Morgenstunde

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Als Jonathan in den frühen Morgenstunden von einem Diener des Herodes geweckt wurde, brauchte er eine Weile, um sich zurecht zu finden. Er deutete dem Mann, keinen Lärm zu machen. Dann richtete er sich auf und betrachtete Thyra. Sie schlief oder stellte sich zumindest schlafend. Bevor er aufstand, beugte er sich noch einmal zu ihr und küsste sie auf die Schläfe. „Gott segne und behüte dich", sagte er leise, hob seinen Gürtel vom Boden auf, band ihn sich um die Hüften und folgte dem Knecht hinaus in die Dunkelheit.

Draußen wartete bereits eine bewaffnete Eskorte von sechs Männern, welche Herodes zu seiner römischen Residenz auf dem gegenüberliegenden Viminal geleiten sollte. Als Jonathan zu Herodes in die Sänfte stieg, merkte er sofort, dass der andere bester Laune war. Er hat alles erreicht, was er wollte, dachte Jonathan bitter und nahm sich zugleich vor, mit Herodes nur das Nötigste zu sprechen.

„Nun, mein Lieber, habt ihr noch ein paar angenehme Stunden verbracht", erkundigte sich Herodes gönnerhaft.

„Durchaus", erwiderte Jonathan knapp.

„Heute Nacht beginnt etwas Großes", fuhr Herodes fort. „Pompeius wird zufrieden sein."

„Wie schön", kommentierte Jonathan zynisch. Herodes klopfte ihm auf die Schultern. Sein Lachen klang etwas überzogen. „Wisst ihr, ich mag euren Humor. Wie schade, dass ihr alleine nach Alexandrien reisen werdet."

„Das Bedauern ist ganz meinerseits", gab Jonathan zurück und ärgerte sich dabei darüber, dass er Herodes schon wieder zum Lachen gebracht hatte.

Doch dann wurde der andere ernst. „Aber wir dürfen nicht zu siegessicher sein. Wir haben auch Feinde. Gaius Porcius Cato, zum Beispiel." Er sprach den Namen voller Verachtung aus. „Ein übler Intrigant, der schöne Reden halten kann, dessen Liebe zur Republik aber genauso lange währt, wie sie sich mit seinem Geldbeutel verträgt. Dummerweise ist er gerade Volkstribun geworden. Und ihm ist es auch zu verdanken, dass wir, anstatt einen kräftigen militärischen Schlag auszuführen, auf diplomatische Spielchen angewiesen sind." Herodes schüttelte verächtlich den Kopf und zog seinen Pelzumhang über der Brust zusammen. Es war kalt und auch Jonathan fröstelte. Natürlich hätte er sich eine der Decken nehmen können. Vor allem jetzt, sagte er sich, wo ich beinahe schon zum besten Freund der Römer geworden bin. Doch ein unsinniger Stolz hielt ihn zurück.

Da kippte die Trage plötzlich nach vorne und die beiden Männer hatten Mühe, das Gleichgewicht zu halten. Im selben Augenblick wurde die Stille von lauten Schreien durchbrochen. Jonathan sah, dass Herodes nach dem Dolch griff, der an seinem ledernen Gurt hing. Auf Jonathans fragenden Blick hin schlug er eine Decke zurück, unter der ein reich verziertes Krummschwert zum Vorschein kam. Ohne zu zögern nahm Jonathan die Waffe an sich. Einen Moment verharrten sie starr und lauschten angestrengt dem Stimmengewirr. Dann schob Herodes den Vorhang der Trage vorsichtig ein Stück zur Seite. Der Morgen dämmerte schon, doch verhüllte ihnen der Nebel die Sicht. Jonathan wusste nicht, wo sie sich befanden. Vermutlich immer noch in der Suburra. Die Steigung des Viminals, wo die Villen der reichen Römer lagen, hatte noch nicht begonnen.

Den Geräuschen nach zu schließen aber waren die Leibwächter des Herodes in ein heftiges Gefecht verwickelt. Man hörte Klingen, die gegeneinander stießen, die Schreie der Verwundeten. „Straßenräuber", zischte Herodes gepresst.

„Kann sein", gab Jonathan leise zurück. „Oder jemand will einen politischen Gegner ausschalten."

„Unmöglich", widersprach ihm Herodes heftig. „Niemand rechnet damit, dass ich zu dieser Stunde unterwegs bin." Er wartete. „Einfache Banditen. Meine Männer werden das bald im Griff haben."

„Dann können wir die Waffen ja wieder hinlegen", erwiderte Jonathan zynisch und Herodes warf ihm einen bösen Blick zu. Natürlich hat er Recht, sagte sich Jonathan. Die Räuber werden gemeint haben, dass sie einen betrunkenen Adeligen und ein paar Sklaven aufgestöbert haben. Leichte Beute. Aber mit bewaffneten Soldaten haben sie bestimmt nicht gerechnet. Während die beiden Männer schweigend und lauernd in ihrer Position verharrten, dauerte der Kampflärm an. Etwas zu lange, überlegte Jonathan und Herodes musste dasselbe gedacht haben, denn er verriegelte eine Tür der Sänfte und nahm hinter der zweiten Tür seine Stellung ein. Gegenüber einem Angreifer war er damit in einer strategisch überlegenen Position.

Jonathan starrte angestrengt in die vom Nebel verfremdete Dämmerung. Plötzlich meinte er, ganz in der Nähe die Konturen von zwei miteinander ringenden Männern erkennen zu können. Da wurde die nicht verriegelte Tür aufgerissen, eine Hand griff in das Innere der Sänfte, klammerte sich an Jonathans Tunica fest und versuchte, ihn nach draußen zu zerren. Doch der Angreifer hatte seine Gegner unterschätzt. Jonathan stemmte sich mit ganzer Kraft gegen die Bewegung. Er sah das Gesicht des Straßenräubers jetzt unmittelbar vor sich. Ein widerlicher Geruch nach Knoblauch und faulen Zähnen strömte ihnen entgegen. Bevor Jonathan reagieren konnte, hatte Herodes dem Eindringling schon seinen Dolch in die Brust gerammt. Er drehte die Waffe entschlossen nach oben, sodass sich der Weg, den sie beschrieb, am Auf und Ab der Rippen nachvollziehen ließ. Ein Schwall Blut quoll aus dem Mund des Räubers und färbte die feinen Kissen, die auf den Boden der Trage gefallen waren, rot.

Herodes schimpfte leise, zog seine Waffe zurück und wuchtete den toten Körper mit einem Fußtritt nach draußen. Die Kampfgeräusche waren inzwischen beinahe verstummt und die Befehle, die auf Griechisch gegeben wurden, zeigten, dass die Soldaten dabei waren, sich zu organisieren. „Klelios, wo bist du?", schrie Herodes und tatsächlich näherte sich ihnen kurz darauf ein großgewachsener, dunkelhäutiger Mann, der offensichtlich verwundet war.

„Räuber, Herr", stellte er unnötiger Weise fest, „aber wir haben sie bezwungen. Zwei Träger sind tot."

„Du bist verletzt", erwiderte Herodes und es war nicht klar, ob es sich dabei um eine Frage oder um eine Feststellung handelte.

„Eine Fleischwunde, nichts weiter", gab sein Leibwächter zurück. „Wir müssen fort."

Bevor Herodes aus der Sänfte stieg, drehte er sich noch einmal um und holte ein Messer unter der Decke hervor. Dann schob er Klelios zur Seite und ging mit entschlossenem Schritt in jene Richtung, in der man die Steigung des Viminal vermuten konnte. „Die Sänfte bleibt hier", befahl er und fügte hinzu: „Wir dürfen keine Zeit verlieren."

Die Soldaten folgten ihm. Jonathan blieb in der Nähe von Klelios. Allmählich ließ der Nebel nach und es gelang ihm sich zu orientieren. Doch das war im Grunde nicht nötig, denn Herodes schritt einem Heerführer gleich der Gruppe voran, in der rechten Hand das Messer, in der Linken den blutverschmierten Dolch. 

„Ein geborener Führer", flüsterte Klelios voller Respekt, wie zu sich selbst, und obwohl es Jonathan missfiel, musste er ihm insgeheim Recht geben.

Priester und KönigeWo Geschichten leben. Entdecke jetzt