Dann kam die Zeit, in der Silas zu arbeiten begann. Der Aufseher wies ihm einen Platz in den Stallungen zu, wo er zweimal am Tag ausmisten, das Einstreu wechseln, die Tiere tränken und füttern sollte. Die restliche Zeit war er damit beschäftigt, gemeinsam mit anderen Sklaven an einer neuen Wasserleitung zu bauen. Die Arbeit war schwer und Silas stellte sich nicht allzu geschickt an. Er hatte Mühe, mit der Gabel den Mist von der Streu zu trennen, immer wieder wurde ihm schwindlig und wenn er sich, um mit den anderen mitzuhalten, bemühte, große kräftige Bewegungen zu machen, rissen die Blutkrusten auf seinem Rücken auf. Am Abend des ersten Tages waren Silas Handflächen mit blutunterlaufenen Blasen überzogen. Am nächsten Morgen platzten sie auf, doch unter dem wachsamen Blick des Aufsehers wagte er es nicht, die Mistgabel aus der Hand zu legen. Später wickelte ihm eine Sklavin einen Fetzen Stoff um die Hände, sodass er das offene Fleisch zumindest nicht mehr ansehen musste. Er fühlte sich schwach und hasste seine Schwäche. Er wollte tüchtiger sein als die Männer neben ihm und konnte sich doch kaum auf den Beinen halten. Zumindest war der Aufseher einigermaßen milde. Natürlich schlug er sie während der Arbeit, doch nie unmäßig. Auch schonte er seinen Rücken und begnügte sich damit, mit der Rute Silas Unterschenkel zu bearbeiten.
Es gab einen einzigen Moment am Tag, den er herbeisehnte. Spät am Abend, wenn er wusste, dass keiner mehr etwas von ihm verlangte, wenn er sich auf den lehmigen Boden des Schlafraumes neben den anderen hinlegte, den Kopf auf die verschränkten Unterarme bettete. Nie zuvor in seinem Leben hatte Silas auf einem so harten Lager geschlafen. Schon nach kurzer Zeit schmerzten ihn die Glieder und der Hunger wühlte seinen Magen auf. Und doch war er dankbar dafür, dass er einen weiteren Tag hinter sich gebracht hatte, und dafür, dass nun ein paar Stunden kommen würden, in denen er einfach nur daliegen und in einen tiefen traumlosen Schlaf fallen durfte.
Silas atmete ruhig, er roch den Schweiß des Sklaven neben ihm, weiter hinten hörte er eine Frau leise stöhnen, dann den kleinen erstickten Schrei eines Mannes, zwei Menschen, die sich in einem kurzen Augenblick der Leidenschaft der Illusion hingaben, dass es für sie etwas zu begehren und zu ersehnen gab. Sonst blieb es ruhig. Die Nacht war mild, ein angenehmer Lufthauch drang durch die offenen Fenster. Da plötzlich hörte er von draußen laute Schritte und das Schnalzen einer Peitsche. Es konnte nur die Luft sein, welche die Treibschnur zum Klingen gebracht hatte, und doch zuckte Silas innerlich zusammen. Der Mann neben ihm lag so dicht an seinem Körper, dass er sein Zittern spürte. Dann ertönte eine bekannte Stimme, es war Anek, der junge Herr.
„Treibt sie heraus, das schmutzige Gesindel!" schrie er und im gleichen Moment kam Bewegung in den Schlafraum. Überall richteten sich die Sklaven hektisch auf, die Tür wurde aufgerissen und die Aufseher wiesen ihnen den Weg hinaus in den Hof. In einer eilig gebildeten Reihe folgten sie dem Befehl, draußen wurde die Nacht vom flackernden Licht der Fackeln erhellt.
„Ihr dreckige Saubagage", brüllte Anek. „Was macht ihr für einen Lärm, dass man im Palast kein Auge zutun kann. Habt ihr nicht genug Arbeit, dass ihr am Abend keine Ruhe geben könnt? Wartet nur, ich werde euch schon lehren, die Nachtruhe einzuhalten!"
Was soll das? dachte Silas. Keiner von ihnen hatte einen Ton von sich gegeben, den man auch nur im Entferntesten vom Herrenhaus her hätte hören können. Entweder der Nehab ist verrückt geworden oder er treibt seinen Spott mit uns, überlegte Silas und verzichtete darauf, eine Entscheidung zu treffen, denn für ihre momentane Lage war die genaue Ursache des nächtlichen Besuchs ohnehin bedeutungslos. Sie standen alle aufgefädelt nebeneinander, die Köpfe gesenkt, jeder hatte Angst. Anek hatte inzwischen damit begonnen, einzelne Sklaven aus der Schlange herauszugreifen. Er hatte also vor, sie nicht alle zu züchtigen, sondern an einzelnen ein Exempel zu statuieren. Dass dies für ihn kein Vorteil sein konnte, war Silas sofort klar. Es war ihm zwar in den letzten Tagen gelungen, seinem Herrn nicht unter die Augen zu treten. Doch es bestand kein Zweifel daran, dass sein helles Haar uns sein vernarbter Rücken ihn heute verraten würden, ganz gleich, wie sehr er sich auch bemühte, den anderen Sklaven an Demut um nichts nachzustehen. Trotzdem blieb er regungslos, den Blick auf den Boden gerichtet, den Kopf eingezogen.
Er hörte, wie Anek tobte. Der Ägypter sprach schnell und seine Stimme überschlug sich in der Rage, weshalb es Silas, so sehr er sich auch bemühte, nicht gelang, die Wut-Tiraden zu übersetzen. Der Sklave, der gerade seine Abreibung erhielt, wimmerte vor Schmerz und flehte um Erbarmen. Auch ihn konnte Silas schlecht verstehen, ein einziges Wort nur drang immer wieder klar zu ihm durch: „Na, Na", Gnade. So ging es eine Weile weiter. Verstohlen schielte Silas in die Richtung, wo sich das traurige Schauspiel vollzog. Es schien sich immer wieder das gleiche Muster zu wiederholen. Der ausgewählte Sklave fiel vor seinem Herrn auf die Knie. Manch einer neigte dabei seinen Oberkörper zur Erde, und bettelte darum, verschont zu werden. Anek dagegen kommentierte die Verzweiflung seiner Untergebenen mit kräftigen Fußtritten und gab schließlich den Aufsehern ein Zeichen, worauf sie den Sklaven zwangen sich hinzulegen, ihm Arme und Beine streckten und schließlich mit ihrem Gewicht am Boden fixierten. Dann ließ der junge Herr seine Peitsche erbarmungslos auf den Rücken, das Gesäß und die Beine seines Opfers niederzischen. Silas vermochte nichts anderes wahrzunehmen. Das Vibrieren der Luft, das Ziehen der Peitsche, ihr Aufprall, das Schreien, Wimmern und Stöhnen, all diese Geräusche hatten sein Inneres längst ausgefüllt, ergriffen ihn, als gäbe es keine Welt außerhalb von diesem einen Innenhof mit seinen kalten teilnahmslosen Mauern.
Dann wurde es plötzlich still. Die Sklaven, welche die Züchtigung bereits über sich ergehen hatten lassen müssen, unterdrückten mühsam ihren Drang, dem Schmerz Ausdruck zu verleihen. Zu groß war ihre Furcht, die Aufmerksamkeit des Herrn noch einmal auf sich zu lenken. Der schritt weiter die Reihe ab. Er schrie nun nicht mehr, kam näher. Unmittelbar vor Silas blieb er stehen.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...