Kapitel 133 - Sorge

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Severus zielte und versuchte gleichzeitig seine Gedanken zu sammeln. Es musste funktionieren, und es konnte, wenn er es nur wirklich wollte. Er schloss seine Augen und konzentrierte sich auf das, was wichtig war. Nur dieses eine Mal, flehte er und hoffte dabei inständig, dass seine Gedanken noch nicht komplett verseucht waren. Er hörte Ambers Schreie und verlor einen Moment die Konzentration, spürte wieder deutlich die Wut in sich und dachte daran, dass er dieses starke Gefühl auch für seine Zwecke nutzen könnte. Seine Fingerknöchel waren mittlerweile weiß angelaufen, weil er sich so sehr an seinen Zauberstab klammerte, als könnte dieser ihm den nötigen Halt geben. Entschlossen biss er die Zähne zusammen, ordnete die Gedanken in seinem Kopf und sprach leise den Zauberspruch. Zu seiner Überraschung trat aus der Spitze seines Zauberstabs tatsächlich ein silberner Nebel, formte sich zu einer verschwommenen Gestalt und vertrieb die Dementoren aus Ambers Nähe. Er hatte erkannt, dass seine Wut eigentlich nicht Amber gegolten hatte, sondern überwiegend ihm selbst. Absurderweise hatte ihm diese Wut in diesem Moment seine Liebe zu Lily so deutlich spüren lassen, dass er zur Besinnung gekommen war. Er wollte niemandem weh tun. Das dunkle Mal wollte sein Denken übernehmen, aber das würde er nicht zulassen. Mit aller Kraft hatte er eine glückliche Erinnerung hervorrufen können, die mächtig genug gewesen war, noch ein letztes Mal einen Patronus heraufzubeschwören. Er atmete schwer, riss sich von dem Anblick seiner silbernen Schutzgestalt los und richtete seinen Blick vor sich auf den Boden. Ohne darüber nachzudenken, fiel er vor der ohnmächtigen Amber auf die Knie, drückte seinen Zauberstab an ihre Halsschlagader und murmelte einen einfachen Vitalfunktionszauber, von dem er schon einmal gelesen, den er aber noch nie verwendet hatte. Augenblicklich begann sein Zauberstab regelmäßige kleine Lichtsignale erscheinen zu lassen. Ambers Puls war zwar schwach, aber wenigstens noch vorhanden. Er betrachtete ihr kalkweißes Gesicht und fühlte sich unwillkürlich an die Situation erinnert, als er Lily nach dem Würgeangriff in einer ähnlichen Verfassung aufgefunden hatte. Er schluckte, spürte seinen heftigen Herzschlag und versuchte in seinem Kopf einen Plan auszuarbeiten, wie er Amber und sich in Sicherheit bringen könnte. Die Dementoren hatten ihr schwer zugesetzt und sie brauchte dringend Hilfe. Hektisch sah er sich um. Dieser Teil der Straße war immer noch menschenleer, weshalb er ohne zu zögern seine Chance nutzte und Amber mit einem Schlenker seines Zauberstabs auf Hüfthöhe aufsteigen ließ, bevor er sie liegend in die nächste Gasse zwischen zwei Häusern manövrierte. Diese war so schmal, dass Severus Mühe hatte, Amber gerade genug auf der magischen Trage zu halten, damit sie nirgendwo anstieß. Seine tobenden und widersprüchlichen Gefühle waren mittlerweile einer panischen Angst gewichen und er sah sich immer wieder um. Wenn ein Todesser ihn so erwischen würde, wären sie beide tot. Daran gab es keinen Zweifel. Aber er hatte keine Wahl, er musste Amber in Sicherheit bringen. Er würde Lilys Schmerz nicht ertragen können, wenn Amber etwas geschah, weil er sie hier einfach ihrem Schicksal überlassen hatte. Eilig lief er weiter und versuchte im Schatten der Hauswände ausreichend Deckung zu finden. Erst als er der Meinung war, von niemandem gesehen werden zu können, packte er Amber beherzt am Arm, konzentrierte sich ein zweites Mal an diesem Tag fest auf sein Ziel und war einen Wimpernschlag später aus Hogsmeade verschwunden.
Unsanft landeten sie beide mit einem platschenden Geräusch auf dem kaltnassen Boden. Severus spürte wie die Übelkeit wieder in ihm aufstieg. Sein Arm brannte und die große Wunde auf seiner Haut, die das Mal verursacht hatte, pulsierte unheilvoll. Er ignorierte die Schmerzen, die brodelnden Gefühle und das nasse Gefühl seiner Klamotten, die eiskalt an seinem Körper klebten. Keuchend tastete er nach Amber, die reglos neben ihm im Schneematsch lag und leise stöhnte. Er beugte sich über sie, unbeirrt von seinem vollgesogenen Umhang, der schwer an seinen Schultern zerrte, als wolle er ihn von Amber fern halten. Vorsichtig legte er seine Hand unter ihren Kopf und hob ihn sanft an. „Amber!", sagte er mit heiserer Stimme und betrachtete ihre Lieder, die immer wieder wild zuckten, bevor sie sich schließlich langsam öffneten. „Amber! Kannst du mich hören?" Amber nickte so leicht, dass Severus es vermutlich übersehen hätte, wenn er nicht so voller Adrenalin gewesen wäre. „Wir sind gleich da. Okay? Halte durch.", flüsterte er ihr abgekämpft zu, bevor er nach seinem Zauberstab tastete, den er bei der unsanften Landung fallen gelassen haben musste. Wieder nickte Amber fast unmerklich und schloss ihre Augen. Severus fand seinen Zauberstab, mühte sich auf die Beine und beförderte Amber erneut mit dem Tragezauber nach oben. Sein Umhang zog immer noch an ihm, aber er ging unbeachtet dessen schnellen Schrittes weiter, trat ohne sich umzusehen auf das Schlossgelände und verlangsamte sein Tempo wieder ein wenig. Sie waren in Sicherheit, dachte er erleichtert und erlaubte sich ein leichtes Durchatmen. Am Schloss angekommen bemerkte er sofort den großen Tumult, der in der großen Halle herrschte. Wie durch einen Nebel sah er einige Lehrer, die versuchten die herum eilenden Schüler zu beruhigen oder die Verletzten zu versorgen. Das aufgeregte Stimmengewirr drang nur dumpf an ihn heran und es fühlte sich an, als wäre sein Kopf unter Wasser. Niemand hatte bemerkt, wie er mit Amber die große Halle betreten hatte und er hielt verzweifelt Ausschau nach Madam Pomfrey. Sah denn niemand, dass sie Hilfe brauchten? Er wollte rufen, aber aus seiner Kehle kam bloß ein leises Krächzen und er räusperte sich ungeduldig, um seine Stimme wieder zu erlangen. Plötzlich lief jemand an ihm vorbei und er zögerte nicht lang, griff ohne darauf zu achten wen er da anhielt nach dem Arm der Person und sah in das fragende Gesicht von Madam Pomfrey. Ihr Blick schweifte von ihm hinüber zu Amber, die immer noch neben ihm schwebte und sie verstand sofort. „Dementoren?", fragte sie, während sie auch schon ihren Zauberstab auf Ambers Oberkörper setzte und einige Heilzauber murmelte. Er nickte stumm und sie bedeutete ihm mit einer Geste, ihr zu folgen. Mit ernster Miene lief sie voran in den Krankensaal und Severus hoffte inständig, dass Amber das alles unbeschadet überstehen würde.

„IST AMBER HIER?", rief eine vertraute Stimme panisch und schreckte damit Lily und Remus auf, die noch kurz zuvor gemütlich lesend vor dem Kamin gesessen hatten. Beide starrten Sirius und James fragend an, die jetzt kreidebleich vor ihnen standen. „WO ist AMBER?", fragte Sirius erneut und Lily schüttelte verwirrt den Kopf. „Hier ist niemand Sirius. Bloß wir und ein paar Erst- und Zweitklässler.", sagte sie ruhig, woraufhin Sirius sich fahrig durch die langen Haare fuhr und leise stöhnte. „Mhm, was ist denn passiert?", fragte jetzt Remus und warf Lily einen kurzen Blick zu. „Dementoren. Todesser. In Hogsmeade. Sie waren plötzlich überall.", erklärte James mit brüchiger Stimme, während Sirius ruhelos im Raum herum lief. „WAS?", fragten Lily und Remus fast gleichzeitig und starrten James fassungslos an. „Und was ist mit Amber?", fragte Lily tonlos. „Amber war nicht bei uns. Sie wollte noch einmal los und wir sind in den drei Besen geblieben. Als das Chaos ausbrach haben wir sie gesucht, konnten sie aber nicht finden.", erklärte Sirius schnell und mit schmerzerfüllter Miene, ganz als wäre es seine Schuld, dass Amber verschwunden war. Lilys Gedanken rasten und Angst machte sich in ihrem Herzen breit. Wo bei Merlin war Amber? Und wo war Severus? Auch er war vermutlich zu dem Zeitpunkt noch in Hogsmeade gewesen. „Wir haben geholfen wo wir konnten, haben überall gesucht, aber als die Auroren und Ministeriumsmitarbeiter kamen, haben sie das Dorf evakuiert und uns zum Schloss geschickt.", sagte James wütend und hob hilflos die Schultern. „Wir haben einige Versuche unternommen uns zurück zu schleichen, aber sie haben uns immer wieder erwischt.", erklärte Sirius verzweifelt und blieb plötzlich stehen. „Wir müssen im Krankenflügel nachsehen. Vielleicht ist sie jetzt da.", rief er aus und war bereits auf dem Weg nach draußen, als seine Freunde sich ihm ohne Zögern anschlossen.

Severus atmete tief durch, als er die Tür seines Schlafsaals hinter sich schloss und sich mit seinem Rücken für einen kurzen Augenblick dagegen lehnte. Amber war in guten Händen. Madam Pomfrey kümmerte sich im Krankenflügel um sie, wo mittlerweile auch die anderen Verletzten hingebracht worden waren. Auch ihn hatte Madam Pomfrey dabehalten wollen, aber er hatte sich geweigert und ihr glaubhaft versichert, dass es ihm gut ginge. Das war natürlich eine dreiste Lüge gewesen und er überlegte unwillkürlich, die wievielte Lüge das an diesem Tag bereits gewesen war. Die Übelkeit von vorhin überkam ihn wieder und er ging mit eiligen Schritten in das anliegende Bad. Seine Hände krallten sich um den Rand des Waschbeckens und er blickte starr auf das weiße Porzellan, sorgfältig darauf bedacht, nicht in den Spiegel zu sehen. Er würde seinen eigenen Anblick jetzt nicht ertragen können. Hastig drehte er den Wasserhahn auf und hielt seine Handgelenke unter den Strahl eiskalten Wassers. Er spürte wie die Übelkeit langsam verschwand und er benetzte unsanft auch sein Gesicht mit dem kühlen Wasser, woraufhin auch seine Gedanken sich langsam beruhigten und ordneten. Sein linker Arm pochte dumpf und er versuchte das brennende Gefühl zu ignorieren, aber er konnte nicht anders. Mit zitternden Fingern griff er nach dem Saum und schob wie benommen den Ärmel seines Umhangs nach oben, bis sein Unterarm vollkommen entblößt war. Mit versteinerter Miene starrte er auf die schwarze Schlange, die sich unheilvoll durch den Totenkopf schlängelte, der ihn höhnisch anzugrinsen schien. Wieder spürte er die Wut und das Böse durch seine Adern strömen und er krallte unwillkürlich seine rechte Hand in seinen gezeichneten Arm, bevor er wieder die Augen schloss und einen tiefen Atemzug nahm. Es war die gleiche Wut die ihn bei Ambers Anblick erfasst hatte. Eine unbändige Wut auf sich selbst. Eine Wut darüber, dass er Lily das alles angetan hatte und über ihren Schmerz, den sie erleiden würde, wenn sie von dem Mal erfahren würde. Eine Wut auf Dumbledore, weil er Lily niemals die Wahrheit verraten können würde. Und eine unvorstellbare Wut, weil er seine bösen Gedanken nur noch schwerlich steuern konnte, wodurch sie freie Bahn hatten sich in seinen Kopf zu brennen und seine bereits verseuchte Seele noch weiter zu vergiften. Nichts würde ihn jetzt noch retten können, dachte er resigniert und hob gegen sein Vorhaben seinen Blick. Er sah geradewegs in sein vor Schmerz verzogenes Gesicht und verspürte unwillkürlich Hass, Ekel und Verzweiflung, während seine schwarzen Augen ihn mit einer trauernden Leere entgegen blickten.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt