Nachdem Antipater seine Anordnungen verlautbart hatte, war die Unterredung bald beendet. Die Anwesenden gingen auseinander und trafen ein jeder seine Reisevorbereitungen. Auch Eleazar kehrte auf schnellstem Weg in sein Anwesen zurück. Noch vom Palast des Hyrkan aus hatte er einen Burschen voraus geschickt, sodass bei seinem Eintreffen bereits reges Treiben herrschte. Die Sklaven waren damit beschäftigt, die beweglichen Güter ihres Herren unter den doppelten Böden, die Eleazar in den Stallungen hatte bauen lassen, in Sicherheit zu bringen oder für den Transport fertig zu machen. Als ärmliche, auf ein paar Eselkarren geschnürte Ladung getarnt würden Eleazars silberne Paraderüstung, die hüfthohe Menorah mit Elfenbeinintarsien und die aus Seide geknüpften Wandteppiche noch am selben Tag die Stadt verlassen und an das Nordwestufer des Jam Hamelach gebracht werden. Dort, in der Nähe des Salzmeeres, besaß Eleazar weitläufige Ländereien mit einigen natürlichen Höhlen und ließ diese von einer Gruppe gut ausgebildeter Söldner, die sich als Ziegenhirten ausgaben, Tag und Nacht bewachen.
Die Vorstellung, Jerusalem kampflos aufzugeben, missfiel Eleazar, doch viel mehr noch schmerzte ihn die Vorstellung, sein herrliches Anwesen und zumindest einen Gutteil seines Vermögens zurücklassen zu müssen. Natürlich hatte er Vorkehrungen getroffen und bereits vor ein paar Tagen einen Gesandten zu Alexander geschickt, um ihn mit großzügigen Geschenken, in erster Linie Waffen und Gold, wohlwollend zu stimmen. Und doch: Einem Mann wie Meschach seinen Besitz anzuvertrauen, widerstrebte ihm zutiefst. Wenn zumindest Achior noch am Leben wäre, sagte sich Eleazar und verwarf den Gedanken im selben Augenblick. Er hätte seine Freiheit doch nur dazu genützt, in Eleazars Haus zu saufen und zu huren und hätte sich bei der ersten Gefahr davongestohlen. Eleazar war wütend. Dieser Schwächling von Hyrkan, hätte er nicht genug Zeit gehabt, eine stärkere Armee aufzustellen. Hätte man nicht viel früher daran denken müssen, Aristobulus mitsamt seiner widerwärtigen Brut in den Scheol zu schicken. Mehr als einmal hatte Eleazar versucht, Antipater diese Option schmackhaft zu machen.
Eleazar hatte die Eingangshalle passiert und näherte sich nun mit schnellen kräftigen Schritten seinem Arbeitszimmer. In erster Linie musste er die Rollen mit seiner Buchhaltung verschwinden lassen. Natürlich entsprachen die Zahlen nicht der Wahrheit, doch selbst das, was sie preisgaben, wies auf ein viel beträchtlicheres Vermögen hin, als was Alexanders Gefolgsleute bei ihrem Eintreffen zu sehen bekommen sollten. Zielstrebig ging Eleazar auf die Truhe zu, in der er die Pergamentrollen aufbewahrt, und öffnete das schwere Schloss. Dann begann er auszuwählen: eine kleine Rolle aus Ziegenpergament, einzelne Blätter feines Hasenpergament und schließlich eine nur lose gewickelte dunkle Rolle, wie man sie aus Rotwild herstellte. Er schichtete die Schriftstücke am Boden, unweit von der ausladenden Feuerschale entfernt, aus der bereits gierig die Flammen züngelten.
Ein Gefühl von Kontrolle breitete sich in Eleazar aus und verlieh ihm eine tiefe Ruhe. Deshalb griff er, noch bevor er die Schriftstücke der Glut übergab, zuerst nach der mit Steinöl gefüllten Kanne, die seine Sklaven für ihn bereit gestellt hatten, und goss die dicke schwarze Flüssigkeit langsam in das Feuer. Sofort stieg eine bald weiße, bald azurblaue Flamme auf, ihr Rauch füllte stechend und mit einem Geschmack von Moor seine Lungen aus. Jetzt endlich begann Eleazar die einzelnen Dokumente in die Schale zu legen. Zunächst die losen Blätter, deren Pergament freilich nicht sofort zu brennen begann, sondern runzelig wurde und allmählich seine Farbe veränderte. Das helle Beige wurde gelblich, dann orange, schließlich fingen die Tierhäute Feuer und verbrannten von leisen Knistergeräuschen begleitet. Unregelmäßig fraßen sich die Flammen durch die schwarzen Buchstaben. Kleine Fetzen wurden abgetrennt und an den Rand gedrängt, wo allerdings bereits die Dolchspitze auf sie wartete, mit der Eleazar behutsam jedes Stückchen Pergament zurück in den Brandherd schob. Plötzlich hielt er inne und sah auf.
„Was machst du hier?", fragte er streng. Kyron blieb erschrocken in der halb offenen Tür stehen.
„Verzeiht mir, ich suche nach der Herrin", stammelte er und es war ihm anzumerken, dass er den Raum am liebsten sofort wieder verlassen hätte.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...