Das Los der Frauen

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„Tabitha, du lebst wirklich in einer anderen Welt! Muss man dir denn alles erklären?", rief Alexandra amüsiert aus. „Salema, meine vornehme Tante, hat die lange Reise doch nicht auf sich genommen, um ihrem Gatten beizustehen, sondern wegen der Vorzüge des werten Gabinius!" Alexandra hatte dem Wort Vorzüge eine anzügliche Betonung verliehen, dabei ihre Hand in den Schritt gelegt und den Kopf lasziv nach hinten geneigt. Tabitha errötete und wandte sich verlegen ab, was ihr, wie nicht anders zu erwarten, das spöttische Lachen der Prinzessin einbrachte. „Oh, die Liebe", säuselte Alexandra mit übertriebenem Pathos, „oder sind es nicht viel eher die strammen Muskeln des Prokonsuls und seine Manneskraft."

Da Tabitha nichts anderes zu tun einfiel, nahm sie einen Schluck Dattelwein, und gab dem kleinen Sklavenjungen neben ihr ein Zeichen, ihr Luft zuzufächeln. Sie ärgerte sich über sich selbst. Eigentlich sollte ich bei solchen Themen gelassener sein als Alexandra, sagte sie sich. Immerhin bin ich seit über einem Jahr verheiratet, sie dagegen eine Jungfrau. „Es heißt, sie haben sich in Rom kennengelernt", plauderte Alexandra unterdessen weiter. „Gabinius hat als Prätor viele Gladiatorenspiele organisiert und natürlich war meine königliche Tante ihm ein willkommener Gast in seiner Loge." Alexandra wartete kurz. „Und nach den Darbietungen", fuhr sie mit verschwörerischem Unterton fort. „haben sie sich im Schlafgemach des Römers weiterunterhalten."

„Nun, das ist wohl ihre Sache", stellte Tabitha trocken fest, doch Alexandra ließ sich nicht beirren. Je mehr sie trank, desto unbeschwerter sprudelten die Worte aus ihr hervor.

„Wie es scheint, macht Salema ihre Sache im Bett ganz gut. Warum sonst hätte sich Gabinius nach seinem Konsulat so um den Posten in Damaskus bemüht? Er wollte seine Schlampe als Königin auf den Thron von Jerusalem heben. Aber mein dummer Onkel hat sogar das verdorben! Anstatt Soldaten zu sammeln, hätte er nur abwarten müssen. Früher oder später hätte Gabinius ihn zum König gemacht und meinen Vater abgesetzt."

Tabitha schwieg immer noch. Von Eleazar wusste sie, dass Aristobolus lange versucht hatte, eine kriegerische Auseinandersetzung zu vermeiden, weshalb er und Antipater ihn auch mit einem Überraschungsangriff gegen die Truppen seines Sohnes Alexander provoziert und letztlich in den Kampf getrieben hatten. Von der angeblichen Affäre der Königsgattin hatte sie bisher dagegen noch nichts gehört. Als junges Mädchen hatte sie Salema allerdings immer für ihre selbstbewusste und beherrschte Art bewundert. Auch wusste Tabitha, dass das Königspaar mehr als Leidenschaft eine tiefe Freundschaft verband. Möglicherweise war es Aristobolus selbst, der gemeinsam mit seiner Frau diesen unmoralischen Plan ausgeheckt oder sie gar in die Affäre getrieben hat, dachte sie, sagte aber nichts, denn Alexandra schien sich auch weiterhin am besten allein zu unterhalten.

Sie war mittlerweile dazu übergegangen, detailreich die sonstigen Liebschaften ihrer Tante auszumalen, die anscheinend bereits mit drei oder vier ehemaligen Konsuln und der Hälfte der Senatsmitglieder von Rom verkehrt haben musste, um ihrem Mann und ihren Söhnen einen politischen Vorteil zu verschaffen. Je mehr Wein sie trank, desto vulgärer und roher wurden ihre Schilderungen und Tabitha fragte sich allmählich, ob Alexandra selbst es mit der vorehelichen Jungfräulichkeit vielleicht auch nicht so genau nahm. Da sie des Gesprächs schon lange überdrüssig war, schlug sie, sehr zum Entsetzen von Mirjam, vor, aufzustehen und ein wenig im Garten spazieren zu gehen. Doch Alexandra war davon nicht zu begeistern.

„Oh Tabitha", meinte sie abwehrend, „lass uns lieber liegen, beim Gehen trinkt es sich so schlecht!"

Der Krug mit Dattelwein war beinahe leer, und Tabitha hatte noch nicht einmal ihren ersten Kelch ausgetrunken. Im Raum waren die Schatten bereits länger geworden, die Sonne hatte ihre wärmende Kraft verloren und so hatten die Sklaven damit begonnen, in zwei ausladenden Becken Kohle zum Brennen zu bringen und die an den Wänden angebrachten Fackeln zu entzünden. Auch brachten sie neuen Wein, Fladenbrote und Pasteten. Mirjam, die eigentlich die Dienerschaft überwachen sollte, widmete ihre Aufmerksamkeit weiterhin in erster Linie den Schilderungen der Prinzessin. Doch da die Diener selbst in der Abwesenheit Eleazars in ständiger Angst vor dem Hausherrn lebten, verrichteten sie jeden Handgriff mit größter Gewissenhaftigkeit. Auch hatte Meschach insgeheim aus dem Hintergrund wieder die Führung übernommen und so waren schlussendlich wohl alle zufrieden, wie Tabitha zynisch feststellte.

Alle außer mir, dachte sie bitter. Kurz stellte sie sich vor, wie es wäre, wenn Eleazar anwesend wäre und wie willkommen ihr in diesem Moment seine boshaften Kommentare wären. Ihre Stimmung konnte schlechter kaum sein und sie fragte sich, wann Alexandra wohl in den Winterpalast ihres Vaters aufbrechen würde. Auch deren Laune schien sich inzwischen verschlechtert zu haben. Vielleicht lag es am Wein, vielleicht daran, dass sie direkt von den Affären ihrer Tante auf das Los der Frauen im Allgemeinen zu sprechen gekommen war. Jedenfalls war ihre Stimme nun nicht mehr überreizt und schrill, sondern düster und schwer von einer unterschwelligen Aggression.

„Das Schicksal einer jeden Frau!", rief sie anklagend aus. „Dem Gatten Kinder gebären und für seinen Erfolg die Hure spielen."

Tabitha wollte ihr widersprechen, denn sie war sich ziemlich sicher, dass Eleazar sie nie zwingen würde, sich einem anderen Mann hinzugeben. Schließlich ist er selbst stark genug, seine Interessen durchzusetzen, sagte sie sich. Aber war das der einzige Grund? War es nicht auch eine Art Rücksichtnahme ihr gegenüber, dieselbe vornehme Zurückhaltung, die er ihr auch gezeigt hatte, als er damals in seinem Schlafgemach ihre Angst bemerkt hatte. Und doch muss ich endlich empfangen, ging es ihr durch den Kopf und sie fühlte sich gleich noch niedergeschlagener als zuvor.

„Am Ende ist die Frau immer das Opfer ihres Mannes," hörte sie Alexandra sagen. „Ich selbst bin auch nur eine Waffe in den Händen meines Vaters."

Tabitha seufzte und spürte dabei, wie ihr Tränen in die Augen schossen. Auch der Gedanke an das tote Kind war wieder da, alles in ihr und um sie herum erschien ihr undurchdringbar schwarz und ohne Halt. Sie sah Alexandra in die Augen, sie waren gerötet und wirkten feucht. Tabitha stand auf, ging zur Kline der Freundin und hockte sich neben ihr hin. Natürlich wusste sie, dass das ihrem Rang nicht entsprach, aber genauso, wie sie Alexandra zuvor kaum mehr ertragen hatte, war es ihr nun wichtig, sich ihr zuzuwenden. Eine Zeit lang schwiegen beide und Tabitha streichelte die Hand der Anderen. Ein Sklave hatte ihr inzwischen einen Hocker gebracht, sodassihr jetzt zumindest eine eigene Sitzgelegenheit zur Verfügung stand. Ob Mirjam oder Meschach den Befehl erteilt oder ob der Junge selbständig gehandelt hatte, wusste sie nicht und es war auch gleichgültig.

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