Da hörte er hinter sich plötzlich ein unterdrücktes Kichern. Hektisch drehte er sich um und entdeckte tatsächlich zwei Soldaten, die bewusst ungezwungen an der Steinmauer lehnten und Silas nun, da sich ihre Blicke trafen, arrogant ins Gesicht lachten.
„Es ist also wahr", prustete der eine heraus und musterte Silas dabei derart herablassend, dass der unwillkürlich die rechte Faust ballte.
„Was ist wahr?", gab Silas schroff zurück und machte ein paar Schritte auf die beiden zu. Seine Körperhaltung war drohend und er sah, wie die Soldaten kaum merklich zusammenzuckten. Dem, der bis jetzt noch nicht gesprochen hatte, gelang es besser, seine Verunsicherung zu überspielen.
„Dass du ein Sklave bist", erwiderte er arrogant und richtete sich nun seinerseits auf.
„Ich bin kein Sklave", entgegnete Silas selbstbewusst. Er warf den beiden einen bösen Blick zu und wollte schon zurück zum Brunnen gehen, um sich wieder anzuziehen. Doch das neuerliche spöttische Lachen der Soldaten hielt ihn davon ab.
„Bist oder warst, was macht das schon für einen Unterschied", stichelte der andere, „Einmal Sklave bleibt immer Sklave. Habe ich nicht Recht, Asarja?"
„Aber natürlich, Elimelech!", pflichtete ihm Asarja bei. Silas war wie gelähmt. Er starrte die beiden an, ihr widerliches Grinsen war ihm wie tausend Stiche in der Brust. Er überlegte, ob er sie kannte, aber er konnte sich nicht erinnern, dass er sie schon einmal gesehen hatte. Zumindest hatten sie nicht in der gleichen Gruppe ihre Kampfübungen absolviert und auch jetzt arbeiteten sie nicht in derselben Abteilung. Überhaupt wirkten die jungen Männer auf Silas eher schmächtig. Vermutlich reiten sie den ganzen Tag zwischen den Materialtrupps und der Festung hin und her, weil sie für harte Arbeit nicht taugen, ging es Silas durch den Kopf.
„Sklave!", rief da Elimelech spöttisch. „Komm her und wasch mir die Füße!"
Silas atmete tief durch. Wenn Jonathan und er sich mit anderen Burschen gestritten hatten, war immer er es gewesen, der als erster eine Schlägerei vom Zaun gebrochen hatte, während Jonathan stets bemüht war, die Lage zu beruhigen. Auch jetzt war sich Silas sicher, dass es nur eine einzige richtige Antwort für Elimelechs Provokation gab. Und doch zögerte er. Wie in jeder Armee war es auch den Soldaten des Aristobulus verboten, Streitigkeiten mit Gewalt auszutragen. Natürlich geschah das trotzdem, aber Silas wollte alles andere, als sich ausgerechnet über die Befehle desjenigen Mannes hinwegsetzen, dem er seine Freiheit verdankte und den er von ganzem Herzen verehrte. Wie oft hat Peitholaos betont, dass es in der eigenen Truppe kein Gegeneinander geben darf, sagte sich Silas. Er ging noch etwas näher auf seine beiden Gesprächspartner zu. Wieder schien es ihm, als würde ihr Grinsen für einen kurzen Augenblick erstarren.
„Wasch dir deine Füße selbst, Elimelech", gab er gelassen zurück. „Du bist ein Dummkopf und dein Freund genauso."
„Hört, hört!", spöttelte Elimelech und tat dabei, als würden sich seine Worte nur an Asarja richten. „Wie schlecht sein Benehmen ist."
Asarja lachte unnatürlich schrill auf. „In der Tat", stellte er mit gespieltem Bedauern fest. „Die bisherige Erziehung scheint nicht viel genützt zu haben." Er nahm mit der rechten Hand die Kordel, die er um seine Hüften gebunden hatte und ließ sie selbstgefällig in der Luft kreisen. „Da sollte man wohl noch etwas nachhelfen, meinst du nicht?"
Silas schüttelte voller Verachtung den Kopf. Die beiden widerten ihn an und er hatte nur den Wunsch, die Unterhaltung so schnell als möglich zu beenden. Er wollte zum Brunnen zurückgehen und sich anziehen. Zugleich missfiel ihm aber die Vorstellung, dass er ihnen dabei den Rücken zuwenden würde müssen. Kurz überlegte er, ob er rückwärts gehen sollte, doch das schien ihm zu lächerlich.
„Dabei ist er Peitholaos gegenüber ein Musterbild an Gehorsam", stichelte nun wieder Elimelech. Einer spielte dem anderen den Ball zu, als ob sie das Gespräch zuvor einstudiert hätten. Elimelech wartete kurz. „Und an Schleimerei", fügte er dann gehässig hinzu und spuckte Silas vor die Füße. „Oder woran sonst könnte es liegen, dass er in den Kader aufgenommen worden ist und mit dem Oberbefehlshaber Seite an Seite Fechtübungen machen darf, während unsereins sich mit stumpfsinnigen Bauerntölpeln abgeben muss."
Silas fixierte seine beiden Gegner. Er war sich sicher, dass sie ihm keine großen Schwierigkeiten bereiten würden. Und er begehrte in dem Moment nichts mehr, als ihnen ihr widerwärtiges Grinsen austreiben. Er stellte sich vor, wie er den ersten Schlag ausführen würde. Doch zugleich ermahnte er sich, ruhig zu bleiben. Ein Grieche verliert nicht die Beherrschung, hatte ihn seine Mutter immer wieder liebevoll getadelt, wenn sie ihm nach einer Schlägerei die Wunden ausgewaschen hatte.
„Vielleicht liegt es daran, dass ich im Unterschied zu euch beiden Milchbuben kämpfen kann", gab Silas kühl zurück und war nun entschlossen, zum Brunnen zurück zu gehen, auch wenn er seinen Rücken damit ihren Blicken aussetzen musste. Er wandte sich von ihnen ab und spürte, wie die Spannung, die sich in ihm aufgebaut hatte, bereits ein wenig nachließ.
„Oder aber es liegt an den besonderen Diensten, die der Sklave seinem Herrn erweist", hörte er da Elimelechs boshafte Stimme hinter sich. Silas drehte sich mit einem Ruck um. Ungläubig starrte er in ihre lachenden Gesichter. Natürlich hatten sie bemerkt, wie sehr die letzte Bemerkung Silas getroffen hatte, und sie gaben sich keinerlei Mühe, ihre Befriedigung zu verbergen.
„Welche Dienste?", fuhr Silas Elimelech schroff an. Der dagegen lehnte sich etwas zurück und genoss es sichtlich, sich mit der Antwort Zeit zu lassen.
„Ich denke, das wirst du schon selbst wissen", antwortete er endlich und seine Stimme hatte einen schmutzigen Klang. Bei seinen letzten Worten ließ er die Hand in seinen Schritt gleiten und fuhr mit einer anzüglichen Geste über die Stelle, wo sich unter der Tunika sein Geschlecht verbarg. Dabei stöhnte er leicht und grinste Silas herausfordernd an.
Silas war angewidert und entsetzt zugleich. Er hatte mit jeder Art von Spott gerechnet, nur damit nicht.
„Du machst das bestimmt gut", hörte er da wieder Elimelech säuseln. „So wie alle griechischen Sklaven." Das Wort griechisch betonte er dabei auf eine Art und Weise, die Silas wehtat. Er verschränkte die Arme auf der Brust und zwang sich, ruhig zu bleiben.
„Ist dir klar, dass du mit dem, was du sagst, nicht nur mich, sondern auch Peitholaos beleidigst?", fragte er tonlos.
„Aber nein", erwiderte Elimelech mit einem schmeichelnden Tonfall. „Wer wollte denn dem Oberbefehlshaber einen Vorwurf machen? Natürlich würde er ein Weib vorziehen." Elimelech machte eine Pause und musterte Silas mit einem schmutzigen Blick. „Aber die langen Monate in der Wüste. Und dann kommst du mit deinen blauen Augen und deinen blonden Haaren, fast wie ein Mädchen." Silas atmete schwer. Er konnte noch immer kaum glauben, dass Elimelech tatsächlich sagen sollte, was er ihn sagen hörte. Wie ein Mädchen, wiederholte Silas innerlich und schüttelte belustigt den Kopf. Er hatte sich immer viel auf sein männliches Aussehen eingebildet und die Frauen, mit denen er das Bett geteilt hatte, hatten ihn darin nur bestätigt.
„Du bietest dich ihm an", fuhr Elimelech leise fort und verzog sein Gesicht, als würde er sich vor Silas ekeln. Er seufzte, wie wenn er in den Armen einer Geliebten liegen würde. „Berechnend und..." Er wartete und fügte dann mit unbarmherziger Härte hinzu: „... billig. Wie ihr griechischen Sklaven es eben seid."
In dem Moment spürte Silas, wie etwas in ihm aufbrach und in einer plötzlichen unkontrollierten Wut trat er Elimelech gegen das rechte Knie. Der schrie vor Schmerz laut auf, fiel hin und krümmte sich am Boden. Asarja wollte seinem Freund zu Hilfe kommen, doch Silas parierte seinen Angriff mit der linken Hand und schlug ihm dann mit der rechten dreimal kräftig ins Gesicht. Während Asarja bereits in die Knie ging, trat ihm Silas noch einmal in den Bauch. Dann setzte er sich auf Elimelechs Rumpf und drückte seine Schultern fest in den Sand. Im Hintergrund hörte er aufgeregtes Rufen, Soldaten, die auf sie zuliefen. Billig, wie ihr griechischen Sklaven es eben seid, hallte es in ihm wider. Er hob die Faust und verpasst Elimelech einen Kinnhaken, dann einen zweiten. Er sah das Blut, die vor Entsetzen und Angst aufgerissenen Augen, doch er konnte nicht aufhören. Es war wie ein Rausch. Er holte wieder aus. Er hörte ein Krachen, vielleicht war es das Kiefer des anderen, vielleicht die Knochen seiner eigenen Faust. Das Gesicht unter ihm war entstellt, verfremdet, es hätte jeder sein können, Elimelech, Anek, der römische Soldat, der Jetur getötet hatte.
DU LIEST GERADE
Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...