Ein leichtes Spiel

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„Silas, du verfluchter Tagträumer, einfältiger Hund!", brüllte ihn da Josua an und riss ihn jäh aus seinen Gedanken. Er kam auf ihn zu und versetzte ihm einen groben Stoß gegen die Brust, dem Silas allerdings standhielt. Er senkte den Blick und ließ die Aggression an sich abprallen, denn er wollte nichts tun, was Josua provozieren konnte. „Wie lautet deine Rechtfertigung?", herrschte der ihn an. „Die Informationen waren präzis, wenn ich mich nicht irre, die Aufgabe nicht allzu schwierig. Vielleicht bist du von größerem Nutzen, wenn ich dich als Sklave an die Römer verkaufe und den Erlös unseren Truppen spende!"

Boaz sprang entrüstet auf, und Josua zog sofort seine kurze Sica, den traditionellen gebogenen Dolch der Sicarier, einer Gruppe, die als Wiederstandkämpfer galten, unter denen sich aber auch gewöhnliche Wegelagerer fanden. Silas deutete Boaz, sich wieder hinzusetzen. Boaz kam der Aufforderung nach, sei es aus Gehorsam gegenüber Silas, sei es, weil er erkannt hatte, dass Josua nicht zum Scherzen zumute war. Vor zwei Jahren noch hätte Silas dem anderen Paroli geboten, sich vielleicht sogar in eine Schlägerei verwickeln lassen. Doch die Zeit in Ägypten hatte ihn gelehrt, wann es sinnlos war, gegen eine Autorität aufzubegehren. Daher hielt er den Kopf weiterhin gesenkt und wartete, was geschehen würde.

„Was soll ich mit dir tun, Silas?", schrie Josua, steckte seine Waffe wieder ein und ging rastlos im Zelt auf und ab. „Ich habe dich und deine Leute wie Brüder aufgenommen und das ist die Art und Weise, wie du mir dankst?"

„Es tut mir leid, Josua", gab er vorsichtig zurück, „aber ich kann mit dem Leben eines Menschen nicht so leichtfertig umgehen, wie du es tust."

„So, das kannst du nicht?", tobte Josua, „Wie hast du es dann im Krieg gemacht, du einfältiger Narr? Hast du die Römer erst um Erlaubnis gebeten, ob du sie töten darfst?" Ein paar der Männer, die inzwischen aus Neugierde ins Zelt gekommen waren, lachten laut. Nur Boaz schwieg und schien innerlich mit sich zu ringen, ob er Silas nicht doch verteidigen sollte.

„Ich habe die Ladung der Wägen unseren Männern schon angekündigt", brüllte Josua, seine Stimme schien sich zu überschlagen. „Sie werden wegen dir Hunger leiden müssen."

Er trat mit dem Fuß wütend gegen die kleine Bank, auf der Silas und Boaz, als sie aufgestanden waren, die Suppenteller abgestellt hatten. Die Bank fiel um und die Tonteller zersprangen. Josua hatte inzwischen begonnen, Silas eine Tirade an Beschimpfungen an den Kopf zu schmeißen, und während Silas stumm dastand und versuchte, einigermaßen ruhig zu bleiben, fühlte er sich mehr und mehr an Ägypten erinnert, kam es ihm vor, als wäre er einmal mehr den Launen des Anek ausgeliefert. Trotzdem fand er in seiner Seele keine Wut, nur eine eigenartige tiefe Traurigkeit, das Gefühl, alles falsch gemacht zu haben, verkettet zu sein in einer langen Verstrickung von falschen Entscheidungen.

„Wie soll es mit uns weitergehen?", hörte er Josua schreien. „Du und deine Leute, ihr genießt den Schutz meines Dorfes und doch spottest du meinen Befehlen."

„Nein, Josua", widersprach Silas nun zum ersten Mal. „Das ist das letzte, was ich wollte." Er wartete kurz und zu seiner Überraschung schien ihm Josua tatsächlich zuzuhören. „Wir sind nur sehr unterschiedlich. Aber ich verspreche, dass ich keine eigenständigen Entscheidungen mehr treffen werde. Es ist dein Dorf und wir unterstehen alle deinem Kommando."

Dann schwiegen sie beide und auch sonst wagte niemand im Raum etwas zu sagen. Silas ließ seinen Blick über die vielen unterschiedlichen Gesichter schweifen. Mit Ausnahme von Elimelech, den man wegen seiner Wunde in einem Winkel des Ziegenstalls versteckt hatte, waren mittlerweile alle Männer, die in der Lage waren, eine Waffe zu führen, im Zelt zusammengekommen. Ein jeder hat seine Geschichte, dachte Silas. Warum dauert es so lange, bis der Herr, unser Gott, all die Tränen trocknet, wie es der Prophet Jesaja versprochen hat.

„Ich gebe dir einen letzten Auftrag, bei dem du dich beweisen kannst", fuhr da Josua zu sprechen fort. Er war ruhiger als zuvor, doch Silas wusste, dass die Wut in ihm jederzeit wieder durchbrechen konnte. „Die Frau des Bezirksvorstehers von Jericho hat ein Kind bekommen. Es ist ein süßes kleines Mädchen, wie man sich erzählt. Und um sich von den Strapazen der Geburt zu erholen, wird das vornehme Eheweib schon bald eine Reise nach Kallirohe antreten. Denn das warme Wasser wirkt bekanntlich Wunder." Josua lachte boshaft und ein Teil der Männer taten es ihm nach. „Es ist deine Gelegenheit, dein Versagen wiedergutzumachen."

Silas sah Josua fragend an. Josua lachte wieder und versetzte ihm einen weiteren Stoß gegen die Brust. Nur war der Schlag diesmal deutlich leichter ausgeführt und hatte etwas Freundschaftliches, zugleich auch Gönnerhaftes, weil Silas anscheinend so gar nichts begriff.

„Die edle Dame wird bloß von einer kleinen Eskorte begleitet werden, denn der Bezirksverwalter muss zur selben Zeit die Delegation aus Jerusalem beschützen, die in Kallirohe mit den Gesandten des Aristobolus aus Machärus zusammentreffen und verhandeln wird. Du überwältigst die Männer, nimmst die Frau und das Kind und bringst sie in ein Versteck, wo wir sie gefangen halten, bis ihr Mann das Lösegeld bezahlt hat."

Silas überlegte einen Moment. Im Zelt war es ruhig. „Nein, Josua", erwiderte er dann. „Das kann ich nicht tun. Der Oberbefehlshaber hat mich nicht geheißen, Frauen und Kinder zu entführen. Er hat mich nach Galiläa geschickt, um Alexander zu finden."

„Du Narr!", schrie Josua und packte ihn grob am Stoff seiner Tunika. „Peitholaos hat dich mitten im Kampf fortgeschickt, weil er wusste, dass du für nichts zu gebrauchen bist." Lautes Lachen erfüllte den Raum. Silas biss sich leicht auf die Unterlippe. Die letzte Bemerkung hatte ihn getroffen, denn natürlich hatte er selbst schon oft darüber nachgedacht, ob der letzte Befehl des Peitholaos nicht bloß ein Vorwand gewesen war, ihn zur Flucht zu bewegen. Weil er damals meinem Vater versprochen hat, mich in Sicherheit zu bringen, sagte er sich.

„Außerdem ist Peitholaos längst tot", verhöhnte ihn Josua, „also spar dir endlich dein Oberbefehlshaber-Gerede." Damit war ein Punkt erreicht, wo Silas nicht mehr ruhig bleiben konnte.

„Woher willst du das wissen?", brüllte er nun seinerseits, ging drohend auf Josua zu und drängte ihn auf diese Weise so weit zurück, wie es der begrenzte Raum des Zeltes erlaubte.

„Man hört es", erwiderte Josua und eine Mischung aus Überraschung und Gleichgültigkeit lag in seiner Stimme.

„Ist das so?", herrschte Silas ihn an. „Und du glaubst das, was du hörst? Dann hör auch mir jetzt zu, Josua. Ich glaube meinen Augen. Und solange ich seine Leiche nicht gesehen habe, ist er für mich nicht tot."

Wieder war es ruhig. Ratlosigkeit erfüllte die Stille. Nur die alte Frau schob gerade ein paar Männer zur Seite, bahnte sich ihren Weg zu der Stelle, wo zuvor die Bank gestanden war, bückte sich umständlich und klaubte die Scherben der Schale auf.

Wie in einem schlechten Schauspiel, ging es Silas durch den Kopf. Er sah Boaz und den anderen, die sich ihm in Machärus angeschlossen hatten, in die Augen. Die Angst war ihnen deutlich anzumerken. Wenn Josua sie verstoßen würde, würden sie draußen in der Wüste wieder auf sich allein gestellt sein. Ohne Unterschlupf, ohne Nahrung, ohne Schutz gegenüber der Witterung, jeden Moment gefährdet, von römischen Patrouillen aufgegriffen zu werden. Ich habe eine Verantwortung, dachte er und: Ein Krieg ist nie sauber. Und doch wollten ihn die Sätze nicht recht überzeugen.

„Ich mache es", sagte er schließlich trotz all seiner Zweifel. „Möge der Herr, unser Gott, uns unsere Sünden vergeben."

„Gut", erwiderte Josua ungerührt. „Eine Frau und ein Neugeborenes gefangen zu nehmen, sollte selbst dir gelingen," fügte er sarkastisch hinzu und spuckte dabei auf den Boden. „Du kannst dir ein Duzend Männer aussuchen. Aber wenn du wieder scheiterst, dann lässt du dich mitsamt deinem Gesindel hier nicht mehr blicken."

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt