Kapitel 149 - Die Nacht im Krankenflügel

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Schweißgebadet wachte Lily auf und wurde panisch, als sie bemerkte, dass sie nicht in ihrem eigenen Bett im Schlafsaal lag. Sie riss sich die Decke von ihrem Körper, um besser atmen zu können, als ihr einfiel, dass sie im Krankenflügel war. Es war alles in Ordnung, versuchte sie sich zu beruhigen und setzte sich immer noch schwer atmend in ihrem Bett auf. Sie hörte ihren Herzschlag laut in ihren Ohren dröhnen, wie eine tickende Zeitbombe, die nur darauf wartete im richtigen Moment zu detonieren. Sie musste aufstehen und sich bewegen, bevor sie noch durchdrehte, dachte sie und schwang vorsichtig ihre Beine aus dem Bett. In dem Moment, in dem ihre nackten Füße den kalten Steinboden berührten, schloss sie kurz ihre Augen und hielt inne. Die Kälte holte sie augenblicklich in das Hier und Jetzt zurück und sie spürte, wie ihr Herzschlag sich langsam wieder beruhigte. Wie lange würden sie diese Alpträume quälen? Wie oft würden diese sie mit sich reißen, an diesen grauenvollen und düsteren Ort, an dem sie sich gerade befand? Sie erschauderte, umschlang ihren Oberkörper mit ihren Armen und rieb sich gedankenverloren mit den Händen über die Oberarme, in der Hoffnung sich damit ein wenig wärmen zu können. Jedoch half es nicht gegen die Innere Kälte, die ihren ganzen Körper erzittern ließ. Ihr Blick schweifte in dem extra für sie abgetrennten Bereich des Krankenflügels umher, bis er an etwas hängen blieb, das sie vor Entsetzen aufkeuchen ließ. Es war Severus, der unweit von ihrem Bett eingerollt in seinem Umhang auf dem Boden lag und schlief. Sie stand auf, ging leise zu ihm hinüber und kniete sich neben ihn, bevor sie ihm sanft mit ihren Fingerspitzen über die Wange strich. „Sev.", flüsterte sie und ein Gefühl von Liebe breitete sich in ihr aus, als er verschlafen zu ihr aufblickte. „Lil. Es tut mir Leid.", murmelte er und richtete sich auf. „Ich weiß, dass du mich vermutlich nicht sehen willst, aber ich..." Er verstummte, ließ mutlos den Kopf sinken und zupfte verlegen an dem zerschlissenen Umhang, den er gerade noch als Decke benutzt hatte. Lily setzte sich vorsichtig zu ihm auf den Boden und zog die Beine an ihren Körper. „Ich dachte..." Sie hielt inne, schluckte hart und schüttelte leicht den Kopf. „Nun, ich dachte, dass du mich vielleicht nicht mehr sehen willst.", sprach sie ihre größte Angst aus und blickte in Severus blasses Gesicht und in seine schwarzen Augen, die ihr bestürzt entgegen sahen.

„Wieso sagst du das?", fragte er mit bemüht ruhiger Stimme und musterte sie eindringlich, bevor sie sich schließlich zu einer Antwort durchringen konnte. „Ich dachte, dass du denkst... also, dass du glaubst.." Sie brach ab und blickte beschämt auf ihre Knie. „Lily.", begann er leise und rieb sich mit den Händen durch das Gesicht, bevor er sich auf die Knie aufsetzte, um ihr direkt ins Gesicht sehen zu können. „Natürlich glaube ich dir!", sagte er mit deutlichem Nachdruck in der Stimme, während sein Herz immer schwerer wurde. Wie konnte Lily sowas nur glauben? „Aber du ekelst dich doch jetzt sicherlich vor mir.", platzte es plötzlich aus ihr heraus und er bemerkte, wie eine dicke Träne ihre Wange hinab lief. Der Morgen brach bereits an und tauchte den Krankenflügel langsam in ein gräulich blaues Licht, in dem Lilys weiße Haut besonders deutlich hervor stach und ihr Gesicht erschreckend geisterhaft aussehen ließ. „Wie kannst du so etwas denken?", fragte er zwar sanft, aber ohne die Bestürzung in seiner Stimme unterdrücken zu können. Lily zuckte die Schultern und eine weitere Träne bahnte sich ihren Weg über die blasse Haut ihrer Wange, bevor sie am Kinn ins Stocken geriet, als würde sie zögern, weil sie nicht preisgeben wollte wie leicht sie zerplatzen konnte. Langsam streckte Severus seine Rechte Hand nach der Träne aus, aber Lily zuckte erschrocken zurück. Ihre Reaktion verletzte ihn, aber er rührte sich nicht. Er hielt seine Hand immer noch ausgestreckt in der Luft und überlegte gerade, sie wieder sinken zu lassen, als Lily wie in Zeitlupe ihre eigene Hand hob, die seine ergriff und sie vorsichtig an ihre Wange legte. Einen Moment verharrten sie so, bis Lily sich noch enger an sie schmiegte und ihre Augen schloss. Severus lächelte traurig und beobachtete ihr müdes Gesicht, auf dessen Stirn sich nachdenkliche Fältchen gebildet hatten. Er spürte ihren Schmerz, als wäre es sein eigener und es zerriss ihn innerlich, dass er sie nicht hatte beschützen können. Eine Weile saßen sie einfach so da, bis Lily ihre Augen wieder öffnete und ein wenig näher an ihn heranrückte. „Kannst du mich umarmen?", fragte sie zögerlich und Severus wusste einen Moment nicht, wie er reagieren sollte. „Wenn du das wirklich möchtest?", antwortete er vorsichtig, weil er Lilys Unbehagen bemerkte und nichts tun wollte, bei dem sie sich nicht wohl fühlte. Aber Lily nickte bloß stumm und lehnte sich an ihn, woraufhin er sanft seine Arme um sie schloss.

Lily lehnte ihren Kopf an Severus Brust und lauschte seinem gleichmäßigen Herzschlag, der sie auf eine tröstliche Weise beruhigte, weil er den Takt ihres eigenen wieder herzustellen schien. Sie sog seinen vertrauten Geruch ein und spürte, wie ein kleiner Teil ihrer Angst aus ihrem Herzen verschwand. Weil sie sich ihr gestellt hatte. Der Angst wieder von jemandem berührt zu werden, oder der, von Severus abgelehnt zu werden. Es tat gut, wenigstens dieses kleine bisschen Kontrolle über ihren Körper zurück zu erlangen. Eigentlich hatte sich alles in ihr gegen diese Nähe gewehrt, aber sie hatte sich trotzdem in Severus Umarmung ziehen lassen und war jetzt unglaublich froh darüber. Sie spürte seine Wärme an ihrem Körper, die ihre innere Kälte langsam vertrieb und es keimte ein zartes Pflänzchen der Hoffnung in ihr auf. Der Hoffnung, das Geschehene irgendwann so tief in sich vergraben zu können, dass es keine Rolle mehr in ihrem Leben spielte. Plötzlich begann sie zu zittern, weil die Erinnerungen so unbarmherzig über ihr hereinbrachen, als wollten sie ihre Hoffnung direkt wieder in ihrem Keim ersticken. Severus spürte ihr Beben und zog sie noch fester an sich heran, bevor sie leise zu weinen begann. Eine Welle von Gefühlen schlug über ihr ein, riss sie von den Beinen und überrollte sie mit ihrer dunklen Flut an Gedanken. Wie eine Ertrinkende klammerte sie sich an Severus, der sie sanft in seinen Armen wiegte, bis sie sich wieder beruhigt hatte. „Er wird dir nichts mehr tun. Er ist weg.", flüsterte Severus in ihr Ohr, wobei seine Stimme seltsam erstickt klang. Lily hatte keine Kraft um zu antworten und nickte bloß stumm, während Severus ihr vorsichtig eine tränennasse Strähne aus dem Gesicht strich. „Musst du gehen?", fragte Lily nach einer Weile und löste sich etwas aus seiner Umarmung, um ihm ins Gesicht sehen zu können.

Severus überlegte einen Moment. Dieses Mal hatte er Madam Pomfrey nicht dazu überreden können, ihn nachts an Lilys Bett sitzen zu lassen. Deshalb hatte er sich zu einem späteren Zeitpunkt, als Madam Pomfrey selbst zu Bett gegangen war, in den Krankenflügel zurück schleichen müssen. Wenn sie ihn also nachher hier erwischte, würde sie es Slughorn melden müssen, der ihn bis zum Ende des Schuljahres zum Nachsitzen verdonnern würde. „Nein.", antwortete er sanft. „Ich bleibe bei dir, so lange du möchtest." Lily lächelte zaghaft, lehnte sich wieder an ihn und seufzte leise, als er seine Arme wieder schützend um sie legte. Auch in ihm tobte ein Sturm von Gefühlen, die er jedoch zu verdrängen versuchte. Es war weder der richtige Ort, noch der richtige Zeitpunkt für seine eigenen Empfindungen. Lily brauchte ihn, und nur das war in diesem Moment wichtig. Sein Hass konnte warten. Er konnte sehr geduldig sein, wenn er wollte. Und er war sich sicher, dass es noch eine Gelegenheit geben würde, Mulciber diese Grausamkeit heimzuzahlen. Dieser Gedanke entspannte ihn auf eine merkwürdige Weise und er ließ seinen Kopf auf Lilys Haar sinken. Auch er kam in der Umarmung zur Ruhe und versuchte gar nicht erst gegen seine aufkommende Müdigkeit anzukämpfen.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt