Gedankenlos lief Severus die Gänge entlang, voller Wut auf sich selbst und immer noch berauscht von dem, was im Glockenturm passiert war. Er achtete nicht darauf wohin er lief oder wem er begegnete. Irgendwo auf einem Treppenabsatz geriet er in eine laute Gruppe Erstklässler, die er ungeduldig beiseite schubste, was einer der Erstklässler mit einem empörten Rufen quittierte. Snape drehte sich nach dem vorlauten Erstklässler um, der ihn wütend anfunkelte. „Pass doch auf!" Fauchte der Erstklässler und Snape starrte den kleinen Jungen ungläubig an, der vor seinen Freunden stand und ihm mutig das Kinn entgegen reckte. „Gryffindors." Knurrte Snape missmutig und griff in die Tasche seines Umhangs. Mit einem gekonnten Schlenker seines Zauberstabs wurde der Junge an seinen Füßen in die Luft gezogen und hing jetzt Kopfüber über den Stufen, wo er panisch rufend herumzappelte. Seine Freunde standen ängstlich und mit weit aufgerissenen Augen neben dem Jungen und waren sichtlich überfordert mit der Situation. Keiner von ihnen schien zu wissen, was er tun sollte und für einen kurzen Moment genoss Snape die Hilflosigkeit dieser vorlauten Gryffindors, bis er wieder zu Vernunft kam. Mit einem weiteren Schlenker beförderte Snape den Jungen unsanft wieder auf den Boden, bevor er weiter die Stufen hinab stieg. „Das nächste Mal solltet ihr vielleicht etwas mehr Respekt haben." Raunte er den aufgeregt durcheinander redenden Erstklässlern zu und ging wütend weiter. Die Sehnsucht nach Lily und nach dem was sein könnte, wenn er einige Fehler nicht begangen hätte, zerriss ihn innerlich und er hasste sich. Er hasste sich dafür, Lily so sehr verletzt zu haben, dass ihre Freundschaft zerstört worden war, und er hasste sich dafür, dass er vor lauter Verzweiflung irgendwo dazu gehören zu wollen, die Nähe zu den Todessern gesucht hatte und dass er an dem Abend in Spinners End mit Malfoy mit gegangen war. Wenn er all diese Dinge nicht getan oder entschieden hätte, dachte er, wären er und Lily jetzt vielleicht ein Paar? Könnte sie ihn wirklich auf diese Art lieben? Gab es doch einen Ausweg aus dem ganzen Chaos, oder einen Weg bei ihr sein zu können? Nein. Es war zu spät. Das war der einzige Schluss zu dem er kam und er wusste nicht, wie er jemals den Gedanken ertragen konnte, dass er selbst sein Leben mit Lily unwiederbringlich zerstört hatte. Oder wie er ertragen sollte, dass Lilys Leben zweifellos weiter gehen würde, auch ohne ihn. Sie war beliebt, konnte bedingungslos lieben und war zudem atemberaubend schön. Seine Gedanken schweiften zurück zu dem Kuss und das Kribbeln durchzog seinen Körper erneut wie eine Welle. Er erschauderte, blieb stehen und lehnte sich mit dem Rücken an eine Wand um einen Halt zu haben, während er sich und seine Gedanken sammelte. Überwältigt von seinen Gefühlen ließ er sich auf den Boden sinken, schloss die Augen und schluckte schwer, in der Hoffnung den Kloß in seiner Kehle los zu werden. „Alles in Ordnung?" Fragte jemand besorgt und Severus riss erschrocken die Augen wieder auf. Er sah hinauf, geradewegs in Remus Lupins Gesicht, das heute ungewöhnlich blass aussah und ihn mit einer Mischung aus Interesse und Besorgnis musterte. „Lupin." Sagte Severus mit leiser, rauer Stimme und atmete hörbar aus. „Mhm. Ja. Der bin ich wohl." Antwortete Lupin leichthin und sah ihn weiter an. „Und? Ist alles in Ordnung mit dir?" Fragte er erneut und Severus schüttelte zu seiner eigenen Überraschung den Kopf. „Nein. Nichts ist in Ordnung." Flüsterte er heiser und räusperte sich, um seine Verlegenheit über seine ehrliche Antwort zu überspielen. Was hatte dieser Lupin nur an sich, dass er mit ihm ständig über seine Gefühle sprach, dachte er gereizt und Lupin setzte sich seufzend zu ihm auf die Erde. „Möchtest du reden?" Fragte Lupin vorsichtig und Severus schüttelte erneut den Kopf. „Es geht um Lily." – „Oh." Sagte Remus und runzelte besorgt die Stirn. „Ist alles in Ordnung mit ihr?" Fragte er leise und Severus zuckte die Schultern, woraufhin Lupin ihn fragend ansah und seine Stirn in noch tiefere Falten legte. „Warst du heute Vormittag bei ihr? Wir haben sie überall gesucht, aber ich dachte, dass sie vermutlich einfach nicht gefunden werden will." Erklärte Remus und Severus nickte kraftlos. Er konnte sich nicht gegen Lupins Fragen wehren. Nicht jetzt, in diesem unerträglichen Gefühlschaos, das in ihm herrschte. „Ich war bei ihr. Sie ist im Glockenturm." Erklärte er knapp und wieder blitzten die Erinnerungen in ihm auf. Lupins Augen wurden groß und er öffnete den Mund um etwas zu sagen, entschied sich aber dagegen. Und was auch immer Severus dazu verleitete, fügte er leise hinzu: „Wir haben uns geküsst." Lupin starrte ihn an, offensichtlich so überrascht, dass er nicht wusste was er antworten sollte. Er schien sich zu fragen, warum Severus ihm das erzählte, aber das wusste er schließlich selbst nicht. Severus fühlte sich ausgelaugt und hatte das Gefühl gehabt, dass sein innerer Kampf ihn zerstören würde, wenn er es nicht laut ausgesprochen hätte. „Seid ihr... also, seid ihr jetzt ein ein Paar?" Fragte Lupin zögerlich und Severus lachte freudlos auf. „Nein." Sagte er bloß und schüttelte resigniert den Kopf. „Nein." Wiederholte er und sah in Lupins verständnisloses Gesicht. „Wieso?" Fragte Lupin sichtlich überrascht. „Ich habe gedacht, dass du sie..." Er brach den Satz ab und begann von neuem. „Du willst also nicht?" Fragte er stattdessen und Severus funkelte ihn wütend an. „Wer sagt, dass ich nicht will?" Fragte er gereizt und biss sich zugleich auf die Zunge. Wie dumm konnte man sein, dachte er hasserfüllt und stand auf. Wie konnte er sowas zu Lupin sagen? Auch Remus sprang auf und hielt ihn kurz an der Schulter zurück. „Lily möchte nicht?" Fragte Remus und sah ihn mit einem merkwürdigen Gesichtsausdruck an. Jetzt wurde Severus einiges klar. Vermutlich versuchte Lupin herauszufinden, wie die Chancen für seinen Freund Potter standen, dachte er verächtlich und ein neuer Gedanke kam ihm in den Sinn. Was wäre, wenn Lily sich einfach nur durch ihre Trauer zu diesen Kuss hatte verleiten lassen? Weil sie in dem Moment ihre eigenen Gefühle nicht hatte richtig deuten können. Was wäre, wenn Potter sie an seiner Stelle gefunden hätte? Dann hätte sie vermutlich ihn geküsst, anstatt Severus. Wie hatte er sich einbilden können, dass der Kuss wirklich ihm gegolten hatte. Er erstarrte und etwas in ihm starb. „Ich muss gehen." Erklärte er dem sichtlich verwirrten Lupin eisig, und ließ diesen einfach in dem Gang zurück, in dem sie gerade noch gemeinsam gesessen hatten. Er ärgerte sich über sich selbst, dass er sich ausgerechnet einem von Potters Freunden anvertraut hatte und er war sich sicher, sich heute Abend, oder sogar für die nächsten Tage und Wochen mal wieder zum persönlichen Gespött der Gryffindors gemacht zu haben. Wie hatte er sich nur so schwach und verletzlich zeigen können, dachte er angewidert von sich selbst und verkroch sich für den Rest des Tages in seinem Schlafsaal in den Kerkern.
DU LIEST GERADE
Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und Licht
FanfictionDie Geschichte einer Liebe, die in einem Kampf zwischen Schatten und Licht ausgetragen wird. In einem stetigen Kampf zwischen den verschiedensten Gefühlen, Ängsten und Sorgen, müssen Lily und Severus Entscheidungen treffen, die ihr Leben für immer v...