. Wir werden zusammen in meinem Landgut leben. Es liegt am Ufer eines großen Flusses, wo Palmen wachsen und alles grün ist."

Nayla sah ihn an und lächelte. „Erzähl mir mehr davon", meinte sie.

Silas ließ seine Hand ein wenig über ihren Oberarm gleiten, und obwohl kein Abstand zwischen ihnen war, spürte er den Drang, ihr noch näher zu kommen. Er atmete tief durch. Bilder von einer Zukunft zu entwerfen, die nie eintreffen würde, war das letzte, was er in diesem Moment wollte. Und doch hatte er genau das selbst gewählt.

„Das Anwesen ist mit dem Palast eures Vaters nicht zu vergleichen", begann er vorsichtig. „Es fehlt ihm an Glanz, Größe und Majestät. Aber es ist ein ruhiger Ort, am Tag ist dir die Sonne nah und in der Nacht die Sterne. Mein Vater soll den Grund gekauft haben, weil er dort den Geist Gottes gespürt haben will." Er unterbrach sich kurz, sah ihr in die Augen. Ihr Blick war weich und voller Wärme. „Wir würden dort glücklich sein", fuhr er fort, „und ich würde dafür sorgen, dass auch die Menschen, die für uns arbeiten, glücklich sind." Er unterbrach sich. Ich würde nicht herrisch sein und überheblich, dachte er, wie ich es früher zu den Sklaven oft war. Der Schmerz und die Scham, die er dabei empfand, waren beinahe stärker, als die Angst, Nayla durch seine Zurückweisung gekränkt oder verärgert zu haben. Wie schlecht ich mich doch gegenüber Jetur verhalten habe, sagte sich Silas, damals bei unserm letzten gemeinsamen Ritt. Er seufzte. Nayla legte ihren Kopf an seine Schulter. Dann blieben sie still.

Irgendwann später, es mochten Stunden vergangen sein, löste sich Nayla vorsichtig aus seiner Umarmung, stand auf und ging zur Tür. Silas folgte ihr.

„Ich werde euch begleiten", schlug er vor, aber Nayla schüttelte den Kopf. 

„Das ist zu gefährlich für dich", erwiderte sie. „Wenn uns jemand zusammen sieht, wird es nichts mit deiner Zukunft als freier Mann." Sie lachten beide.

„Und mit einem schnellen, schmerzfreien Tod wird es vermutlich auch nichts", scherzte Silas. Doch als er sah, wie traurig ihre Augen waren, wurde er sofort ernst. Er beobachtete Nayla, die ihren Schal band, und staunte, dass kein einziges Stückchen Haut unbedeckt blieb, mit Ausnahme freilich ihrer Hände, Füße und ihres Gesichts. Als Nayla ihr Werk vollbracht hatte, nahm sie noch einmal seine Hände. Nur sah sie ihm dieses Mal nicht in die Augen, sondern hielt ihren Blick gesenkt. Zeit verging und die Unsicherheit, die Silas den ganzen Abend über schon empfunden hatte, wurde noch größer. 

„Merjka", flüsterte Nayla nach einer Weile und wandte sich gleich darauf von ihm ab. Ganz so, als ob sie sich für das, was sie gerade gesagt hatte, schämen würde. Sie wollte fortgehen, das war offensichtlich. Aber Silas war noch nicht bereit sie loszulassen.

„Das ist das Schönste", erwiderte er zärtlich, „das ich in eurer Sprache bis jetzt gehört habe." Er küsste sie auf die Stirn. „Aber auch auf Griechisch klingt es schön", fügte er leise hinzu: „S'agapao." Dann endlich lockerte er seinen Griff und gab ihre Hände frei.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt