Gehorsam

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„Was?" flüsterte Jonathan und fühlte sich mit einem Mal ohnmächtig und schwach.

„Du hast mich schon richtig verstanden." Unbarmherzig fuhr Schlomo zu sprechen fort. „Du machst dir nichts aus dem Gerede der Leute, nicht wahr? Du bist ja so erhaben. Aber was denkst du, was Seraja getan hat, als er von eurem kleinen Überfall erfahren hat?"

Jonathan sah seinen Vater fragend an, denn er hatte tatsächlich keine Ahnung, auf was er hinaus wollte.

„Er hat sie einem anderen Mann versprochen", antwortete Schlomo und weidete sich sichtlich am Kummer und an der Verwirrung, die seine Worte bei Jonathan auslösten.

„Was?" fragte Jonathan noch einmal und hatte dabei das Gefühl, dass der Schmerz in seiner Brust ihm den Atem rauben würde.

„Tabitha wird Eleazar heiraten, einen Mann, von dem die Römer viel halten."

„Eleazar ben Alon?" erwiderte Jonathan ungläubig.

Er wusste, dass Eleazar schon vor einiger Zeit um Tabithas Hand angehalten hatte. Eleazar war der Sohn eines gewöhnlichen Kaufmanns, der es aber dank seiner Skrupellosigkeit und seiner Freundschaft mit dem Idumäer Antipater zu einem großen Vermögen gebracht hatte. In militärischer Hinsicht war er für seine Kühnheit bekannt und hatte sich spätestens bei der Belagerung von Jerusalem die Gunst der Römer gesichert. Als sich die Anhänger des Aristobulus damals auf dem Tempelberg verschanzt hatten, war es Eleazar gewesen, der vorgeschlagen hatte, mit dem entscheidenden Angriff bis zum Sabbat zu warten, weil die Verteidiger da aus religiösen Gründen keine kriegerischen Handlungen ausführen durften. Eleazars Plan war erfolgreich gewesen und er hatte Seite an Seite mit Faustus Cornelius Sulla, dem Sohn des Marius Sulla, in der ersten Abteilung die Nordmauer überwunden. Das einzige, was Eleazar ben Alon jetzt noch von einer glänzenden politischen Karriere abhielt, war seine niedrige Geburt; ein Mangel, den er nur durch die Heirat mit einer adeligen Priestertochter ausgleichen konnte.

„Ganz recht", erwiderte Schlomo gehässig. „Seraja hat Eleazar sein Einverständnis am Nachmittag nach dem Sukkot-Fest gegeben, unmittelbar nachdem die Nachricht von euren Heldentaten Jerusalem erreicht hat."

„Das ist unmöglich", begehrte Jonathan auf. „Tabitha verachtet ihn."

„Sie wird sich dem Willen ihres Vaters gefügt haben. Sie ist ein braves und folgsames Kind", sagte Schlomo und fügte böse hinzu: „Nicht so wie du."

„Seraja zwingt seine Tochter nicht zu einer Heirat", widersprach Jonathan trotzig, wenngleich mit schwacher Stimme. Er ist ein liebevoller Vater, wollte er ergänzen, nicht so wie du.

Doch er behielt seinen Gedanken für sich. Tabitha und er hatten damals, als Eleazar Seraja seine Aufwartung gemacht hatte, über den Heiratsantrag gesprochen. Tabitha hatte nur darüber gelacht. Sie war eine der wenigen jungen Frauen in Judäa, die darauf vertrauen durfte, dass man sie nicht gegen ihren Willen verheiraten würde. Es war ein lauer Sommerabend gewesen und sie hatten Serajas Kamelen beim Grasen zugesehen. Die Sache mit dem Heiratsantrag war für Tabitha schnell erledigt gewesen. Sie hatte schon wieder über die Kamele zu sprechen begonnen und darüber, was die Gründe dafür sein mochten, dass sie mit so wenig Wasser auskommen konnten.

Jonathan selbst hatte das Thema Heirat deutlich mehr interessiert als der Wasserverbrauch der Kamele. Und während Tabitha ihren Monolog über die Köpertemperatur der Kamele hielt, darüber sprach, wie sich ihre Haut anders als bei einem Pferd tagsüber erwärmen würde, war er seinen eigenen Gedanken nachgegangen und hatte sich ausgemalt, was die beste Gelegenheit sein würde, Tabitha einen Heiratsantrag zu machen. Es muss ein besonderer Moment sein, hatte er sich vorgenommen, aber sie darf auch nicht damit rechnen. An einem Nachmittag vielleicht, wenn sie mit Dan die Torah studierte, sich mit Engelsgeduld bemühte, ihren Pflegebruder die Texte der Heiligen Schrift auswendig aufsagen zu lassen. Jonathan hatte ihr dabei oft und gerne zugesehen und wenn er sein Herz nicht schon längst hoffnungslos an Tabitha verloren hätte, dann hätte er sie spätestens dafür lieben müssen, wie sie unerschütterlich und gegen die Meinung aller anderen daran festhielt, dass es auch dem im Denken schwerfälligen Dan einmal gelingen würde, in die Gemeinschaft der Männer aufgenommen zu werden.

„Ich werde zu ihr gehen und mit ihr sprechen", sagte Jonathan, doch sein Vater antwortete bloß mit einem gehässigen Gelächter.

„Zu ihr gehen, ja?" spottete er. „Du kannst nicht einmal aufrecht sitzen."

„Dann werde ich eben einen Boten senden. Ihr eine Nachricht zukommen lassen", erwiderte Jonathan trotzig.

„Das wirst du nicht tun, mein lieber Sohn", schrie Schlomo, mit einem Mal wieder aufbrausend. Er stand auf und schaute drohend auf Jonathan hinab. „Du hast schon genug Schaden angerichtet", brüllte er. „Alles, was du mit deinen unnützen Händen anrührst, verdirbt. Ein Brief oder gar ein Bote so kurz vor ihrer Hochzeit. Du würdest ihren Ruf zerstören und unsere Familie noch tiefer in den Staub hinabziehen." Kurz wurde Jonathan schwindlig und er schloss hilflos die Augen. „Du brauchst dich nicht ohnmächtig zu stellen", schrie ihn Schlomo an. „Du hörst mir gefälligst zu!" Er machte eine Pause, als wartete er auf eine Antwort. Jonathan schwieg, jedoch öffnete er gehorsam die Augen. „Sag, dass du mir zuhörst!"

„Ich höre euch zu, Vater", erwiderte Jonathan und hatte Mühe, seiner Stimme einen sicheren Klang zu geben.

„Du wirst hier bleiben und wenn ich dich fesseln muss. Du wirst genau das tun, was ich dir sage. Du wirst nicht versuchen, meine Befehle zu umgehen, und du wirst nicht einmal daran denken." Noch immer brüllte er. „Hast du mich verstanden?" Jonathan schwieg, doch er wusste, dass es für ihn kein Entkommen vor diesem Mann gab. „Dann will ich jetzt deine Antwort hören!" Wäre ich nur mit Jetur und Silas gestorben, dachte Jonathan. „Sag es!" tobte sein Vater.

„Ich werde euch gehorchen, Vater", sagte er endlich.

„Gut", stellte Schlomo nun trocken fest. „Tabitha wird Eleazar heiraten. Und du wirst mit dem Schiff nach Rom reisen, sobald es deine Verletzungen zulassen. Dort kannst du dem Studium nachgehen und Buße tun." Schlomo hielt einen Moment inne, dann fügte er leiser hinzu: „Vielleicht wird man in Jerusalem eines Tages deine Jugendsünden vergessen und du wirst in den Schoß deiner Familie zurückkehren können."

Schlomo wandte sich zum Gehen. Zuvor machte er aber noch einen Schritt auf Jonathan zu. Er nahm eine Locke seines Sohnes in die rechte Hand und drehte sie ein wenig zwischen den Fingern. „Siehst du", sagte er ruhig und mit jener Selbstgefälligkeit, die Jonathan am meisten an ihm hasste. „Nun habe ich die Rute gar nicht gebraucht, um dich zu bestrafen."

Die Wut war aus seiner Stimme gewichen. Ob sich auch die Gesichtszüge des Vaters entspannt hatten, konnte Jonathan nicht erkennen, denn seine Augen hatten sich längst mit Tränen gefüllt. Dann verließ Schlomo den Raum und zog die Tür geräuschvoll hinter sich zu.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt