Später, die Dunkelheit war bereits hereingebrochen, stand Tabitha gemeinsam mit ihrem Gatten und einem guten Teil der Dienerschaft auf der Terrasse, wo sie die Gäste empfangen würden, die Eleazar zum Gelage geladen hatte. Tabitha beobachtete, wie unten in der Gartenanlage die Knechte den Herren die Pferde abnahmen und sie zu den Stallungen führten, um sie zu versorgen. Einen Moment blieb ihr Blick an dem Hengst hängen, auf dem Marc Anton geritten war. Er hatte einen kurzen Rücken und einen kräftigen muskulösen Hals, den er selbst im Stehen immer wieder zurückwarf. Sein Fell glänzte silbergrau, die Vorderbeine tänzelten am Boden und wirbelten dabei Staub auf. Was für ein prächtiges Tier, dachte sie und eine Art Wehmut überkam sie, denn aus Angst, dem Kind zu schaden, hatte sie das Reiten schon vor Monaten aufgegeben.
„Es freut mich, dass ihr uns mit eurer Anwesenheit beehrt", hörte sie da Eleazar sagen. Seine Stimme klang freundlich und es lag keine Verstellung darin. „In eurem Zustand hättet ihr jede Rechtfertigung, euch von gesellschaftlichen Verpflichtungen wie dieser fernzuhalten."
„Mein Platz ist an eurer Seite", antwortete Tabitha mit einem Lächeln und fügte dann deutlich sachlicher hinzu: „Allerdings bezweifle ich, dass euren Gästen viel an meiner Gegenwart gelegen sein wird."
Eleazar reagierte nicht, aber Tabitha meinte, eine Art Widerspruch wahrnehmen zu können, der unausgesprochen zwischen ihnen zu liegen schien. Trotzdem fragte sie nicht nach, denn die erste Gruppe von sechs Legionären, die in einer losen Formation die Treppe hinauf schritten, waren bereits so nah, dass sie hätte flüstern müssen, um von ihnen nicht gehört zu werden. Die Männer waren offensichtlich guter Laune. Sie würden in einem Nebenraum beisammen hocken, sich den Bauch vollschlagen, einen Schlauch Wein nach dem anderen herumgehen lassen und sich, sofern sie dazu noch in der Lage sein würden, dem Würfelspiel widmen. Wie einfach der Mensch doch gestrickt ist, sagte sich Tabitha. Und dabei soll er ein Abbild Gottes sein. Sie schüttelte nachdenklich den Kopf. Es war nicht zu leugnen, dass die Verachtung, die Eleazar den religiösen Lehren entgegenbrachte, auch sie in letzter Zeit immer wieder dazu gebracht hatte, die Glaubenssätze anzuzweifeln, die sie ihr ganzes Leben lang unhinterfragt für wahr gehalten hatte.
Da löste sich ein Mann aus der Gruppe der Soldaten, der sich von diesen nicht nur durch seine prunkvolle Uniform, sondern vor allem durch seine stolze Haltung unterschied. Er blieb unmittelbar vor Tabitha stehen, deutete eine Verbeugung an und grüßte. Der Lederpanzer unter dem roten Umhang musste gerade erst mit Fett behandelt worden sein, denn er schien im Schein der Fackeln geradezu zu glänzen. Das Gesicht des Mannes war von der Sonne verbrannt, die breite Bandage an seiner linken Wade ließ auf eine Verletzung schließen.
„Marc Anton!" Tabitha erwiderte den Gruß und fügte gleich darauf hinzu: „Wie ich höre, seid ihr noch nicht sehr weit mit eurer Prachtstraße."
Der Römer lachte auf und Tabitha war sich nicht sicher, ob es Ärger oder Verachtung war, was in seinem Lachen mitschwang.
„Tatsächlich gibt es immer noch ein paar unbelehrbare Banditen", erwiderte er kühl, „die sich nach wie vor gegen den Fortschritt der Kultur stellen und meine Bautätigkeit behindern. Aber seid zuversichtlich!" Er unterbrach sich kurz und Tabitha war es, als läge ein anzüglicher Unterton in seiner Stimme. „Schon bald werdet ihr eine prächtige Säulenallee vorfinden, wenn ihr das Verlangen verspürt, mich in Jerusalem zu besuchen."
„Wie schön", gab Tabitha spitz zurück. „Warum sollte ich kein Verlangen nach der Gesellschaft eines Mannes empfinden, dem es so vortrefflich gelingt, mein Volk zu knechten." Der letzte Satz dürfte Marc Anton tatsächlich nicht gefallen haben, denn er warf Tabitha einen bösen Blick zu. Zugleich kam er noch näher an sie heran und beugte sich leicht zu ihr hinunter.
„Wenn ich nicht wüsste, wessen Weib ihr seid, müsste ich fast denken, ich spreche mit einer Rebellin", flüsterte er ihr ins Ohr und Tabitha ärgerte sich in dem Moment, dass sie gut einen Kopf kleiner war als der Reiterführer und zu ihm hätte aufschauen müssen, wollte sie ihm in die Augen sehen. Sie machte einen Schritt nach hinten, wandte sich von ihm ab und deutete ihm, gemeinsam mit den anderen in Richtung des Palastes zu gehen. Doch für Marc Anton war das Gespräch noch nicht beendet. Er blieb dicht an ihrer Seite und setzte nach einer kurzen Pause zu sprechen fort.
„Aber es ist gerade das Widerspenstige", meinte er, „was die Weiber begehrenswert macht." Er wartete und Tabitha rückte instinktiv näher an Eleazar heran, der auf der anderen Seite neben ihr herging, allerdings in ein Gespräch mit Herodes vertieft zu sein schien. „Und auch die Trächtigkeit hat einen gewissen Reiz", fügte Marc Anton herablassend hinzu und strich dabei mit dem Rücken seiner linken Hand über ihren Bauch.
Tabitha wich erschrocken aus und war Eleazar nun so nah, dass sie durch den Stoff ihrer Tunika den Stumpen seines Arms spüren konnte. Sie hätte Marc Antons Hand wegschlagen wollen oder ihm einen kräftigen Stoß versetzen und sie wusste auch, dass Eleazar ihr ein solches Verhalten nicht verübelt hätte. Und doch gelang es ihr nicht. Vielmehr fühlte sie sich machtlos, als ob sie dem Römer und seinen Avancen nichts entgegenzusetzen hätte. Es sind nur noch wenige Schritte bis zum Festsaal, sagte sie sich. Dann wird jeder auf einer Kline Platz nehmen und es ist ausreichend Abstand zwischen uns.
„Wenn euch also einmal der Sinn nach einem Mann steht, der alle Glieder an seinem Körper hat, lasst es mich wissen", spottete Marc Anton neben ihr. Tabitha sah ihn entrüstet an. Er redet wie ein gewöhnlicher Soldat, dachte sie, und ist doch ein Mann von hoher Geburt.
„Mir steht der Sinn genau nach dem Mann, den ich meinen Gatten nennen darf," gab sie unfreundlich zurück und ergänzte dann mit gespielter Sanftmut: „Seid ganz unbesorgt, es mangelt mir an nichts."
Während sie sprach, merkte sie, wie das Zittern, das sie selbst bereits in ihrer Stimme bemerkt hatte, sie immer mehr erfüllte. Sie wollte nach Eleazars Hand greifen, aber da er links von ihr stand, hätte sie nur den Stumpen seines Arms berühren können. Und da sie nicht wusste, wie er darauf reagieren würde, vermied sie den Kontakt. Doch Eleazar musste auch ohne ihr Zutun begriffen haben, dass Tabitha sich vom Gehabe des Römers in die Enge getrieben fühlte. Bevor er sich von Meschach zu seiner Kline geleiten ließ, blieb er stehen, stellte sich leicht schräg hinter seine Frau, sodass er ihr die linke Hand auf die Hüfte legen konnte, küsste sie zart auf die Wange und sah Marc Anton dabei fest in die Augen.
„Liebste", begann er so laut, dass seine Worte unmöglich nur an Tabitha gerichtet sein konnten, „wenn ich mich recht erinnere, hattet ihr vor, euch zurückziehen?"
Tabitha wollte gerade zustimmen und sah sich in Gedanken schon gemeinsam mit Mirjam in ihrem Schlafzimmer, bequem in einem Scherensessel ruhend, während die Magd ihr Haar lösen und das Puder vom Gesicht waschen würde, da hörte sie Marc Anton scharf widersprechen.
„Ich bestehe auf der Gesellschaft eurer Gattin", stellte er herrisch fest. „Warum sonst sollte ich den langen Weg nach Jericho auf mich genommen haben?"
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...