Kapitel 126 - Für wenige Stunden

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Schwer atmend und mit erhobenen Zauberstab stand Severus immer noch vor Black und überlegte, ob er diesem widerwärtigem Abschaum noch einen Fluch auf den Hals jagen sollte. Er setzte zu einem Fluch an, dachte dann aber an Lily und hielt in der Bewegung inne. Sie brauchte ihn jetzt. Langsam ließ er den Zauberstab wieder sinken und warf Black einen vernichtenden Blick zu, bevor er schließlich Lily hinterher lief, die den Gemeinschaftsraum der Slytherins schon fast vollkommen durchquert hatte. Er traute sich nicht sie anzusprechen, weswegen er einfach schweigend neben ihr her lief und unauffällig versuchte ihre Miene zu deuten.
Lily hatte ihren Blick ausdruckslos nach vorne gerichtet und er konnte nur ahnen, wie verletzt sie sein musste. Beklommen dachte er an die Parallelen zu der Situation, als er selbst sie ein Schlammblut genannt hatte und sein Magen zog sich schmerzhaft zusammen. Erst vorhin auf ihrem Spaziergang waren diese offenen Wunden wieder aufgerissen worden und er fragte sich unwillkürlich, ob Black zu heftig in die selben Wunden gestochen hatte, als dass sie jemals wieder heilen würden. Panik stieg in ihm auf. Hatte Black sie so sehr daran erinnert wie sie sich damals gefühlt hatte, dass sie ihn jetzt wieder verlassen würde? Wieder musterte er Lily, und wieder wurde er nicht schlau aus den Gefühlen, die in ihr zu toben schienen und die sich nur andeutungsweise in ihren Zügen abzeichneten. Sie sagte nichts, beschleunigte jedoch noch einmal ihre Schritte, was Severus glauben ließ, dass sie versuchte vor ihm zu flüchten, oder ihm damit zumindest signalisieren wollte, dass er sich von ihr fern halten sollte. Trotz seiner Unsicherheit wagte er es nicht langsamer zu werden und hielt mit ihr Schritt. Wenn sie ihn jetzt verließ, dachte er und konnte diesen Gedanken noch nicht einmal weiter führen. Die Qualen die ihm diese Vorstellung bereitete waren unvorstellbar. Eine unbändige Flut von Gefühlen brach über ihn herein und drohte ihn mit sich zu reißen, ihm den Verstand zu rauben und in den Wahnsinn zu treiben. Es fühlte sich an, als würde er innerlich zerreißen und er versuchte verzweifelt darüber nachzudenken, was er jetzt tun sollte. Wie sollte er das überleben? Sie waren jetzt fast am Gryffindor-Turm angelangt und jeder Schritt fiel ihm schwerer, je näher sie ihm kamen. Er sträubte sich innerlich vor der Ankunft an dem Porträt, weil es dort zum Abschied kommen würde. Er zählte die Schritte. Noch drei. Er spürte den rasenden Herzschlag in seiner Brust. Zwei Schritte noch. Sein Atem ging schwer. Ein Schritt. Lily blieb stehen und mit ihr sein Herz. Unwillkürlich hielt er die Luft an, als sie sich langsam zu ihm umdrehte und er die Tränen sah, die ihre Wange hinab liefen. Ihr Gesicht war blass und sie sah unendlich müde aus. „Lily.", sagte er leise. „Es tut mir Leid." Er senkte betreten den Blick. Dann spürte er plötzlich Lilys Arme, die sich um seinen Körper schlangen und für die Länge eines Wimpernschlages wagte er es nicht sich zu bewegen. Dann legte er völlig perplex ebenfalls seine Arme um sie, während sie ihren Kopf an seine Brust schmiegte. Er spürte wie ihr Körper unter den leisen Schluchzern bebte und er streichelte ihr sanft über ihren Rücken. Erleichtert presste er sein Gesicht in ihr Haar und sog den unwiderstehlichen Duft ein, während sein Pulsschlag sich langsam wieder beruhigte.

Lily genoss die tröstende Umarmung von Severus, während sie darüber nachdachte, was mit Regulus geschehen war. Sie verstand es nicht. Erst half er ihr Severus zu suchen, und dann war er völlig außer sich, weil er sie zusammen sah? „Lily. Was ist passiert?", ertönte Remus besorgte Stimme plötzlich hinter ihnen und ließ sie aufblicken. Sie sagte nichts, schüttelte nur traurig den Kopf. „Black ist passiert.", knurrte Severus und Remus sah überrascht von einem zum anderen. „Regulus?", fragte er stirnrunzelnd. „Wir sollten das drinnen besprechen.", sagte Lily leise und nickte Richtung Porträt.

Wenig später saßen sie im Gemeinschaftsraum der Gryffindors und Remus sah Lily und Severus mit erwartungsvoller Miene an. „Also? Was ist passiert?", fragte er und Lily spürte, wie Severus ihr einen unsicheren Blick zuwarf. Sie räusperte sich nervös. „Er hat mich Schlammblut genannt.", sagte sie und Remus Gesichtsausdruck wurde starr, bevor er den Mund öffnete um etwas zu sagen, ihn dann aber wieder schloss, weil er nichts zu antworten wusste. Keiner sagte etwas, bis Remus sich irgendwann wieder gefangen hatte und nachhakte. „Wieso? Ich meine wie... also warum.", stotterte er sichtlich verwirrt und Lily fuhr sich kurz mit den Händen durch das Gesicht, bevor sie antwortete, während Severus immer noch regungslos neben ihr saß. „Sev und ich waren im Gemeinschaftsraum der Slytherins und... Naja sagen wir, Regulus hat uns zusammen auf dem Sofa erwischt wie wir...", begann sie ihre Erklärung, aber Remus hob abwehrend die Hände und schüttelte unwillig den Kopf. „Erwischt? Oh bei Merlin, Lily. Ich brauche keine weiteren Einzelheiten." Lily schnaufte verärgert, sprach dann aber unbeirrt weiter, während Severus immer noch eisern schwieg. Sie war sich nicht sicher, ob ihm das Geschehene einfach nur schrecklich peinlich war, oder ob er sich so sehr über Regulus Verhalten ärgerte, dass er sich wirklich zusammen reißen musste nichts unüberlegtes zu tun. Sie erzählte Remus schnell was in Regulus Schlafsaal geschehen war und wartete auf eine Reaktion, nachdem sie geendet hatte. Remus verzog ungläubig das Gesicht. „Er gibt dir die Schuld, dass James und Sophie rumgeknutscht haben?", fragte er und schüttelte fassungslos den Kopf. „Du weißt, dass das verrückt ist, oder?", fragte er und Lily seufzte. Die Trauer und die Wut in ihr hatten sich ein wenig beruhigt und sie schüttelte resigniert den Kopf. „Ja. Aber irgendwie ist er schon seit den Sommerferien merkwürdig drauf.", überlegte sie laut und sah zu Severus, der gedankenverloren auf eine Stelle auf dem dunkelrot gemusterten Perserteppich vor ihnen starrte. Dann sah er auf und blickte Lily geradewegs an. „Was meinst du mit merkwürdig?", fragte er und musterte sie. „Ist dir nicht aufgefallen, dass er viel ruhiger geworden ist? Oder dass er diese plötzlichen Stimmungsschwankungen hat?", fragte sie und Severus schüttelte nachdenklich den Kopf. Er schwieg und blickte wieder gedankenverloren auf den Teppich, als könnte dieser ihm die Antworten liefern. Lily fragte sich, was wohl in ihm vor ging, als er doch noch antwortete. „Du hast Recht."

Severus Gedanken überschlugen sich. Lily hatte tatsächlich Recht. Er selbst hatte sich bereits über Blacks Verhalten gewundert. Zum Beispiel an dem Abend, als Black ihm das Buch gezeigt hatte, das nur Mitglieder seiner Familie lesen konnten und dabei sogar richtig freundlich zu ihm gewesen war. Dann fiel ihm wiederum unwillkürlich die Szene in seinem Schlafsaal vor einigen Tagen ein, und er erinnerte sich daran, dass ihm trotz seiner Trauer, Blacks Verhalten befremdlich vorgekommen war. Erst die unterkühlte, herablassende Art, die sich plötzlich in Selbstmitleid und Frust verwandelt hatte. Wenn er ehrlich war, konnte er Blacks Verzweiflung sogar nachvollziehen und verstand, weshalb er immer wieder mit sich selbst und der gesamten Welt zu hadern schien. Er selbst hatte sich lange Zeit so gefühlt. Trotzdem, oder gerade deswegen, beschloss er, Black die nächste Zeit im Auge zu behalten. Als er sich von seinen Gedanken an Black losriss, bemerkte er, dass Lily und Lupin bereits das Thema gewechselt hatten und der restliche Abend verlief zu seiner Erleichterung in angenehmer Ruhe. Er hatte sich sogar richtig wohl gefühlt, als er mit Lily und Lupin den Weihnachtsabend im Gryffindor-Gemeinschaftsraum verbracht hatte. Sie hatten geredet, dabei Butterbier getrunken und wirklich angeregt über einige Schulthemen diskutiert, und Severus musste zugeben, dass er für einige Stunden einfach glücklich gewesen war. Es war ein schönes Gefühl so unbeschwert mit anderen Menschen zusammen zu sein, ohne zu überlegen was man sagte oder tat, und sich insgeheim ständig zu fragen, ob man gemocht wurde. Lily und selbst Lupin schienen ihn zu akzeptieren wie er war und er entspannte sich nach einer Weile merklich in ihrer Gegenwart.

Nur während des Abendessens herrschte eine leicht angespannte Stimmung, weil keiner von ihnen wusste, wie das erste Zusammentreffen nach dem Vorfall mit Black verlaufen würde. Aber dieser war nicht zum Abendessen erschienen, weshalb sie das Weihnachtsessen sogar ein wenig genießen konnten. Die erste Begegnung mit Black, fand erst am nächsten Morgen beim Frühstück statt, wo er völlig übernächtigt aufgetaucht war. Er hatte sie alle die gesamte Zeit schweigend ignoriert, was sich auch die nächsten Tage nicht änderte und worüber sie sogar froh waren und weshalb sie auch nicht mehr über ihn nachdachten. Sie waren ohnehin zu sehr damit beschäftigt einige Zaubertränke auszuprobieren und für seine Eignungsprüfung im St. Mungos zu lernen. Er war Lily unendlich dankbar für ihren unermüdlichen Einsatz und den Rückhalt den sie ihm gab. Er freute sich auf die Stunden, die er alleine mit ihr verbringen konnte und das Lernen fiel ihm noch leichter als sonst. Es gab jetzt ein Ziel für ihn im Leben, das er unbedingt erreichen wollte. Er wollte Lily ein Leben bieten, das sie verdiente und dafür war er bereit, alles zu tun.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt