Alexander

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Jerusalem, Frühjahr 57

Hart, wuchtig und in kurzer Frequenz erfolgten die Schläge, mit denen Herodes seine Waffe gegen den Holzpfahl donnern ließ. Obwohl das mit Blei verstärkte Holzschwert schwer in seiner Hand lastete und er schon eine ganze Weile mit der Kampfübung beschäftigt war, ließ er weder an Kraft noch an Schnelligkeit nach. Denn die Nachricht, die der Bote am späten Vormittag gebracht hatte, erfüllte ihn mit derartiger Euphorie, dass er nicht die kleinste Müdigkeit verspürte. 

„Er ist zurück!" rief er in den weiten Innenhof des Königspalastes hinein. „Er ist zurück!" Um ihn herum war es still und fast schien es Herodes, als würden seine Worte am hellen Kalkstein der mächtigen Ostwand widerhallen. Nachrichten wie die heutige, hatte er in den letzten Wochen immer wieder zu hören bekommen, aber es war eben nie mehr als ein Gerücht gewesen. Diesmal aber musste es sich um die Wahrheit handeln. Denn sein Vetter Phallion, der als Bote für Hyrkan tätig war, genoss trotz seiner Jugend Herodes vollstes Vertrauen. Aristobulus, so hatte Phallion berichtet, war in Judäa eingetroffen, er hatte Männer um sich geschart und marschierte in Richtung Jerusalem. Es wird einen Kampf geben, sagt sich Herodes und hieb wieder mit aller Kraft auf den Pfahl ein.

„Herodes!", die Stimme seines älteren Bruders klang streng und vorwurfsvoll. Mit schnellen Schritten kam er aus dem Seitenflügel, in dem sich die Verwaltungsräume befanden, auf ihn zu. „Was brüllst du hier herum wie ein Wahnsinniger!"

Herodes hielt in der Bewegung inne und wandte sich Phasael zu. Erst jetzt merkte er, wie sehr er schwitzte. Die Hand, die das Schwert geführt hatte, zitterte vor Erschöpfung. 

„Weißt du es denn nicht, Bruder?", fragte er fassungslos und seine Augen glänzten begeistert. „Aristobulus marschiert gegen Jerusalem. Es wird einen Kampf geben und nicht irgendeinen. Den Kampf um Jerusalem." Er trat näher an seinen Bruder heran und griff nach dem mit Stärke behandelten, steifen Stoff seiner Tunika. „Phasael, denk dir, der Kampf um Jerusalem. Und wir sind dabei. Wir werden uns endlich beweisen können." Schon wollte Herodes zum nächsten Schlag ausholen, doch da bemerkte er den sorgenvollen Blick seines Bruders. „Wie viele Soldaten hat er?", erkundigte sich Herodes, deutlich gedämpft.

„Komm mit!", war das einzige, was ihm Phasael zur Antwort gab und, mit einer gewissen Verzögerung: „Vater ist beim Etnarchen. Er schickt nach uns."

Während in den letzten Wochen nur spärliche Nachrichten nach Jerusalem durchgedrungen waren, hatten sie im Lauf des heutigen Nachmittags schon mehrere schriftliche und mündliche Botschaften erhalten, sodass sich aus den einzelnen Versatzstücken allmählich ein Gesamtbild ergab, das der Kunde des Phallion, der bereits am Vormittag am Königspalast vorstellig geworden war, sehr nahe kam.

Beinahe zeitgleich mit den Boten waren nach und nach die wichtigsten Vertreter von Politik und Militär am Hof eingetroffen und hatten sich schließlich im Empfangssaal des Hohenpriesters eingefunden. Am Kopf der Tafel saß Hyrkan, bleich und in sich zusammengesunken. Sein fetter Leib füllte den gepolsterten Scherensessel ganz aus, die ergrauten Locken klebten auf der verschwitzten Stirn. Neben ihm standen Antipater und Eleazar. Auf der anderen Seite des Holztisches, der mit Pergamentrollen, Wachstäfelchen und Papyrusfolien bedeckt war, befanden sich einige römische Offiziere, welche die Auxiliartruppen, die im Umland der Hauptstadt stationiert waren, befehligten. Als Oberhaupt der römischen Garnison von Jerusalem, die gerade ein paar hundert Soldaten zählte, war Calpurnianus anwesend. Phasael und Herodes waren die letzten, die den Raum betraten. Dann wurden die Türen geschlossen und Antipater ergriff das Wort.

„Es ist nicht Aristobulus, der zurückgekehrt ist, sondern Alexander." Ein Gemurmel erhob sich und verstummte doch augenblicklich, als Antipater mit der rechten Hand auf eine Landkarte zeigte, die das Umland von Jerusalem abbildete. Jetzt waren alle Blicke auf ihn gerichtet. „Er hat einige tausend Männer unter seinem Kommando, zehntausend oder sogar fünfzehnzehntausend, außerdem mindestens tausend Reiter. Wo er hinkommt, wirbt er neue Soldaten an. Täglich werden es mehr."

Betreten blickten die Anwesenden auf den Boden, keiner sagte ein Wort. Und auch Herodes, dessen Hochgefühl mit jedem Satz des Vaters mehr gewichen war, hatte den Ernst der Lage mittlerweile begriffen. Es war also nicht Aristobulus, der Bruder des Etnarchen, der die Königswürde für sich beanspruchen und sich für die Schande rächen wollte, die ihm Pompeius sechs Jahre zuvor zugefügt hatte, als er ihn in seinem Triumphzug durch Rom geführt hatte. Der Mann, der sich ihnen mit Reitern und Fußvolk entgegenstellen würde, war Aristobolus ältester Sohn, Alexander. Er galt als unberechenbar und tollkühn. Hyrkan stöhnte laut auf und rang seine Hände gegen den Himmel. Insgeheim begann Herodes zu rechnen. Sein eigener Vater, Antipater, befehligte in etwa zwei- bis dreitausend Soldaten und kaum mehr als vierhundert Reiter, seinem Bruder Phasael folgten wenige hundert Söldner mit zweifelhafter Ausbildung. Sie wurden mehr oder weniger dafür durchgefüttert, dass sie Hyrkan mit ihren prächtigen Rüstungen und ihrem fehlerfreien Exerzieren das Gefühl von Sicherheit, Macht und Ehre gaben.

Mit seinen kleinen, nichtssagenden Augen, die in dem aufgeschwemmten Gesicht beinahe verschwanden, blickte Calpurnianus in die Runde und ergriff beherzt das Wort. „Wir müssen Gabinius eine Nachricht zukommen lassen", rief er aus.

„Das ist selbstverständlich längst geschehen", antwortete Eleazar barsch und gab sich dabei keinerlei Mühe, seine Verachtung für den alten, selbstverliebten Bürokraten zu verbergen. „Auch Peitholaos habe ich verständigt", fügte er nun freundlicher und an Hyrkan gerichtet hinzu. „Er wird aber erst in zwei oder drei Tagen mit seinen Truppen eintreffen." Dann schwieg Eleazar und nickte Antipater kaum merklich zu. Denn als höchster, für die Sicherheit des Etnarchen zuständiger Beamter war er es, der die Entscheidung treffen musste, eine Entscheidung, welche die übrigen Anwesenden nicht einmal zu denken wagten.

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