Kapitel 75 - Hilflosigkeit

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„Lily." Rief James und sprang von seinem Sessel auf, als sie durch das Portraitloch in den Gemeinschaftsraum kletterte. „Lily wir haben dich den ganzen Tag gesucht." Sagte er aufgeregt und mit vorwurfsvollem Unterton in seiner Stimme. „Wo warst du?" Lily zuckte kurz erschrocken zusammen und stöhnte dann innerlich. Als ob es nicht schlimm genug war den Gemeinschaftsraum nicht wie geplant leer vorzufinden, nein, es wartete dort ausgerechnet James Potter auf sie. „James, bitte. Ich möchte einfach nur ins Bett." Sagte sie müde und schob sich an ihm vorbei. Er hielt sie am Arm fest und sah sie besorgt an. „Ist alles in Ordnung?" – „Was glaubst du denn?" Fragte sie leise und etwas zu forsch. James seufzte. „Ja ich weiß. Bescheuerte Frage... Aber ich meinte auch, also ich dachte..." – „Schon gut." Unterbrach Lily ihn. „Ich verstehe schon." Sie sah sich im Gemeinschaftsraum um. „Wo ist Sirius?" Fragte sie und war froh etwas gefunden zu haben, womit sie von sich ablenken konnte. „Ist vor zwei Stunden zu den Prewetts abgereist." Erklärte James knapp und ließ sich wieder in den Sessel fallen. Lily bemerkte erst jetzt wie mitgenommen er aussah und realisierte in diesem Moment, dass sie natürlich nicht die einzige war, die mit Amber und ihrer Familie mitfühlte. Auch James war mit Amber befreundet. „Er hat McGonagall angefleht ihn zu Amer zu lassen, und McGonagall hat alles Nötige in die Wege geleitet, damit er ebenfalls über das Flohnetz zu den Prewetts reisen konnte." Fügte er hinzu und Lily setzte sich zögerlich in den Sessel neben seinen. „Ich bin froh, dass er bei ihr ist." Sagte sie nach einem kurzen Schweigen und James nickte müde. „Ja." Sagte er und sie schwiegen eine Weile. „McGonagall hat dich ebenfalls gesucht. Sie möchte wissen, ob du zur Beerdigung gehen möchtest." Unterbrach er die Stille. „Ich werde auch hin gehen." Fügte er hinzu und Lily nickte verstreut. „Ja. Natürlich. Ich sage ihr morgen Bescheid." Sagte sie abwesend, lehnte sich erschöpft in dem weichen Sessel zurück und schloss ihre brennenden Augen. Sie war so unendlich müde, wollte aber James nicht einfach alleine hier sitzen lassen. „Du solltest ins Bett gehen." Sagte er sanft und sie öffnete ihre Augen, um ihn anzusehen. „Ja, vermutlich hast du Recht." Seufzte sie. „Aber ich werde sowieso keine Ruhe finden." James seufzte ebenfalls leise und sie schwiegen erneut einige Minuten. „McGonagall hat nicht nur dich gesucht." Bemerkte er plötzlich und Lily sah ihn überrascht an, sagte jedoch nichts. Sie konnte sich denken, wen sie gesucht hatte, weil er heute Morgen nicht beim Unterricht erschienen war. „Snape war genauso vom Erdboden verschluckt wie du." Versuchte er im Plauderton hinzuzufügen, aber Lily entgingen der Argwohn in seiner Stimme und der stille Vorwurf zwischen den Zeilen keinesfalls. Allerdings war Severus definitiv das letzte Thema, das sie heute Abend mit James Potter besprechen wollte, mal abgesehen davon, dass es ihn auch gar nichts anging. „Und?" Fragte sie deshalb leichthin und stand auf. Auch James sprang aus seinem Sessel. „Nur so." Antwortete er hastig. „Ich dachte, es würde dich vielleicht interessieren?" Fragte er vorsichtig und Lily hob die Augenbrauen. „Warum sollte es?" Erwiderte sie und über James Gesicht huschte ein kleines Lächeln der Genugtuung. „Jetzt entschuldige mich bitte." Sagte sie mit brüchiger Stimme. „Ich werde wohl doch besser ins Bett gehen." James nickte irritiert. „Ja, klar, okay..." Stotterte er und sah sie unsicher an, als überlegte er, was er sagen sollte damit sie blieb. Sie war sich jedoch sicher, dass James die paar Minuten bis Remus und Peter vom Abendessen zurück kamen auch alleine zurecht kommen würde. „Gute Nacht." Sagte sie und blickte in James enttäuschtes Gesicht, was sie fast dazu bewegte, doch noch zu bleiben. „Gute Nacht." Erwiderte er mit einem leichten Lächeln und sie winkte ihm kurz zum Abschied, bevor sie hinauf in den Mädchenschlafsaal ging.

Dort angekommen setzte sie sich auf ihr Bett und ließ den Tag in ihren Gedanken noch einmal Revue passieren. Sie wusste immer noch nicht wie so ein normaler Tag in so einem Alptraum enden konnte. Es kam ihr wie eine halbe Ewigkeit vor, als Amber und sie fröhlich und voller Tatendrang den Schlafsaal verlassen hatten, dabei waren seitdem keine zwölf Stunden vergangen. Und jetzt saß sie hier. Allein. Mit all ihren Gefühlen. Sie sorgte sich um Amber, war jedoch um einiges erleichterter seit sie wusste, dass Sirius jetzt gerade bei ihr war. Zwangsläufig wanderten ihre Gedanken zu Severus und ihr Magen verkrampfte sich schmerzhaft, wenn sie an die vergangenen Stunden dachte. Was war bloß dort oben auf dem Glockenturm passiert? Sie verstand es immer noch nicht, hatte trotz des ganzen Grübelns immer noch keine Antworten auf ihre Fragen. Heute hatte sie kaum ein Gefühl so sehr bewegt wie die Hilflosigkeit. Heute Morgen war es noch die Hilflosigkeit, ihrer besten Freundin nicht helfen zu können und dabei zusehen zu müssen, wie eine unvorstellbare Woge des Schmerzes Amber überrannt hatte. Danach die Hilflosigkeit, als Severus einfach gegangen war, nachdem er sie hatte glauben lassen, dass alles gut werden würde. Er hatte ihr das Gefühl gegeben, dass sie alles schaffen konnten. Gemeinsam. Und jetzt war er fort. Zunächst war sie überrascht gewesen, ihn auf dem Glockenturm zu sehen und sie hatte sich kurz gefragt, wie er sie dort oben gefunden hatte. Aber das war für sie in diesem Moment unwichtig gewesen. Er war da. Alles andere hatte keine Bedeutung gehabt. Sie hatte sich fallen lassen und ihrem Kummer freien Lauf lassen können, ohne alleine zu sein. Mit einem wohligen Schaudern dachte sie an den Kuss und versuchte sich an das Gefühl zu erinnern, dass seine Lippen auf ihren ausgelöst hatten. Es hatte sich angefühlt, als gäbe es auf dieser Welt nichts und niemanden außer sie beide. Alle Sorgen waren für einen Moment vergessen und ein fast unerträgliches Kribbeln hatte sich in ihrem Körper ausgebreitet. Sie seufzte leise bei dem Gedanken daran, legte sich auf ihr Bett und starrte zur Decke. Die Sehnsucht in ihr brannte unerträglicher denn je und sie zermarterte sich verzweifelt den Kopf darüber, warum Severus auf einmal regelrecht vor ihr weggerannt war, und wie sie sich jetzt verhalten sollte. Aber wie sie es drehte und wendete, es wollte ihr keine Lösung einfallen. Vor allem, weil ihre Gedanken immer wieder zu Amber schweiften und ihr diese Sorge ebenfalls keine Ruhe ließ. 

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt