Gewissheit

34 12 7
                                    


In dem Moment wurde die Tür mit Kraft aufgestoßen. „Eleazar!" scharf und streng zerschnitt die Frauenstimme den Raum. Mit einem lauten Knall warf Tabitha die Tür in die Angel und kam dann mit schnellen, wütenden Schritten auf ihren Gatten zu.

„Mein Täubchen", säuselte Eleazar mit einer Mischung aus Erstaunen und Ironie. Er hatte Tabitha in den letzten fünf Monaten ihrer Ehe noch nie emotional erlebt, geschweige denn zornig. Sie war immer sachlich, distanziert und der Hauch von Zynismus, der sie umgab, war das einzige, was darauf schließen ließ, dass sie doch aus Fleisch und Blut gemacht sein musste. Nicht einmal als ich Achior vor ihren Augen erstochen habe, hat sie eine Regung gezeigt, ging es Eleazar durch den Kopf. Was also macht sie so wütend?, überlegte er und stieß Kyron dabei grob von sich. Doch zu seiner Überraschung beachtete sie den Jungen, der nun unsicher und mit eingefallenen Schultern neben dem Feuer stand, kaum.

„Wie könnt ihr denken, dass ich dieses Haus verlassen werde?", herrschte sie ihn an. Eleazar starrte sie ungläubig an. Jeder andere Vorwurf wäre ihm plausibler erschienen.

„Ich möchte, dass meine geliebte Frau in Sicherheit ist. Das ist doch kein Verbrechen", erwiderte er zögernd und zu seiner eigenen Verwunderung hatte seine Stimme einen entschuldigenden Tonfall angenommen. „In Hyrkans Winterpalast wird es euch an nichts fehlen", fügte er beschwichtigend hinzu. „Kypros, die Gattin des Antipater, ist eine kluge und unterhaltsame Frau. Ihr werdet euch gut mit ihr verstehen."

„Ihr erwartet von mir, dass ich mich mit der Gattin des Strategos über das Wunder des Lebens unterhalte, während in meiner Heimatstadt Krieg herrscht?" Wenngleich Tabitha immer noch zornig war, musste Eleazar doch schmunzeln. Denn auch er hatte sich schon einige Male darüber geärgert, dass es in Jerusalem derzeit kein anderes Gesprächsthema zu geben schien als die späte Schwangerschaft der Kypros und ihre unmittelbar bevorstehende Niederkunft. Tabitha kam näher auf ihn zu und stellte sich drohend vor ihn hin. Da Eleazar immer noch saß, war das Größenverhältnis ausnahmsweise sogar zu ihren Gunsten.

„Meint ihr etwa, ich würde mich wie eine Diebin aus meinem eigenen Haus davonschleichen?", schimpfte sie. „Und darf ich nebenbei fragen, wie genau ihr euch vorstellt, dass ein Chaphschi euren Besitz schützen sollte. Ein Mann, in den man seit seiner frühesten Kindheit nichts anderes hineingeprügelt hat als sich unterzuordnen und zu gehorchen?" Eleazar nickte ernst. Auch ihm gefiel es nicht, die Verantwortung über den Haushalt Meschach zu übertragen.

„Für euch ist es zu gefährlich in Jerusalem zu bleiben", entgegnete er stumpf, wie zu sich selbst.

„Das ist eure Meinung", fuhr ihn Tabitha schroff an. „Aber ich werde Jerusalem auf keinen Fall verlassen. Wenn Alexander die Stadt eingenommen hat, werde ich ein großes Festmahl veranstalten und den neuen König samt seinem Gefolge einladen." Tabitha kam Eleazar noch näher. Sie ist ein richtiges Weib geworden, ging es Eleazar durch den Kopf, sie hat alles Mädchenhafte verloren. „Und wenn die Herren da sind", sagte sie drohend und stützte ihre Hände entschlossen in die Hüften. „Dann möchte ich sehen, ob sie es wagen, eure Gattin, die Tochter des Seraja ben Jachim", sie hielt kurz inne, „zu schänden oder gar zu töten."

Im Raum war es still, nur das Knistern des immer kleiner werdenden Feuers war zu hören, auch das leiser als zuvor. Einen Moment noch blieb Tabitha vor Eleazar stehen, dann ging sie einige Schritte zurück und setzte sich hinter seinen Schreibtisch. Wie respektlos sie ist, dachte Eleazar und überlegte kurz, ob er nicht doch gut daran täte, seine Ehefrau bisweilen zu züchtigen. Doch er verwarf die Vorstellung sofort. Es war nicht so sehr die Angst, dass sie zu ihrem Vater zurückkehren könnte. Vielmehr war es die Banalität, die er fürchtete. Sie zu schlagen, würde bedeuten, den Zauber, der sie umgab, zu zerstören, eine weitere Beziehung von Macht und Ohnmacht neben all die anderen zu reihen, aus der Frau, der es immer wieder gelang, ihn zu überraschen, eine Gattin zu machen, die ihn nur noch langweilen würde.

„Jeden anderen, der es wagt, in meinem Sessel Platz zu nehmen, würde ich mit bloßen Händen erwürgen", stellte er fest, doch seine Stimme war ohne Ausdruck.

„Ich kann es mir lebhaft vorstellen", antwortete Tabitha prompt und lachte dabei kurz auf. Ihr Zorn schien verflogen zu sein, an ihrer Entschlossenheit aber hatte sich nichts geändert. „Es wäre mir aber lieb, wenn ihr nicht ablenken würdet", ergänzte sie ernst und beobachtete Eleazar dabei forschend. Der wartete eine Weile. Die Vorstellung, dass Tabitha und nicht Meschach seinen Besitz gegen Alexanders Truppen verteidigen würde, hatte durchaus einen gewissen Reiz. Natürlich war sie kein Mann und würde nicht kämpfen können. Aber sie war unbeugsam und stolz, noch dazu von höchster Geburt. Zusammen mit den Geschenken, die Eleazar Alexander bereits überbringen hatte lassen, mochte das womöglich ausreichen.

„Ihr meint, sie werden es nicht wagen, euch zu schänden oder zu töten." Er hielt kurz inne. „Nun, wir werden es in ein paar Tagen wissen. Es ist allerdings schade, dass ihr keine Schwester im heiratsfähigen Alter habt", fügte er ironisch hinzu, „nur für den Fall, dass ich einen Ersatz für euch brauchen werde." Tabitha zog amüsiert die Augenbrauen hoch. Doch im nächsten Augenblick war sie wieder gefasst.

„Ich danke euch", erwiderte sie. „Ich wäre auch gegen euren Willen geblieben. Aber es ist mir lieber, wir trennen uns im Einvernehmen."

Eleazar nickte und stand auf. „Kümmere dich um die Glut", befahl er Kyron, der immer noch unbeholfen neben der Feuerschale stand und sich auf den Befehl hin sichtlich erleichtert in Bewegung setzte. Am Weg zur Tür blieb Eleazar vor Tabitha, die sich ihrerseits erhoben hatte, stehen.

„Dann seid also gegrüßt", sagte er und sah ihr tief in die Augen. Und auch wenn sich Eleazar schon lange darüber im Klaren war, dass es an einer Frau für ihn nichts zu begehren gab, empfand er in diesem einen Augenblick, wo sich ihre Blicke trafen, doch den starken Wunsch, Tabitha zu besitzen. Den Wunsch, dass sie sich ihm hingeben würde und wenn nicht in Liebe, so zumindest aus Lust.

In dem Moment griff Tabitha nach seinem Handgelenk und hinderte ihn mit einer eigenartigen Mischung aus Schwäche und Entschlossenheit daran fortzugehen. „Bevor ihr aufbrecht", begann sie, „möchte ich", sie schien zu überlegen, „dass ihr eine Sache wisst." Eleazar wandte sich ihr wieder zu, kam aber nicht dazu nachzufragen. „Ich erwarte ein Kind."

Eleazar lächelte ihr wohlwollend zu. „Das ist der Grund, warum man sich ein Weib hält", entgegnete er mit einer feinen Nuance an Boshaftigkeit.

„Ist das alles, was ihr sagt?" fragte Tabitha überrascht.

„Natürlich gratuliere ich euch", erwiderte Eleazar zynisch.

„Aber ihr habt nicht einmal...", setzte sie an, doch Eleazar unterbrach sie auf eine Art und Weise, die keinen Widerspruch duldete.

„Wie ihr euch bestimmt erinnern werdet, haben wir diese Ehe noch in der ersten Nacht vollzogen. Es gibt also keinen Grund, warum ihr nicht schwanger sein solltet."

Noch immer standen sie einander gegenüber und noch immer sah Tabitha ihren Mann verständnislos an. „Was denkt ihr?" erkundigte sich Eleazar. Tabitha zögerte.

„Dass ihr vielleicht ein besserer Mensch seid, als ich dachte", antwortete sie schließlich unsicher.

„Nein, das bin ich nicht", erwiderte er langsam, legt dabei seine Hände in ihre Taille und ließ sie ein kleines Stück nach unten gleiten, aber ohne Absicht, wie in einem Spiel. „Ihr seid eine so prächtige Stute", flüsterte er und ließ sie vorsichtig wieder los. „Edel, feurig und ein bisschen widerspenstig. Ich wünsche mir, dass sich dieses Haus füllen möge mit euren Kindern." Noch bevor Tabitha reagieren konnte, wandte Eleazar sich von ihr ab und ging nun zielstrebig auf die Tür zu. Plötzlich blieb er stehen. „Aber wenn ihr unsicher seid, was für eine Art von Mensch ich bin", rief er ihr wie aus einer großen Entfernung zu, „dann fragt Kyron."

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt