Griechischer Prinz

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„Sieh an", sagte er mit einer gekünstelten Freundlichkeit und hielt kurz inne. „Unser griechischer Prinz ist auch noch wach." Er wartete. Silas Herz schnürte sich zusammen, Tränen schossen ihm in die Augen und er war einen kleinen Moment lang froh darüber, dass er den Kopf gesenkt halten musste. Er wartete, dass Anek ihn grob am Arm packen würde, wie er es bei den anderen getan hatte, aber nichts geschah. „Komm ein bisschen näher zu mir", säuselte der Ägypter und als Silas nicht sofort reagierte, fügte er hinzu: „Oder hast du etwa Angst vor mir?"

Nein, das habe ich nicht, wollte Silas schon erwidern, doch er biss sich gerade noch rechtzeitig auf die Unterlippe. Sei still, du Narr, beschwor er sich, es wird auch so schlecht genug für dich ausgehen. Gehorsam machte er ein paar Schritte auf Anek zu. Der reagierte nicht gleich, sondern ließ wieder Zeit vergehen, eine Zeit, die Silas endlos schien. Natürlich hatte er Angst, wobei der Ausdruck Angst noch bei weitem zu schwach war, um zu beschreiben, was sich in in seinem Inneren abspielte. Und natürlich wusste Anek nur zu gut, wie Silas die Erwartung des Unausweichlichen quälte. „Ich möchte dich etwas fragen, mein Lieber", flüsterte sein Herr so süß, als wollte er eine Geliebte betören. „Hast du heute schon deine Prügel bekommen?"

Silas schwieg. Er presste die Zähne aufeinander, denn er befürchtete, dass auch sie vom Zittern seines Körpers erfasst werden und ihn auf diese Weise verraten könnten. Kurz schloss er die Augen, doch das wild tanzende Licht der Fackeln suchte ihn auch so noch heim. „Du redest noch immer nicht mit mir?" hörte er Anek sagen und mit einem Mal klang seine Stimme böse, vertraut.

„Ihr seid wohl nicht zum Reden gekommen, Nehab", erwiderte er laut und deutlich und bereute dabei seine Worte, noch bevor er sie zu Ende gesprochen hatte. Doch der Ausbruch an Wut kam nicht sofort. Vielmehr machte Anek einen Schritt nach hinten, fast als würde er sich nicht mehr für Silas interessieren. Er wartete eine Weile, bevor er beinahe tonlos seinen Befehl erteilte: „Leg dich hin!" Auch wenn Silas wusste, dass es sinnlos war, hätte er doch um Gnade flehen wollen wie die anderen, einfach nur um irgendetwas zu tun, das die kleinste Chance in sich barg, seine Lage zu verbessern. Sein Magen hatte sich so stark zusammengekrampft, dass ihn die Übelkeit beinahe in die Knie zwang, er hörte seinen eigenen Herzschlag laut gegen die Wände seines Schädels pochen. Wie kann dieser eine Mann, wie kann dieser lachhafte Bastard eine solche Macht über mich besitzen, dachte er und spürte dabei, wie etwas in ihm hart wurde und kämpferisch. Silas bewegte sich nicht.

„Iri!" brüllte Anek und wieder: „Iri!" Silas blieb stehen. Da spürte er einen sanften Druck auf seiner linken Schulter. Es war einer der Aufseher, Aqurakamani, jener Nubier, dem Silas unmittelbar untergeordnet war. „Komm schon, Kleiner, mach es nicht noch schlimmer", flüsterte er ihm ins Ohr und drückte ihn vorsichtig, aber bestimmt auf den Boden. Die Kraft, die Aqurakamani einsetzte, war so gering, dass Silas leicht hätte dagegen halten können. Aber er tat es nicht. Vielleicht war er sogar froh, dass man ihm die Entscheidung abgenommen hatte. Er legte sich hin und streckte ohne zu zögern die Arme nach vorne aus. Sofort wurden seine Füße fixiert und auch auf seinen Handgelenken spürte er das Gewicht des Aufsehers. Anek trat näher. Er schien seine Beherrschung wieder erlangt zu haben.

„Ich habe meiner Schwester versichern müssen, dass ich deinen Rücken nicht antasten werde", sagte er mit gespielter Milde und: „Sie hat sich mein Versprechen einiges kosten lassen." Unwillkürlich tauchte Naylas Bild vor Silas Augen auf. Ihr Lachen, ihre Warnung. Ob sie auch hier war? „Aber zum Glück", setzte Anek voller Zynismus hinzu: „besteht der Körper eines Sklaven nicht nur aus seinem Rücken." Er hatte die Peitsche in seiner Hand wohl umgedreht und strich Silas nun hart mit dem Griff über den rechten Oberschenkel.

„Steh noch einmal auf und zieh den Lendenschurz aus", befahl er und Silas kam es vor, als würde die Stimme des Herrn wie durch ein Lachen vibrieren. Sofort gaben die Aufseher seine Hände und Füße frei. Silas stand auf und befolgte den Befehl des Ägypters mechanisch. Dabei dachte er noch einmal an Nayla und hoffte, dass sie irgendwo dort im Palast, weit weg von ihnen, in ihrem weichen Lager liegen und jedenfalls nicht Zeugin seiner Züchtigung sein würde. Dann legte er sich wieder hin und Anek begann sein Werk.

Er ging diesmal systematisch vor. Kurz unterhalb der Nieren setzte er an und arbeitete sich Stück für Stück in Richtung Füße weiter. Silas hatte aus den Augenwinkeln noch gesehen, wie Anek die Peitsche weggelegt und nach einem anderen Gegenstand gegriffen hatte. Vermutlich, weil er etwas brauchte, mit dem er exakter arbeiten konnte. Der Schmerz, den er erzeugte, war spitz und stechend, die Striemen fühlten sich wie gerade Striche an. Es könnte ein dünner, mäßig biegsamer Gegenstand sein, dachte Silas, vielleicht ein Rohrstock. Nicht zu lang, denn sein Herr musste sich zu ihm hinunterbeugen. Silas hatte zwar keine Erfahrung in derartigen Dingen, aber Jonathan hatte einmal seinem Drängen nachgegeben und ihm erzählt, wie sich die unterschiedlichen Stöcke, Ruten und Riemen auf der Haut anfühlten. Und er hatte ihm auch gesagt, dass früher oder später der Moment kommen würde, wo es unmöglich war, einen Unterschied auszumachen.

Anek verweilte lange bei jedem kleinen Stückchen Haut, wechselte von einzelnen brutalen Schlägen zu einer schnellen Abfolge von Hieben und zurück. Immer wieder befahl er einem Diener, das Blut abzuwischen. „Vielleicht ist es dir nicht aufgefallen", sagte er höhnisch zu Silas, „Aber ich spreche Griechisch, damit du mich gut verstehen kannst." Silas konnte ihn verstehen und er konnte vor allem seine eigene Hilflosigkeit fühlen, wie er vor diesem Mann, den er aus ganzem Herzen hasste, im Staub liegen musste, zu keinem anderen Zweck, als sich von ihm quälen zu lassen, wie lange es ihm eben gefiel. Als Anek seine Kniekehlen erreicht hatte, konnte Silas das Aufbäumen seines Körpers nicht mehr unterdrücken. Zwar saßen die beiden Aufseher schwer auf seinen Hand- und Fußgelenken, doch sein restlicher Körper wand sich verzweifelt unter den Schlägen. Anek lachte laut und drosch noch fester auf ihn ein. Jemand schüttete ihm kaltes Wasser über den Kopf. Man wollte wohl verhindern, dass er wieder bewusstlos würde. Irgendwann, Silas Tränen benetzten längst den sandigen Boden und er drückte das Gesicht fest in die Erde, damit keiner davon Kenntnis nehmen könnte, hatte Anek das Ende seiner Unterschenkel erreicht. Er hielt inne und richtete sich auf. Wieder schüttete man Silas Wasser über den Kopf.

„Und nun, mein lieber Prinz", sagte er voll Wonne. „Sollen wir noch einmal von vorne beginnen?" Silas spürte, wie sein Brustkorb bebte. Er war zu keinem einzigen Gedanken fähig. Er hörte nur noch, wie die Schritte seines Herrn sich nach hinten entfernten, zögerlich, so als würde er sich widerwillig fortführen lassen. Wer konnte das sein? Silas wusste es nicht und es war ihm auch gleichgültig. Alles um ihn herum war still. Noch immer aber war da ein Lufthauch, der sanft über sie hinweg strich. 

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