Jungfrauen und Witwen

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„In Jerusalem lachen mich alle aus, weil ich noch keinen Mann habe", flüsterte Alexandra. Sie kämpfte nun nicht mehr gegen die Tränen an, sondern gab sich ihrer Verzweiflung hin. Tabitha war schockiert, nicht zuletzt, weil sie selbst stets darauf achtete, vor der Dienerschaft Haltung zu bewahren. Sie wollte Alexandra davor bewahren, sich noch mehr zu blamieren, und überlegte, wie sie sie beruhigen konnte. Dabei war ihr doch klar, dass man Alexandra nicht kontrollieren konnte, weder sie als ihre Freundin noch sonst jemand. „Einen Mann, den ich lieben kann, wird es für mich ohnehin niemals geben", schluchzte die. „Ich werde eine Hure sein wie alle anderen adeligen Frauen auch", stieß sie stockend hervor, „wenn nicht für meinen Gatten wie Salema, dann eben für meinen Vater! Er wird mich an den bestbietenden verschachern!" Tabitha rückte noch näher an Alexandra heran und strich ihr sanft eine Strähne aus dem Gesicht.

„Das weißt du doch gar nicht", meinte sie sanft. „Wer sagt denn, dass du in einer arrangierten Ehe nicht glücklich sein kannst?" Kurz dachte sie an Eleazar und überlegte, ob sie sich auf ihre eigene Geschichte als positives Beispiel beziehen sollte. Doch Alexandra kam ihr zuvor, allerdings mit einer ganz anderen Deutung.

„Ach ja", herrschte sie Tabitha an, auf einmal aufbrausend. „So wie du vielleicht? Deine große Liebe hat dich für einen dummen Bubenstreich im Stich gelassen. Und jetzt bist du mit einem Schlächter verheiratet, gerade du! Wo es keine feinfühligere und klügere Frau auf dieser Erde gibt!"

Bei den letzten Worten war Alexandra aufgestanden und Tabitha tat es ihr gleich. Denn ihr Gast schwankte gefährlich und wäre wohl gestürzt, hätte sie Tabitha nicht rasch unter den Achseln gefasst. Das fehlt gerade noch, um den Klatsch anzuheizen, ging es Tabitha durch den Kopf, Hyrkans Tochter bricht im Haus des Bezirksvorstehers betrunken zusammen. Alexandra machte ein paar unbeholfene Schritte und stieß dabei den Kelch um, den sie zuvor am Boden abgestellt hatte. Tabitha blieb weiterhin an ihrer Seite und nickte dem Sklaven dankbar zu, der sich sofort niedergekniet hatte, um den Wein aufzuwischen. Ein braver Junge, sagte sie sich, ich muss Meschach nach seinem Namen fragen. Dabei dirigierte sie Alexandra in Richtung einer Säule. Tatsächlich ergriff die Prinzessin die sich ihr bietende Gelegenheit und lehnte sich an den kalten Stein. Mit einer Geste ihrer rechten Hand deutete sie Mirjam, ihr einen neuen Kelch zu reichen. Die folgte der Aufforderung zögernd, denn sie hatte natürlich bemerkt, wie wenig das, was sie im Begriff war zu tun, ihrer eigenen Herrin gefiel.

„Und doch", setzte Alexandra mühsam an. Ihre Zunge war schwer vom Alkohol, schien ihr kaum noch zu gehorchen. „Eine Jungfrau zu sein, ist in diesen Tagen vielleicht die einzige Möglichkeit, nicht zur Witwe zu werden!" In dem Moment beschloss Tabitha entschiedener einzugreifen. Sie nahm der Freundin den Kelch aus der Hand, überließ ihn einem der sofort herbeieilenden Sklaven und nahm beide Hände der jungen Frau in die ihren.

„Du musst rasten", stellte sie bestimmt fest. „Ich werde dich in ein Gästezimmer begleiten, wo du dich hinlegen kannst."

Im Raum war es ruhig. Noch immer wanderten einzelne Tränen über Alexandras blasse Wangen. Die anwesende Dienerschaft und die Soldaten wagten kaum zu atmen. Da plötzlich zerrissen laute Geräusche die angespannte Stille. Schreie, aufgeregte Stimmen. Von draußen wurde die Tür aufgestoßen und einige Legionäre drängten in den Raum. Sie formierten sich schützend um die beiden Adeligen. Etwas zu nah, wie Tabitha fand, aber zumindest würden sie Alexandra so in jedem Fall auffangen können. Die dagegen schien mit einem Mal wieder klar und drängte, ohne auf Tabitha zu achten, in Richtung Ausgang.

„Rebellen!", schrie sie in einer Art Hysterie. Tabitha folgte ihr.

„Aber nein", widersprach sie. „Das ist unmöglich. Dieses Haus gleicht einer Festung!"

Kurz darauf standen sie mitsamt den Soldaten und großen Teilen der Dienerschaft auf der Terrasse. Das Dümmste, was wir tun konnten, dachte Tabitha, für den Fall, dass es sich doch um die Männer des Alexander handeln sollte. Doch es war ihr nicht gelungen, Alexandra in eine andere Richtung zu lenken und auch die Legionäre waren der Prinzessin einfach nur gefolgt, anstatt eine sinnvolle Strategie zu verfolgen. Zumindest aber waren es keine Kampfgeräusche, was vom Garten her zu ihnen durchdrang. Eher das besorgte Schreien von Frauen, durchsetzt von hektisch gebrüllten Befehlen.

Zwischen den Palmenblättern ließ sich eine Gruppe von Menschen ausmachen, die sich in Richtung des breiten Stiegenaufgangs bewegte. Kyron schien unter ihnen zu sein und auch den markanten Helm des Priscus meinte Tabitha immer wieder aufblitzen zu sehen. Einige Männer trugen die typischen Kopfbedeckungen der jüdischen Soldaten. Mit einem Mal begriff Tabitha: Es war die Garde des Eleazar. Sie strengte sich noch mehr an etwas zu erkennen, doch in dem Moment, wo sie das Bild klar fassen konnte, wurde ihr schwarz vor Augen.

Als sie die Augen wieder öffnete, fand sie sich immer noch angekleidet auf ihrem Bett liegend wieder, entdeckte Mirjam, die ihr gerade mit sorgenvoller Miene ein feuchtes Tuch auf die Stirn legte, etwas nach hinten versetzt ein paar weitere Diener, die offenbar warteten, ob sie sich nützlich machen würden können. Tabitha wusste nicht, wie lange sie ohnmächtig gewesen war, und es interessierte sie auch nicht. Denn in ihren Gedanken gab es nur die eine Erinnerung, die sich ihr sofort wieder aufdrängte: ein schwer verwundeter Mann, der Kontrast zwischen dem weißen geisterhaften Gesicht und dem Blut, das seinen ganzen Körper bedeckte. Ruckartig setzte sie sich auf.

„Mirjam!", rief sie aus. „Wo ist er? Warum bin ich nicht bei ihm?" Ohne eine Antwort abzuwarten versuchte sie aufzustehen, doch ihre Magd hielt sie zurück.

„Herrin", bat sie inständig und es war ihr dabei anzumerken, wie wenig sie an den Erfolg ihres eigenen Bemühens glaubte, „bleibt doch liegen, ihr müsst euch schonen."

„Unsinn", gab Tabitha ungewöhnlich energisch zurück. Mirjam hatte versucht, sie an den Oberarmen festzuhalten und dadurch zurück zum Bett zu drängen. Aber weder die Kraft, die sie anwandte, noch ihr Wille reichten aus, sich gegen Tabitha durchzusetzen. Daher sah sie nur tatenlos zu, wie die im Halbdunkeln ihre Sandalen suchte. Mirjam war klar, dass es ihre Aufgabe war ihrer Herrin zu helfen, doch sie war wie gelähmt, weil sie nicht wusste, wie sie mit den unterschiedlichen Wünschen ihrer Vorgesetzen umgehen sollte. Der Befehl, dass Tabitha ihn in seinem Zustand nicht sehen sollte, kam nämlich von keinem Geringeren als von Eleazar selbst. Er hatte die Worte zwar abgehackt und unter großen Schmerzen hervorgequält, von der Botschaft her aber waren sie unmissverständlich.

„Bitte", setzte sie noch einmal an, „ihr seid zu schwach. Und auch euer Gatte braucht Ruhe." Die Worte kamen nur zögerlich über ihre Lippen. Ob Eleazar überhaupt noch lebt, fragte sie sich. Denn das Letzte, was Mirjam gesehen hatte, war, dass man ihn in seine Gemächer getragen hatte, Blut spuckend, die Augen eigenartig nach hinten verdreht. Sie seufzte. Tabitha war schon bei der Tür. Da Mirjam sie ohnehin nicht am Gehen hindern konnte, lief sie ihr schnell hinterher und hängte ihr geschickt einen wollenen Umhang um die Schulter. Dann wird sie sich zumindest nicht erkälten, dachte sie und blieb dann ungebraucht und hilflos zugleich in der offenen Tür stehen.

Tabitha hatte unterdessen bereits das Atrium erreicht, in dem reges Treiben herrschte. Dennoch war der Geräuschpegel gedämpft, ganz so, als läge der unausgesprochene Befehl in der Luft, dass keiner unnötig auf sich aufmerksam machen dürfte.

„Wo ist er!", schrie Tabitha den erstbesten Knecht an. Er trug einige Pergamentrollen unter dem Arm, schien in Richtung des hauseigenen Archivs unterwegs zu sein und starrte sie nur ratlos an. Erst jetzt nahm sie die Soldaten wahr, die allesamt zur Truppe ihres Mannes gehörten. Einige hockten am Boden und nahmen ein paar Happen zu sich, die ihnen die Sklaven gebracht haben mussten, andere lehnten stumm und mit leerem Blick an der Mauer, wieder andere waren verletzt, pressten die Hände auf ihre Wunden oder wurden gerade verarztet. Draußen dämmerte es und da die Diener wohl mit der Arbeit nicht nachkamen, brannten nur wenige Fackeln, was den Raum unwirklich düster erscheinen ließ. Da Tabitha von niemandem eine Antwort erhielt, bahnte sie sich zwischen den Soldaten einen Weg und steuerte auf die Tür zu, die zu den Gemächern ihres Gatten führte. Da stellte sich ihr plötzlich jemand in den Weg. Es war Kyron.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt