Jonathan hatte die Kurve, welche die erste Pfeilsalve in der Luft gezeichnet hatte, mit angehaltenem Atem beobachtet. Die Schreie seiner Kameraden erschütterten sein Herz, angespannt wartete er auf den Moment, wo er ihnen endlich zu Hilfe kommen könnte. Da öffneten sich die schweren Tore des Vorpostens. „Sehr gut", flüsterte Silas dicht neben ihm und auch Jonathan atmete erleichtert auf. Die Römer ließen sich also aus ihrer Befestigungsanlage heraus locken. Doch im nächsten Moment stockte Jonathan der Atem. Denn statt Fußsoldaten kamen den ohnehin schon angeschlagenen Rebellen Reiter entgegen, die den Flüchtenden im scharfen Galopp nachstellten. Jonathans insgeheime Befürchtung hatte sich bestätigt.
„Verflucht", hörte er Schimons Stimme etwas hinter sich. „Dass sie die Reiterei einsetzen! Wenn nur endlich die Fußsoldaten ausrücken würden."
Mühelos erreichten die Reiter die ersten jüdischen Kämpfer. Die konnten den Römern nichts entgegenhalten und wurden einer nach dem anderen von den langen Kampfschwertern niedergemetzelt. „Wie lange noch", flüsterte Jonathan und er spürte, wie auch die anderen Männer in seiner Nähe immer unruhiger wurden. Da endlich schritten die Fußsoldaten aus dem Tor. Sie bewegten sich in einer geschlossenen Formation, langsam zunächst, um dann wie ein einziger gewaltiger Körper aus Schildern und Helmen ihren Schritt kontinuierlich zu beschleunigen. Ihnen voran schritt ein Offizier. Ein Zenturio, dachte Jonathan, der rote Busch, den er auf seinem Helm trug, und sein roter Umhang zeigten seinen Rang an. Als ob ein Befehl ausgesprochen worden wäre, gruppierten sich die jüdischen Kämpfer um eine Standarte.
Die Reiter waren in einzelne Gefechte verwickelt, was die Kraft ihres Angriffs schwächte. Eine Gruppe von sieben Kämpfern hatte einen Reiter umzingelt, dem es jedoch ohne große Mühe gelang, die Juden auf Abstand zu halten, indem er sein Langschwert hin und her schwang. Auch als eine Mistgabel gegen die Flanke des Pferdes flog, konnte er den Hieb mit dem Schild abwehren, doch dann ergriffen ihn gleich mehrere Rebellen gleichzeitig. Den ersten, der sich ihm von der linken Seite näherte, konnte er mit einem kräftigen Hieb auf den Kopf zu Boden werfen, doch die Männer, die nach ihm kamen, klammerten sich wie wild gewordene Bestien am Bein des Soldaten fest und zogen ihn aus dem Sattel. Im Sand liegend wurde er sogleich von etlichen Messerstichen und Stockschlägen getötet. Zwei andere Reiter waren auf ähnliche Art und Weise angegriffen worden und steckten in ernsthaften Schwierigkeiten, die restliche Kavallerie hatte es aber geschafft, als Gruppe zusammenzubleiben und blockierte den Rebellen nun den Fluchtweg.
Ungeachtet der Menschen, die tot oder schwer verwundet das Schlachtfeld bedeckten, schritten die Römer in ihrer geschlossenen Formation weiter. Sie hatten die aufständischen Juden beinahe erreicht, da ertönte ein scharfer Befehl des Zenturios. Augenblicklich hielt die Truppe an und zwischen den Schildern traten die Spitzen der Schwerter hervor. Die Reiterei schien bewusst auf Distanz zu bleiben, verunmöglichte aber immer noch jede Fluchtbewegung. Wieder hörte man die Stimme des Zenturios, diesmal an seine Gegner gerichtet. Vielleicht will er sie auffordern sich zu ergeben, fuhr es Jonathan durch den Kopf. Doch weiter konnte er seinen Gedanken nicht nachgehen, denn in dem Moment ertönte laut und deutlich die Antwort der Rebellen „Der Herr ist ein Mann des Krieges!", ein Ruf, in den jeder einzelne von ihnen aus Leibeskräften einstimmte: „Adonai, isch milchamah!"
Im selben Augenblick eröffneten die geschwächten Krieger eine gewaltige Angriffswelle gegen die Auxiliartruppe. In einem blinden und ungebremsten Aufbegehrten schwangen die Männer ihre armseligen Waffen und warfen sich unerschrocken gegen die Schilder der Römer. Für kurze Zeit schienen die Soldaten verunsichert. Die Reiter zogen sich gut fünfzig Schritt zurück, als warteten sie auf die ersten Flüchtenden, um die einen nach dem anderen niederzumetzeln.
„Du gürtetest mich mit Kraft zum Kampf", schrie da Schimon einige Schritte hinter ihm, und sprang gleichzeitig nach vorne. „Du beugst unter mich, die gegen mich aufstanden!" Neben Schimon preschte Samuel, ein großgewachsene Galiläer, der auserwählt worden war, den Banner zu tragen, vor und stürzte sich im Laufschritt den Hang hinunter. Jonathan und die übrigen Kämpfer taten es ihm nach. Wie ein einziger Mann schossen sie auf die römischen Soldaten zu, siegessicher und stolz ihrer Bestimmung entgegen. Auch vom anderen Seitental her hatte sich eine Gruppe von Kriegern in Bewegung gesetzt, ihnen voran der Maskil, dessen weiße Kleidung man trotz der Entfernung gut erkennen konnte. In der Hand hielt er einen einfachen Holzstock, denn sein Verständnis der heiligen Schriften verbot es ihm, eine Waffe zu tragen. Dann überschlugen sich die Ereignisse. Von allen Seiten her fielen die laut brüllenden Rebellen in die geschlossene Formation der Römer ein und tatsächlich gelang es ihnen, die Linie der Truppe zu brechen. Anstatt einen geordneten Kampf zu führen, verwickelten sich die Soldaten in eine ganze Reihe von Einzelgefechten. Schnell gewannen Schimons Männer die Oberhand, nicht zuletzt waren sie nun zahlenmäßig klar überlegen.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...