„Gib mir deine Hände", befahl Nayla und Silas gelang es nicht, aus ihrer nun scheinbar gleichgültigen Stimme Rückschlüsse darüber zu ziehen, wie wütend sie sein mochte. Meine Hände, wiederholte er für sich. Was konnte man mit Händen schon tun? Die Innenflächen mit einem Rohrstock züchtigen? Aber wäre das nicht eine allzu lächerliche Strafe für einen Mordversuch? Wie dem auch sei, er würde es bald wissen. Entschlossen streckte er seine Arme aus und hob sie auf die Höhe seiner Brust. Er öffnete die Fäuste und musste dabei gegen den brennenden Schmerz ankämpfen, den die offenen Wunden ihm verursachten, sobald er die Schonhaltung aufgab. Dann wartete er.
Endlich kam Bewegung in die Szene. Doch es geschah nicht das, was Silas erwartet hatte. Nayla umfasste vorsichtig seine Handrücken, beugte ihr Gesicht ein wenig hinunter und küsste Silas erst die linke, dann die rechte Handfläche und zwar genau jene kleinen Stellen in der Mitte, wo die Haut unverletzt war. Dabei trafen sich ihre Blicke. Silas hielt den Atem an.
„Ich bin nicht gekommen, um dich zu bestrafen", flüsterte sie mit einem Lächeln, nickte ihren Sklavinnen zu und ließ sich von ihnen einen kleinen Salbentegel bringen. Behutsam und dabei doch nüchtern begann sie, seine Wunden mit der Medizin zu bestreichen.
„Ihr solltet mich aber bestrafen, Nebet", platze Silas heraus, denn er konnte weder seine eigene Anspannung noch die Stille länger ertragen.
„Wenn ich dich angemessen bestrafen wollte, würde das deinen Tod bedeuten", erwiderte Nayla sachlich. Dabei bedeckte sie das letzte Stückchen offenes Fleisch mit der cremigen gelblichen Paste, die nach Knoblauch roch.
„Ihr würdet mir nur einen Gefallen tun", entgegnete Silas und zuckte im nächsten Augenblick überrascht zusammen, denn Nayla hatte ihn mit der flachen Hand ins Gesicht geschlagen. „Was war das?", fragte er ironisch und musste unwillkürlich lachen, denn der Schlag war so leicht, dass er schon nicht mehr mit Sicherheit sagen konnte, ob er ihn sich bloß eingebildet hatte.
„Ist das der Grund, warum du Anek töten wolltest?", fuhr sie ihn an und als er sah, wie böse ihre Augen funkelten, begriff er, dass es kein guter Moment zum Scherzen war. „Weil du dein Leben beenden willst?" Ihre Stimme überschlug sich. „Und warum? Kannst du mir sagen, warum?" schrie sie ihn an und war dabei einen Schritt zurück getreten, als hätte sie erst jetzt bemerkt, dass die Nähe, die zuvor zwischen ihnen bestanden hatte, unangemessen war.
„Ist das so schwer zu verstehen?", gab Silas scharf zurück und spürte dabei, wie der Zorn ihn mehr und mehr erfasste. Wer war sie, dass sie ihn über das Leben belehren wollte?
„Warum also?", herrschte sie ihn an. Silas schnaubte verächtlich und sah ihr wütend in die Augen. „Weil dich mein Bruder gezüchtigt hat? Was bist du für ein Muttersöhnchen? Ein paar Schläge und du willst schon sterben?"
„Ein paar Schläge, nennt ihr das, ja?", brüllte er zurück und wandte sich dann von ihr ab. Mit zielstrebigen Schritten ging er auf den Tisch zu und hob die vordere Kante entschlossen hoch, woraufhin der Krug samt den Bechern mit einem Krachen auf dem Boden zerschlug. Scherben, dachte er zynisch und ließ den Tisch los, sodass seine vorderen Beine geräuschvoll am Holzboden aufschlugen. Silas blieb wie erstarrt stehen. Aus den Augenwinkeln beobachtete er die Sklavinnen, die aufgesprungen waren und nun damit begannen, die Bruchstücke der mit bunten Farben bemalten Keramik einzusammeln.
„Silas?", Naylas Stimme war wieder ruhig, beinahe unsicher. Die Distanz, aus der er sie wahrnahm, sagte ihm, dass sie immer noch dort stehen musste, wo ihre Auseinandersetzung zuvor begonnen hatte. „Bist du böse auf mich?"
Silas schwieg. Alles in ihm war hart. Er hätte mehr Krüge und Becher zerschlagen wollen, sich mit blinder Wut gegen sein Schicksal auflehnen, in einen Kampf ziehen, ganz gleich wie überlegen der Gegner auch gewesen wäre. Stattdessen tat er nichts.
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Priester und Könige
Historical FictionJerusalem, im Frühjahr 58 vor Christus. Jonathan und Tabitha sind die Kinder zweier einflussreicher jüdischer Priester. Im Sinn ihrer eigenen Machtinteressen befürworten ihre Väter eine Eheschließung und auch Jonathan und Tabitha sind einander in Li...