Sohn des Antipater

36 12 2
                                    

„Nicht so eilig, mein Lieber", säuselte sein Gesprächspartner unbeirrt. „Ihr habt auch einen Centurio getötet, wenn ich mich nicht irre. Der Optio, der eure Verbrechen bezeugen kann, dient zurzeit in Spanien. Wer weiß, vielleicht ist er längst gestorben. Cäsars Kampfgeist fordert das eine oder andere Opfer, wenn ihr versteht, was ich meine."

Jonathan nickte. Denn es war das Einzige, was ihm zu tun einfiel. Dass es einen Bericht geben sollte, war ihm neu. Doch waren die Worte des Fremden durchaus plausibel. Von seinem Vater wusste Jonathan nämlich, dass die Römer bemüht waren, jedes noch so unbedeutende Ereignis zu protokollieren und die Niederschriften dann für ihre Archive vervielfältigen zu lassen. Es gibt ihnen das Gefühl von Macht, hatte er gesagt und Jonathan hatte sich gewundert, aus Schlomos Mund etwas zu hören, das beinahe als Kritik an der Besatzungsmacht angesehen hätte werden können.

Er überlegte kurz. Dann stand er auf und tat so, als ob er zu einem der Tischchen gehen und sich etwas zu essen holen wollte. Wenn er schnell genug war, würde er es vielleicht schaffen, den Weg zurück zu laufen, das Haus zu verlassen und in der Suburra unterzutauchen. Jonathan nahm einen Obstspieß und tauchte ihn in eine kleine Schale mit Honig. Er drehte sich ein wenig zur Seite um zu kontrollieren, ob sein Fluchtweg frei war. Doch was er dabei sah, ließ ihn sein Vorhaben zumindest vorübergehend vergessen. Auf einer der Liegen waren zwei Männer gerade damit beschäftigt, sich mit einer Frau zu vergnügen. Das war an diesem Ort bestimmt nichts Außergewöhnliches. Doch die Gewalt, die sie anwendeten, machte Jonathan wütend, außerdem der Umstand, dass es sich bei dem Mädchen mit dem schmerzverzerrten, zugleich aber erduldenden Gesichtsausdruck um Thyra handelte.

Jonathan legte den Spieß zurück auf den Teller, näherte sich der Gruppe, räusperte sich und als einer der Römer zu ihm aufsah, trat er mit der rechten Ferse mit voller Kraft gegen seinen Brustkorb. Der Mann stieß einen stumpfen Schrei aus und fiel rücklings auf den Boden. Man hörte seinen Kopf aufschlagen, er japste nach Luft. Nun stand der andere auf und stellte sich Jonathan in den Weg. Doch Jonathan hätte noch genug Wut für ein halbes Duzend brünstiger Römer gehabt und so verpasste er dem zweiten Mann einen heftigen Kinnhaken. Im selben Moment wurde er von mehreren kräftigen Händen gepackt und nach hinten gezerrt. Da er seine Arme nicht befreien konnte, trat er mit den Füßen in alle Richtungen und nahm mit einer gewissen Genugtuung wahr, dass es ihm immer wieder gelang, ein Schienbein oder ein Knie zu treffen. Dann spürte er einen dumpfen Schlag am Hinterkopf und es wurde ihm schwarz vor Augen.

Als Jonathan wieder zu sich kam, befand er sich auf einer Kline, ihm gegenüber der Fremde mit dem schleimigen Grinsen. „Ihr Barbaren seid so brutal", spottete er und das Gelächter, das daraufhin ausbrach, zeigte Jonathan, dass sie Zuhörer hatten. Aber es war ihm gleichgültig. Er machte sich bewusst, dass dieser Fremde die Macht über sein Leben besaß, und spürte dennoch keine Angst. Er sah dem Mann fest in die Augen und spuckte vor ihm auf den Boden. Als Reaktion darauf stieß ihm jemand einen spitzen Gegenstand in die Rippen. Doch Jonathan war es von klein auf gewöhnt, seinen Schmerz zu unterdrücken, und daher verzog er sein Gesicht nur zu einem verächtlichen Grinsen.

„So geht es nicht Jonathan", fuhr ihn der Fremde an. Langsam verliert er die Beherrschung, dachte Jonathan und spürte dabei weder Furcht noch sonst irgendein Gefühl. „Ihr müsst euch ein wenig kooperativ zeigen." Die Stimme war jetzt wieder ruhig und süßlich. „Ihr werdet sehen, wir können auch etwas für euch tun. Do ut des, ihr versteht mich?" Der Mann winkte, und zwei Mädchen kamen näher an ihn heran. Die eine trug eine Schale mit Wasser, die andere ein Tuch. Es war Thyra. Sie tunkte das Tuch ein, wand es aus und legte es vorsichtig auf die Stelle, an der ihn zuvor der Schlag getroffen hatte. Ihre Hände zitterten. „Wir meinen es gut mit euch", hörte er den Mann sagen. Jonathan lachte zynisch auf.

„Wer seid ihr überhaupt?", gab er zurück, doch es klang mehr wie ein Angriff als wie eine Frage.

„Mein Name ist Herodes, Herodes ben Antipater", erwiderte der andere ruhig. Herodes. Hunderte Gedanken schossen Jonathan durch den Kopf. Der Sohn von Antipater. Jenes Mannes, der seine Frau und die eigenen Kinder als Geisel zu König Aretras nach Nabatäa geschickt hatte, um sich seinen politischen Einfluss in Jerusalem zu sichern. Obwohl Antipater auf derselben Seite stand wie Schlomo, hatte der sich wiederholt über die Machenschaften des Strategos beklagt. Seine Söhne, hieß es, waren noch um einiges kaltblütiger.

„Ich sehe, mein Name ist euch nicht ganz fremd?"

„In der Tat", erwiderte Jonathan kühl. „Allerdings weiß ich nicht, wie ich euch helfen könnte."

„Euer Onkel", entgegnete Herodes und beobachtete dabei lauernd Jonathans Reaktion, „hat mir erzählt, dass ihr eure Tat bereut."

„Hat er das?", gab Jonathan gleichgültig zurück und dachte dabei an Josephus. Er konnte noch nicht so recht glauben, dass ihn sein Onkel wirklich verraten haben sollte. Gewiss, er liebte das Geld. Aber er war Jonathan immer mit so viel Wärme und Zuneigung begegnet, dass er sich einfach nicht vorstellen konnte, dass Josephus ihn an einen machtgierigen Idumäer wie Herodes verkauft haben sollte. 

„Nun gut, Jonathan", ergänzte der andere, „wenn ihr meine Einschätzung hören wollt: Für Rom hängt die schönste Reue immer noch am Kreuz." Herodes machte eine Pause und nahm einen Schluck Wein. „Aber ihr habt Glück, mein Freund, großes Glück sogar. Denn ich, Herodes, bin bereit, euch zu helfen. Wollt ihr nach Jerusalem zurückkehren?"

Die Frage überraschte Jonathan. In seinen Gedanken sah er Jerusalem, die Heilige Stadt, den Tempel, er spürte den Frieden, den er nirgends sonst erfahren hatte. Tabitha, Daniel, seine Schwestern, alle, die er liebte und zurücklassen hatte müssen. Auch dachte er an seine Pläne, Silas Mutter zu unterstützen und Jeturs Brüdern ein besseres Leben zu ermöglichen. Es bestand kein Zweifel, dass es für einen Mann wie Herodes ein Leichtes wäre, ihm ein Gnadendekret zu beschaffen. Doch wollte er wirklich mit Herodes kooperieren, wie der es genannt hatte?

„Nun Jonathan", setzte Herodes langsam fort, „wir haben Probleme, ernsthafte Probleme. Pompeius will Ptolomäus wieder als König von Alexandrien einsetzen."

„Den Auletes", ergänzte Jonathan spöttisch, „das ist mir bekannt." Wieder versetzte ihm jemand einen Stoß mit demselben Gegenstand von vorhin. Außer einem leichten Zucken zeigte Jonathan keine Regung. Dafür reagierte Herodes aufbrausend. „Lass die Dummheiten, du Schwachkopf", fuhr er seinen Handlanger an. „Du verdirbst alles!"

„Den Auletes, ganz recht", ergänzte er mit süßlicher Stimme in Jonathans Richtung. „Ich sehe, ihr habt Humor. Das gefällt mir. Nun, die römische Lösung besteht darin, Ptolomäus als König zu unterstützen, aber nicht mit Waffengewalt, sondern mit...", er unterbrach sich kurz, „nennen wir es, Kalkül. Mein Vater und ich hätten einen Kraftakt vorgezogen, aber manchmal muss man sich eben fügen. Jedenfalls zählen die Mitglieder der jüdischen Gemeinschaft von Alexandrien zu den stärksten Gegnern unserer Pläne. Und wer könnte sie besser umstimmen als ihr, der erstgeborene Sohn des Verwalters vom Jerusalemer Tempelschatz. Wer könnte den Willen Gottes besser verkörpern? Ach Jonathan", er seufzte gekünstelt, „es ist ein so dummes, einfältiges Volk. Ihr seid, wie ich höre, ein begnadeter Redner. Ein paar Worte von euch und sie werden uns zu Füßen liegen."

Jonathan runzelte die Stirn. Er wusste nicht, was er antworten sollte. Mit Herodes zu paktieren, würde heißen, auf der Seite seiner Feinde, der römischen Besetzungsmacht, zu stehen. Und das war undenkbar. Ganz gleich, ob es bedeuten würde, Tabitha wiederzusehen oder den Vater doch noch stolz zu machen. Was kümmert mich die Eitelkeit meines Vaters, sagte er sich. Und Tabitha? Der Gedanke an sie schmerzte ihn. Doch es wäre allzu armselig gewesen, für das eigene kleine Glück seine Überzeugungen zu verraten.

„Ich fürchte, dass ihr meine Fähigkeiten überschätzt, Herr", antwortete Jonathan und wollte aufstehen. Sofort spürte er einen festen Druck auf seinen Schultern, Hände, die ihn unnachgiebig festhielten.

„Es ist eine kleine Gefälligkeit", schmeichelte Herodes. „Und wenn ihr sie erledigt habt, seid ihr rehabilitiert. Auf der anderen Seite dagegen warten die Schande und möglicherweise das Kreuz."

„Ihr denkt, ihr könnt mich erpressen", erwiderte Jonathan kalt. „Ein weiterer Punkt, in dem ihr euch täuscht."

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt