Ehepflichten

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„Nun gut, Achior. Du wolltest also Geschäfte machen. Darf ich fragen, was für Waren Gamaliel von dir gekauft hat? Hast du sie selbst gebracht oder hattest du Sklaven, die dir beim Liefern behilflich waren?" Er sah Tabitha fragend an und sie schüttelte kaum merkbar den Kopf. Achior schwieg. Eleazar erhob sich und näherte sich Achior langsam. Er hatte beide Hände im üppigen Stoff seiner Tunika verborgen. „Also, was hast du gehandelt?" sagte er scharf. „Deinen Körper wirst du ihm nicht angeboten haben", bemerkte er nach einer Weile zynisch. „Der Fettsack ist prüde wie eine alte Jungfer. Er treibt es nicht einmal mit den Fohlen im Stall, so sehr fürchtet er sich vor dem Zorn Gottes."

Achior zögerte noch immer, aber der Umstand, dass Eleazar drohend vor ihm stand, zeigte ihm, dass er keine andere Wahl hatte, als zu sprechen. „Er wollte Informationen und ich habe sie ihm beschafft", murmelte er und fügte dann fast flehend hinzu: „Aber das hatte nichts mit euch zu tun."

„Was für Informationen?" erkundigte sich Eleazar ungerührt.

„Mein Herr, ich bitte euch, das kann ich euch wirklich nicht verraten."

„Ach nein?", erwiderte Eleazar höhnisch und zog in dem Moment seine rechte Hand zwischen den schweren Stofffalten hervor. Kurz blitze die Schneide eines Messers auf, dann stach Eleazar zielsicher zu. Als er die Waffe zurückzog, hinterließ er unmittelbar oberhalb des rechten Schlüsselbeines eine klaffende Wunde. Achior taumelte, berührte mit den Armen den Boden, rang um Luft, richtete sich aber doch wieder auf, kam mühsam auf die Beine und wankte ein paar Schritte in den Raum hinein. Eleazar stand regungslos da und hielt das blutverschmierte Messer in der Hand. „Gamaliel", brachte Achior vor Schmerz stöhnend hervor, während er immer noch taumelte und beide Hände gegen die stark blutende Wunde presste. „Er wollte verhindern, dass Hyrkan König wird."

„Das ist ihm auch gelungen", stellte Eleazar nüchtern fest.

„Die Römer", stammelte Achior, mühsam um jede einzelne Silbe ringend, „Sie ändern eben ihre Meinung. Sie tun, was ihnen gefällt."

„Sie haben ihre Meinung geändert, weil sie jemand informiert hat. Weil sie über Antipaters Pläne Bescheid wussten, Achior." Eleazar wurde nun lauter. „Die Römer hatten nicht vor, aus Judäa eine Provinz zu machen, das weißt du. Sie wollten lediglich ein mit Pompeius verbündetes Klientenreich errichten. Der Königssessel wäre leer geblieben, Hyrkan hätte vorerst nur einen religiösen Titel geführt und später, wenn Pompeius aus Syrien abgezogen wäre, hätte Antipater Hyrkan vom Volk zum König ausrufen lassen." Während Eleazar sprach, schleppte sich Achior schwach und dabei doch rastlos durch den Raum. Unter seinen Händen quoll das Blut hervor. Eleazar folgte ihm mit einer gewissen Distanz und fuhr wie ein Lehrer in seinem Vortrag fort: „Es war alles geregelt. Ich hatte die wichtigsten Aristokraten bestochen, die Führer der jüdischen Streitkräfte. Die Römer hätten Hyrkan nicht mehr absetzen können, ohne den Frieden in der Region zu gefährden. Aber leider..."

Eleazars Stimme nahm einen bedrohlichen Klang an. Er griff Achior grob in die verschwitzten Haare und riss seinen Kopf zurück, sodass für einen Augenblick noch mehr Blut aus seiner Wunde strömte. „Leider hat Pompeius davon erfahren. Er ernannte Hyrkan zum Etnarchen und nahm ihm damit die Möglichkeit, sich als König ausrufen zu lassen, ohne an den Römern Hochverrat zu begehen. Und die Pharisäer erhielten jene Macht, die sonst den königstreuen Sadduzäern zugekommen wäre. Das war ein schwerer Schlag für die Sadduzäer", fuhr er ihn an und riss seinen Schädel noch einmal nach hinten. Achior stöhnte und krümmte sich im nächsten Augenblick zusammen, denn Eleazar hatte ihm das Messer in den Bauch gerammt. „Es war ein schwerer Schlag für Antipater und auch für mich, Achior", brüllte er. „Und wem habe ich das zu verdanken?"

„Herr", bat Achior mit schwerer Zunge. Blut rann aus seinem Mund und der Boden unter seinen Füßen verfärbte sich immer mehr in ein tiefes Rot. „Herr, habt Erbarmen mit mir." Tabitha sah, dass Achior kaum noch atmen konnte. Sie wollte Eleazar um sein Leben bitten, doch sie wusste zugleich, dass es sinnlos war. Mehr noch, allmählich begriff sie, dass Eleazar noch vor der Unterredung den Entschluss gefasst haben musste, Achior hinzurichten. Auf mein bloßes Wort hin, sagt sie sich und ein Gefühl von Schuld füllte sie aus, das so mächtig war, wie sie es noch nie zuvor empfunden hatte. Achior schwankte, hielt sich aber auf den Beinen. Er hatte eine Hand von seinem Hals gelöst und presste sie nun gegen den Stich in seinen Eingeweiden.

„Du hast mich verraten, Achior", sagte Eleazar, plötzlich wieder ruhig. "Mich", wiederholte er, "mich hast du ihm verkauft." Dann stach er ein weiteres Mal von vorne zu. Achior spuckte Blut, sein unterdrückter Aufschrei glich einem hilflosen Gurgeln. Tabitha fuhr sich mit der Hand über die Augen und die Stirn, zwang sich gleich darauf aber, ruhig sitzen zu bleiben und die Hände in den Schoß zu legen. Sie konnte es kaum ertragen, die Szene mitzuverfolgen, doch es gelang ihr auch nicht, den Blick abzuwenden. Sie hatte noch nicht viele Menschen durch Gewalt sterben sehen. Und sie hatte nichts von den politischen Machenschaften gewusst, die Eleazar wie in einem Rausch von sich gegeben hatte. Wie bin ich all die Jahre ein Kind gewesen, sagte sie sich, habe mich für klug und gebildet gehalten und hatte dabei doch nichts von dieser Welt begriffen.

„Nicht euch", stöhnte Achior mit ersterbender Stimme. „Ich habe Antipater verraten. Bitte", flehte er noch einmal, auch wenn es für Gnade wohl schon reichlich spät war.

„Es ist dasselbe", erwiderte Eleazar trocken, kam näher an ihn heran und stach ihm das Messer in den Rücken. Er musste unterhalb der Rippen angesetzt haben, denn seine Hand beschrieb eine Aufwärtsbewegung, die Achior endgültig auf den Boden zwang. Gekrümmt blieb er liegen, sein Körper zuckte und das Blut nahm eine immer größere Fläche ein. Jetzt endlich gelang es Tabitha ihren Blick vom sterbenden Achior zu lösen. Eleazar kam auf sie zu. Behutsam legte er das Messer auf eines der Kupfertischchen. Passend zum Rot der Granatäpfel, ging es Tabitha durch den Kopf und sie erschrak im selben Moment über sich selbst und darüber, wie sie zu einem so herzlosen Gedanken fähig sein konnte

„Ich hoffe, unsere kleine Darbietung war nicht zu abstoßend für euch", sagte er und seine Stimme hatte einen sanften Klang, sodass es Tabitha einmal mehr schwer fiel zu entscheiden, ob er sie verspottete. Ich darf keine Schwäche zeigen, nahm sie sich vor und zwang sich, Eleazar teilnahmslos in die Augen zu sehen.

„Ich befürchte, es werden Flecken auf dem Marmor bleiben", stellte sie fest und Eleazars Gesicht verzog sich zu einem breiten Grinsen. Es war die richtige Antwort, dachte sie und stand auf. Sie wollte so schnell als möglich den Saal mit dem toten Achior verlassen und Eleazar nicht mehr gegenüber stehen müssen.

„Keine Sorge, mein Täubchen", erwiderte Eleazar freundlich, doch diesmal empfand sie den Kosenamen als unerträglich. „Blut lässt sich ganz ausgezeichnet mit einer Mischung aus Salz und Öl entfernen."

„Das ist beruhigend", gab Tabitha trocken zurück und nickte Eleazar zum Gruß knapp zu. Dann ging sie an Achiors Leichnam vorbei in Richtung Tür. Ohne es zu wollen, warf sie ihm noch einen letzten Blick zu. Das Gesicht war blass und hob sich scharf vom Blut ab, in dem der Schädel lag, die Augen waren weit aufgerissen, der Mund geöffnet, das verschwitze Haar fiel dem Toten in Strähnen über die Stirn.

„Tabitha, wartet", hielt sie da die Stimme ihres Mannes zurück. Er war jetzt ernst und, wie es ihr schien, aufrichtig. „Ihr habt mir die Augen geöffnet. Ich schulde euch Dank."

Tabitha drehte sich zu ihm um. „Ehepflichten", erwiderte sie trocken und wieder lächelte Eleazar.

„Ich würde euch gerne eine Freude machen", beharrte er und noch bevor Tabitha widersprechen konnte, sagte er: „Nehmt Kyron." Als er Tabithas fragenden Blick bemerkte, fügte er hinzu: „Ich schenke ihn euch. Ihr könnt mit ihm tun, was ihr wollt." Er kam auf sie zu und blieb unmittelbar vor ihr stehen. Dann griff er vorsichtig nach einer Bahn ihrer Stola und korrigierte die Position des Stoffes um eine Fingerbreite. Das Blut an seinen Händen war bereits getrocknet und hinterließ keine Flecken. Sein Gesicht war nah an dem ihren. „Er ist ein netter Junge", flüsterte Eleazar ihr zu. „Ihr werdet schöne Stunden mit ihm verbringen."

„Also gut", entgegnete Tabitha mit einer gewissen Eile, denn sie hatte nur den einen Wunsch, ihren Gatten, den Empfangssaal und den toten Achior endlich hinter sich zu lassen. Mit einer angedeuteten Geste des Dankes wandte sie sich wieder ab und verließ den Raum. Sobald sie die Tür geschlossen hatte, beschleunigte sie ihre Schritte. Hinter sich hörte sie die Sklaven, die nun in den Saal eilten. Um den weißen Marmor mit Salz und Öl zu behandeln, dachte sie bitter und ging noch schneller.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt