Der Bund der Ehe

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Das Schlafgemach der Braut war prunkvoll eingerichtet. Erlesene Stoffe, mit Stickereien und Edelsteinen verzierte Kissen, der Boden mit Marmor gefliest. Langsam ging Tabitha durch den Raum. Immer wieder blieb sie stehen und ließ ihre Hände über eine samtene Decke gleiten, ein ledernes Sitzkissen, ein Tierfell an der Wand, nahm einen Glaskrug, hielt ihn gegen das Kerzenlicht und stellte ihn zurück. Von draußen drangen die lauten und ausgelassenen Stimmen der Hochzeitsgesellschaft zu ihr durch. Noch immer wurde musiziert und noch immer nahm Eleazar die Glückwünsche zu seiner Eheschließung entgegen. Es war eine Hochzeit, wie sie Jerusalem seit langem nicht mehr gesehen hatte. Weder der Bräutigam noch der Brautvater hatten Kosten gespart, die Liste der Ehrengäste reichte vom Hohenpriester Hyrkan bis zu Antipater, dem Strategos von Idumäa. Tabitha war all das gleichgültig. Seit dem Sukkot-Fest hatte sie das Anwesen der Eltern nicht verlassen, hatte die Einsamkeit gesucht, in den Heiligen Schriften gelesen, hin und wieder mit der Mutter oder dem Vater gesprochen. Tabitha trat an das Fenster, der Innenhof war von Fackeln erleuchtet. In seiner Mitte stand ein zierlicher Springbrunnen.

„Mein Sohn bereut seine Dummheit", hatte ihr Schlomo in dem Moment zugeflüstert, in dem er ihr zur Heirat gratuliert hatte. „Er hat geweint, als er von eurer Vermählung erfuhr." Er bereut seine Dummheit, wiederholte Tabitha innerlich und eine Traurigkeit überkam sie, die so absolut war, wie keine andere Empfindung, die Tabitha jemals gefühlt hatte. Was genau bereut er, fragte sie sich, dass er nicht um meine Hand angehalten hat? Dass er mit den Männern des Maskil in den Kampf gezogen ist? Oder dass er mich in jener Nacht allein gelassen hat, setzte sie fort und wusste dabei doch, dass es ungerecht war, Jonathan für das, was sich abseits der Sukkot-Feier ereignet hatte, eine Mitschuld zu geben.

Natürlich hatte sie von dem Überfall auf den Vorposten gehört und auch, dass Schlomo seinen Sohn nach Rom schicken würde. Natürlich hatte sie gehofft, dass er ihr eine Nachricht zukommen lassen würde, und hatte zugleich gewusst, dass es unmöglich war, zu einem Zeitpunkt, da ihre Eheschließung bereits öffentlich bekannt war. Und trotzdem: Ihre Gedanken waren wirr. Wie eine einzige große Wunde, die nicht heilen wollte, sondern mehr und mehr gesundes Fleisch in sich aufsog. Tabitha wandte sich vom Fenster ab. In dem Moment ging die Tür auf und Eleazar stand vor ihr. Er hielt noch immer einen Kelch voll Wein in der rechten Hand, machte ein paar Schritte auf sie zu. Dabei betrachtete er sie mit einer eigenartigen Mischung aus Genugtuung und Ironie.

„Meine schöne, wohlgeborene Ehefrau", sagte er und setzte zu einer gespielten Verbeugung an. Tabitha nickte knapp. „Ihr tragt das weiße Kleid der Reinheit und der Unschuld" fuhr er fort und strich mit dem Handrücken über den feinen Leinenstoff. „Wie gut es euch steht."

„Auch euch steht die Unschuld gut", erwiderte Tabitha ungerührt. „Es muss schon lange zurück liegen, dass ihr euch zuletzt mit einer so einfachen Kleidung begnügt habt." Während sie sprach, ging sie zum Fenster zurück, denn sie wollte mehr Distanz zwischen sich und ihren Ehemann bringen. „Vielleicht als kleiner Junge?" fügt sie nach einer Weile spitz hinzu.

„Sieh an", erwiderte Eleazar und schenkte ihr ein feines zynisches Lächeln. „Es hat Krallen, das Kätzchen, das ich am Markt gehandelt habe."

Tabitha sah ihm in die Augen. Sie hatte schon viel Schlechtes von ihm gehört. Davon, wie er den Römern durch das Missachten des Sabbath-Gebotes zu einem schnellen Sieg gegen die Anhänger des Aristobulus verholfen hatte. Damals, es musste in etwa vor fünf Jahren gewesen sein, hatten sie die Tempelanlage gestürmt, die Priester beim Opfern überrascht und mehrere hundert unbewaffnete Männer gnadenlos niedergemetzelt. Auch wusste Tabitha, dass Eleazar in den darauf folgenden Jahren häufig den Strafexpeditionen vorgestanden hatte, welche die römischen Truppen immer wieder gegen vermeintliche Rebellen unternahmen. Er ist ein Mann, der vor nichts zurückschreckt, hatte ihr der Vater gesagt, der für den kleinsten Vorteil die größten Verbrechen begeht. Und diesem Mann stand Tabitha nun als sein Eheweib gegenüber.

„Zieh dich aus", befahl Eleazar und bemühte sich offenbar nicht mehr, seiner Stimme einen freundlichen Klang zu verleihen.

Tabitha zog verächtlich die Augenbrauen hoch. „Ich sehe, ihr habt die Höflichkeit schnell hinter euch gelassen", erwiderte sie ruhig. Dabei ging sie zwei Schritte auf ihn zu. Ich bin ihm ausgeliefert, dachte sie und wunderte sich, dass sie trotz der Ausweglosigkeit ihrer Lage keine Angst empfand. Sie ließ ihren Blick von seinem Gesicht abwärts streifen, dorthin, wo sich unter der weißen Tunika sein Geschlecht verbarg. Der Stoff wölbte sich ein wenig, doch da sie unerfahren war, wusste sie das, was sie sah, nicht zu deuten. Während sie ihn hemmungslos anstarrte, musste sie plötzlich lachen, bitter und voller Missbilligung zugleich. Was würde ihm schon einfallen? Viel Neues konnte es nicht sein. Die Männer sind alle Schweine. Kennst du einen, kennst du alle, hatte ihr eine Magd einmal gesagt, nachdem sie von einer Patrouille Soldaten missbraucht worden war. Tabithas Vater hatte das Mädchen mehr tot als lebendig in einer Gasse aufgeklaubt und mit nach Hause genommen, damit die Mutter sie gesund pflegen konnte.

„Nun", entgegnete Eleazar endlich. „Zieht euch aus, wenn euch das besser gefällt." Auch sein Blick war schamlos und direkt.

Tabitha wartete. Sie sah Eleazar jetzt wieder in die Augen. Sonst tat sie nichts. Die Gäste tanzen und amüsieren sich, dachte sie.

„Wird es bald?" schrie er sie plötzlich an. Jetzt erst gab Tabitha ihre statische Haltung auf, griff in ihr langes, kunstvoll hochgestecktes Haar und begann eine Nadel nach der anderen herauszuziehen. 

„Ich wusste nicht, dass ihr es so eilig habt", sagte sie und bemühte sich dem Zittern ihrer Hände zum Trotz so zu wirken, als sei ihr das, was nun kommen würde, gleichgültig. „Nach dem Gesetz habt ihr die ganze Nacht Zeit, die Ehe zu vollziehen."

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt