Ein wenig Blut

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Eleazar beobachtete sie schweigend. Er schien seine Beherrschung zurückgewonnen zu haben. „Ich wollte sicher gehen, dass ihr mir gehorcht", stellte er schließlich fest. Trotz der Härte und Kälte seiner Wort wirkten sie wie eine Art Zugeständnis. Tabitha hatte ihr Haar inzwischen gelöst. Geschmeidig und voll fiel es ihr über die Schultern. Sie wartete.

„Das ist nicht genug", ermahnte sie Eleazar und seine Stimme klang dabei beinahe belustigt.

Langsam setzte Tabitha ihr Tun fort, ließ den Schal vom Rücken gleiten, öffnete den Gürtel, legte den Unterrock ab, dann die Sandalen, zuletzt die Tunika. Dabei sah sie Eleazar die ganze Zeit in die Augen. Was für ein Mensch ist er, fragte sie sich. Ein schlechter, wäre die einfachste Antwort gewesen. Aber eine solche Antwort war nicht ausreichend. Nicht, wenn sie dem Rat ihres Vaters folgen wollte. Jetzt bist du schwach, hatte Seraja zu ihr gesagt. Es hat keinen Sinn zu kämpfen. Du würdest nur deine Kräfte verschleißen. Aber wenn du aufmerksam bist, wirst du mit der Zeit herausfinden, was ihn verletzlich macht. Unbeweglich stand Tabitha da. Sie hielt die Tunika in ihren Händen und fand auf diese Weise noch immer Schutz vor den Blicken ihres Ehemannes.

„Leg das Kleid weg", befahl er ihr und sie ließ es achtlos auf den Boden fallen. Sie bemühte sich aufrecht zu stehen, die Schultern leicht nach hinten gezogen, denn sie wollte sich die Angst, die sie längst erfüllt hatte, nicht anmerken lassen. Wie soll ich meine Hände halten, dachte sie. Und da sie keine Antwort auf ihre Frage wusste, stützte sie die Hände kurzerhand in die Hüften. Damit wirkte sie entschlossen. Beinahe kampfbereit, sagte sie sich und es war ihr klar, dass ihre Haltung angesichts ihrer Ohnmacht auf ihn lächerlich wirken musste.

„Ihr könnt anfangen", sagte sie schroff und wiederholte innerlich die Worte der Magd. Kennst du einen, kennst du alle.

„Ihr seid es nicht, die mir Befehle erteilt", herrschte Eleazar sie an und kam näher an sie heran. Ich habe ihn gereizt, ging es ihr durch den Kopf und für einen Moment lang überlegte sie, ob sie etwas tun sollte um ihn zu besänftigen. Eleazar stand nun so nahe an Tabitha, dass sie ihn atmen hören konnte. Er roch nach Balsam, seine Züge waren glatt und kalt, der Körper muskulös. Zumindest ist er kein fetter, stinkender Sack wie der alte Ruben, dachte sie und zugleich machte sie sich bewusst, dass Eleazar wohl zu einigem mehr an Bosheit und Brutalität fähig sein würde. In Jerusalem wurde viel über die Lustknaben gesprochen, die er mit Vorliebe aus Griechenland holen ließ. Nicht wenige von ihnen waren früh verstorben oder gar aus eigenen Stücken in den Tod gegangen. „Ich kann mit euch tun, was ich will", hörte sie ihn sagen.

„Nur zu", erwiderte sie bockig und wunderte sich dabei über die Gleichgültigkeit in ihrer Stimme, denn tatsächlich hatte sich in ihrer Brust längst ein gewaltiges Beben ausgebreitet. Jetzt, da sie nackt und viel zu nah vor ihm stand, kehrten die Erinnerungen aus jener Nacht zurück, die Erbarmungslosigkeit des Schmerzes, die Scham, das Gefühl, dass jeder Stoß mehr von ihrem Ich auslöschen würde, nichts zurück ließ als eine leblose Hülle, die zu keiner Empfindung fähig war. Wieder spürte sie, wie es war, nicht atmen zu können, fliehen zu wollen und doch gefangen zu sein. Der Mann ihr gegenüber schwieg. Dann legte er seine Hände auf ihre Hüften und berührte dabei die ihren. Vorsichtig drehte er sie um. Dann näherte er sich mit den Lippen ihrem Nacken, berührte sie aber nicht.

„Ihr seid so jung", flüstert er, „kaum noch ein Weib." Sein Atem war warm, die Hände auf ihren Hüften kräftig und entschlossen, aber nicht grob. „Von hinten könnte man meinen, ihr wäret ein Knabe." Tabitha fröstelte. Es war nicht das, was er tat, sondern das, was sie von ihm erwartete, was ihr Angst machte.

Plötzlich ließ er sie los und trat ein paar Schritte zurück. „Wie auch immer. Ihr seid meine Ehefrau und ihr seid mir teuer." Das letzte Wort war eigenartig betont. „Diese Hochzeit hat mich einiges gekostet und sie wird mir nur von Nutzen sein, wenn ihr an meiner Seite alt werdet und mir den einen oder anderen kräftigen Erben schenkt."

„Ich werde mir Mühe geben", erwiderte Tabitha spitz und ihr Herz schlug dabei so laut, dass sie die eigenen Worte kaum hören konnte. Eleazar zog mit der rechten Hand die Zierdecke von seinem Bett und warf sie ihr zu. Überrascht griff Tabitha nach dem weichen Stoff, der mit Goldfäden durchzogen und mit Smaragden besetzt war.

„Gut", sagte er laut und nickte ihr energisch zu. Tabitha war sich nicht sicher, wie sie seine Geste deuten sollte, legte aber dennoch die Decke um die Schultern und schloss sie sorgfältig über ihrer Brust.

„Ich werde nicht über euch herfallen wie über eine Dirne oder einen Lustknaben", fuhr er fort. „Das wäre zu gewöhnlich." Es entstand eine kurze Stille.

„Wie schön", erwiderte Tabitha und sah dabei, dass er schmunzelte.

„Abgesehen davon, mache ich mir nicht viel aus kleinen Mädchen", sagte er und begann zielstrebig seine Kleidung in eine gewisse Unordnung zu bringen. Zuletzt fuhr er sich mit den Händen durch das glatt zurückgekämmte Haar. „Die Ehe ist also vollzogen", stellte er fest und sah ihr dabei prüfend in die Augen.

„Das freut mich", antwortete sie und er lachte.

„Ein amüsanten kleines Ding, das mir der alte Seraja da überlassen hat", stellte er nüchtern fest und griff dabei in seine Rocktasche. Dann hielt er ihr seine offene Hand hin, in der die Harnblase einer Ziege lag. Sie war mit etwas Blut gefüllt. „Euer Vater meint, ihr wisst, wozu das gut ist", stellte er fest und Tabitha nickte.

„Ich wünsche also eine angenehme Nachtruhe", sagte er und verließ den Raum ohne sie noch einmal anzusehen. Tabitha blieb eine Weile regungslos stehen, dann bereitete sie das Bett so vor, wie es ihr am überzeugendsten schien. Vorsichtig löste sie die über das Bett gespannten Decken, mit Ausnahme der untersten, welche die Matratze bedeckte. Dann ließ sie ein wenig Ziegenblut auf das weiße Lacken tropfen, brachte die Decken wieder in ihre ursprüngliche Ordnung und versteckte den kleinen Beutel in einer hohen Bodenvase. Am nächsten Tag würde sie ausreichend Gelegenheit haben, das unscheinbare Lederbündel verschwinden zu lassen. Als alles erledigt war, kroch sie unter die Bettdecke, ließ ihren Kopf in das weiche Kissen sinken und wartete. Draußen ging das Fest weiter. Immer wieder meinte sie Eleazars laute Stimme zu erkennen. Sie wollte nachdenken, doch ihr Kopf war leer. „Jonathan", flüsterte sie und sofort liefen Tränen über ihre Wangen. Die ersten Tränen seit dem Sukkot-Fest, sagte sie sich und schloss müde die Augen.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt