Freie Männer

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Schließlich hatte sich die Delegation ganz aufgelöst und nur noch Distenes und Jonathan standen unentschlossen vor den Toren des Palastes. Die Art und Weise, wie die Wachen abweisend und allmählich sogar gereizt vor ihnen die Außenmauer abschritten, zeigte ihnen, dass es auch für sie an der Zeit war sich zurückzuziehen.

„Was wirst du jetzt tun?", erkundigte sich Distenes, seltsam offen und ganz ohne das strategische Kalkül, das für gewöhnlich seinem Reden anhaftete. Jonathan zuckte mit den Achseln.

„Ich weiß es nicht", antwortete er ebenso spontan und machte sich zugleich bewusst, dass er nun zum ersten Mal, seit er bei Para in Gefangenschaft geraten war, frei war, seine eigenen Entscheidungen zu treffen.

„Wirst du nach Jerusalem gehen?", fragte Distenes unverblümt und Jonathan lachte kurz auf. Es erheiterte ihn, dass er mit dem Ende ihrer Mission auf einmal einen ganz anderen Distenes kennenzulernen schien.

„Kannst du meine Gedanken lesen?", gab er scherzend zurück, denn er hatte natürlich den überraschten Ausdruck im Gesicht des anderen bemerkt. So wie Distenes in den letzten Monaten nie frei heraus gesagt hat, was er denkt, überlegte Jonathan, hat er mich kein einziges Mal lachen gesehen. Dann wurde er wieder ernst. Tatsächlich würde er über Galiläa dem Jordantal in Richtung Süden folgend Jerusalem in wenigen Tagen erreichen können. Doch Jerusalem gehörte nicht zur syrischen Provinz und Jonathan war unsicher, ob er damit den Befehl des Gabinius, sich einen Aufenthaltsort in Syrien zu suchen, missachten würde. Andererseits hatte der Sekretär sie als freie Männer entlassen. Jerusalem, sagte er sich und sofort war Tabitha in seinem Kopf, dann der Tempel und Daniel. Zugleich aber auch der Vater, ihre Niederlage, alles, was er ungelöst zurückgelassen hatte. Während Jonathan in seinen Gedanken versunken war, schien Distenes einen Monolog begonnen zu haben, der ihn ganz einnahm.

„In gewisser Weise habe ich nichts anderes erwartet", dozierte er gerade. „Wir hatten ja davon gehört, dass die Herren Pompeius und Crassus sich in Rom wieder nähergekommen sind. Man sagt sogar, dass Pompeius gute Chancen habe, nächstes Jahr das Konsulat anzutreten. Dann braucht er sich nicht mehr darum zu kümmern, was der Senat erlaubt. Alles, was er jetzt tun muss, ist abwarten."

„Vermutlich", gab Jonathan zurück und bemühte sich dabei, seine Stimme nicht allzu gleichgültig klingen zu lassen. Doch Distenes achtete ohnehin kaum auf seine Reaktion.

„Unsereins ist nicht mehr gefragt, mein Freund", stellte er fest. „Ein Pompeius, der in absehbarer Zeit seine Legionen nach Ägypten entsenden wird, kann auf die Hilfe eines jüdischen Priestersöhnchens gut verzichten."

Bei seinen letzten Worten hatte Distenes laut aufgelacht und Jonathan freundschaftlich mit dem Ellenbogen gerempelt. Der lächelte höflich, blieb ansonsten aber still. Seine Gedanken kreisten unterdessen längst wieder um Tabitha und darum, was die neue Situation für ihre Sicherheit bedeuten mochte. Doch Jonathan hatte keine Antwort auf seine Fragen. Ich muss zurück nach Jerusalem, sagte er sich, plötzlich entschlossen. Es ist die einzige Möglichkeit, mir Klarheit zu verschaffen.

„Ich jedenfalls, mein Freund", meinte Distenes salbungsvoll, „werde zu meinem König nach Ephesus zurückkehren. Und wenn ich dir einen Rat geben darf, Jonathan, dann geh auch du zu deinem König. Ich habe gehört, dass die Römer ihn schützen und bereits die eine oder andere Schlacht für ihn geschlagen haben."

Distenes hüstelte, denn er war sich nicht sicher, ob er die politischen Verhältnisse in Judäa richtig einschätzte, und das irritierte ihn. Einen Moment lang überlegte Jonathan, ob er ihm erklären solle, dass Hyrkan kein König war und dass die Römer immer nur für sich selbst in den Krieg zogen, doch er hatte kein Interesse, das Gespräch fortzuführen, und so nickte er lediglich und schwieg. Auch Distenes schien seiner Rede nichts mehr hinzufügen zu wollen.

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