Kapitel 106 - Die Bürden die man trägt

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Wie in Trance saß Severus an diesem Abend in einem Sessel im Gemeinschaftsraum der Slytherins starrte in den See hinein, während er darüber nachdachte, ob Lily ihn wirklich gefragt hatte, ob er Weihnachten mit ihr verbringen wolle. Oder hatte er das alles geträumt? Sein Kopf konnte die ganzen Geschehnisse des heutigen Tages einfach nicht verarbeiten. Erst die Prophezeiung von dieser verschrobenen Hexe die sich für eine Wahrsagerin hielt, dann die Begegnung mit Voldemort und danach der unerwartete Spaziergang mit Lily zurück zum Schloss. Es wirbelten alle möglichen Erinnerungsfetzen wild in seinem Kopf umher und ließen ihn nicht zur Ruhe kommen. Das war zu viel für einen Tag und einen einzigen Menschen, dachte er erschöpft und rieb sich müde die Augen. Am meisten beschäftigte ihn diese Prophezeiung, und drängte sich immer wieder in den Vordergrund, weil sie in ihm die zwiespältigsten Gefühle auslöste. Er hielt die Wahrsagerei eigentlich für ausgemachten Unfug und alle Seher grundsätzlich für Hochstapler, aber in diesem Fall war er sich fast sicher, dass es sich um eine echte Vorhersage handelte. Oder war es nur der Wunschgedanke der aus ihm Sprach? Die leise Hoffnung, dass alles gut werden würde, weil jemand den dunklen Lord besiegen würde? Zumindest Voldemort selbst nahm die Prophezeiung ernst, und sollte das nicht etwas heißen? Das schlechte Gewissen von vorhin überfiel ihn wieder und er biss sich unwillkürlich auf die Unterlippe. Hatte er jemanden in Lebensgefahr gebracht, weil Voldemort jetzt eine potentielle Bedrohung in demjenigen sah? Vielleicht sogar ein Kind? NEIN, dachte er energisch. Es war jemand der imstande war den dunklen Lord zu vernichten. Demzufolge musste es ein mächtiger Zauberer sein, der dem Ganzen gewachsen sein würde, wenn es soweit war. Das einzige was er sich vorwerfen konnte war die Tatsache, dass er Voldemort die Prophezeiung überhaupt erst überbracht hatte. Er hätte sie einfach für sich behalten können, hätte Voldemort nur kurz Bericht über Slughorn erstatten und dann gehen können. Aber er war so von seinen Gefühlen überwältigt gewesen, die so voller verheißungsvoller Freude über eine neu aufgekeimte Hoffnung gewesen waren, dass er nicht darüber nachgedacht hatte, was sein Handeln für Folgen nach sich ziehen würde. Natürlich war auch der Feuerwhiskey nicht ganz unschuldig an seinem fehlenden Urteilsvermögen in diesem entscheidenden Moment gewesen. Damit musste er leben. Aber für die Erfüllung der Vorhersage würde es wohl keine Rolle spielen, ob der dunkle Lord von ihr wusste oder nicht. Diese Überlegung beruhigte ihn schließlich etwas und seine Gedanken schweiften wieder zu Lily. Augenblicklich versank er in der glücklichen Vorstellung, Weihnachten mit ihr in Hogwarts zu verbringen und alles schien plötzlich in einem helleren Licht zu erstrahlen, das die düsteren Gedanken für eine Weile in den Hintergrund drängte.

Lily blickte zu Remus, der mit angestrengten Gesicht über eine Rolle Pergament brütete und seinen Kopf erschöpft mit seiner Hand abstützte. Sie saßen gemeinsam in der Bibliothek und arbeiteten an ihren Aufsätzen für Zaubertränke, die bis Montag bei Slughorn sein mussten. „Bist du schon weiter gekommen?" Fragte Lily verzweifelt, aber Remus schüttelte bloß seufzend den Kopf, bevor er sich in seinem Stuhl zurück lehnte und herzhaft gähnte. Lily stöhnte leise und legte den Kopf zwischen ihre Armen auf die Tischplatte. „Zum Glück haben wir noch die ganze Nacht und den morgigen Tag Zeit." Antwortete Remus sarkastisch und Lily stöhnte erneut. „Vielleicht könntest du deinen Snape fragen, ob er schon fertig ist und uns seine Ausführungen über den Euphorie-Trank zur Verfügung stellen könnte." Schlug Remus vor und Lily lugte verwirrt unter ihrem Arm hervor und sah geradewegs in sein grinsendes Gesicht. „Soll das komisch sein?" Fragte sie, aber Remus lachte nur leise. „Nein. Aber es sah die letzten Tage schon danach aus, als würdet ihr euch wieder besser verstehen." Lily rappelte sich auf und blickte Remus nachdenklich an. „Ja, schon. Etwas zumindest." Erklärte sie und klappte ihr Buch zusammen. „Mhm, muss ich jetzt Angst um mein Date für den Weihnachtsball haben?" Fragte er schmunzelnd und musterte Lily, die den Kopf schief legte und ihn sanft anlächelte. „Niemals." Antwortete sie und sie mussten beide grinsen. „Gut." Sagte Remus und schlug ebenfalls sein Buch zu. „Aber im Ernst. Vielleicht solltest du Snape wirklich nach seinem Aufsatz fragen. Dir gibt er ihn mit Sicherheit." Lily runzelte die Stirn. „Mal sehen." Antwortete sie ausweichend und sie schwiegen einen Moment. „Ich werde erst einmal Slughorn fragen, ob er uns ein wenig behilflich sein kann." Sagte Lily schließlich. „Auch der wird dir mit Sicherheit diesen Gefallen tun." Kicherte Remus amüsiert, während Lily in Gedanken versunken auf das Regal hinter ihm sah. „Sag mal Remus, findest du nicht auch, dass Slughorn sich seit diesem Schuljahr ein wenig merkwürdig verhält?" Fragte sie plötzlich und Remus blickte sie überrascht an. „Mhm, nun, er ist ein wenig stiller als sonst würde ich sagen. Vielleicht auch ein bisschen blasser um die Nase." Sagte er nachdenklich. „War er nicht krank oder so?" Lily nickte abwesend. „Ja. Vermutlich ist es das." Sagte sie und dachte einen Moment über Slughorn nach, bevor Remus ihre Überlegungen unterbrach. „Aber nochmal zu Snape." Begann er und Lily zog die Augenbrauen hoch. „Wie kommt der plötzliche Wandel?" Fragte er und musterte sie neugierig, ohne die Spur von Sarkasmus, wie sie erleichtert feststellte. „Um ehrlich zu sein weiß ich es nicht. Beim letzten Slugclub Treffen war er auf einmal wie ausgewechselt. Er hat sich einfach neben mich gesetzt und sogar mit mir gesprochen." Erzählte sie und zuckte die Schultern. „Als würde er meine Nähe ganz bewusst suchen." Fügte sie hinzu und Remus dachte kurz darüber nach, bevor er antwortete. „Ich schätze die Eifersucht treibt ihn jetzt doch noch an." Lily sah fragend zu ihm herüber, was Remus aus irgendeinem Grund zum grinsen brachte. „Eifersüchtig? Auf was?" Fragte sie irritiert, woraufhin Remus sie amüsiert anfunkelte. „Auf wen wäre die richtige Frage. Und die Antwort lautet James." Wieder zog Lily ihre Stirn kraus. „Wieso sollte er?" Fragte sie und Remus verdrehte genervt die Augen. „Lily Evans. Die klügste Hexe die ich kenne und gleichzeitig so naiv wenn es um die Liebe geht." Seufzte er, aber Lily wehrte ab. „Oh ich glaube nicht, dass es hier um sowas wie Liebe geht. Zumindest nicht bei Severus." – „Um was sonst?" Fragte Remus erstaunt und Lily hielt kurz inne, um über seine Frage nachzudenken. Verlegen um eine Antwort blies sie sich eine Strähne aus dem Gesicht, die sich aus ihrem locker gebundenen Haarknoten gelöst hatte. „Ich schätze, dass er einfach unsere Freundschaft vermisst. Außer mir hat er kaum jemanden." Antwortete sie schließlich und sah unsicher in Remus Gesicht, in dessen Ausdruck sie so etwas wie Mitgefühl, aber auch eine Spur von Ungeduld lesen konnte. Jedoch sagte er nichts weiter dazu und Lily begann ihre Sachen in ihre Tasche zu stopfen. „Ich glaube wir sollten für heute Schluss machen. Es ist schon spät." Sagte sie und stand auf. Die Bibliothek war bereits menschenleer und selbst aus dem Nebenraum in dem sie saßen und der oft für Gruppenarbeiten genutzt wurde, waren die letzten Schüler schon vor über einer Stunde verschwunden. Remus sah sich um und zögerte kurz. „Ich sollte den Aufsatz eigentlich schon bis morgen Nachmittag fertig bekommen." Sagte er und warf einen besorgten Blick aus dem Fenster, durch das bereits der helle Schein des fast vollen Mondes zu sehen war. „Ich denke du darfst deine Aufsätze an solchen Tagen später abgeben?" Fragte sie, und Remus schaute sie mit zerknirschtem Gesichtsausdruck an. „Mhm, ja, schon. Aber ich mag es nicht wenn alle denken, dass ich krank spiele damit ich meine Hausaufgaben später abgeben kann." Sagte er verlegen und Lily lächelte verständnisvoll. „Das weiß ich doch. Entschuldige bitte. Ich frage Professor Slughorn direkt morgen Früh, ob er uns helfen kann. Dann schaffen wir es bestimmt den Aufsatz bis zum Nachmittag fertig zu haben und du kannst jetzt auch Feierabend machen." Sagte sie sanft und Remus lächelte erleichtert. „Danke." Sagte er. „Dafür geht aber das nächste Butterbier in Hogsmeade auf dich." Erwiderte Lily verschmitzt und Remus lachte. Diesmal klang es unbeschwert und vergnügt, und Lily freute sich, dass sie ihm helfen konnte. Eigentlich erwartete sie keine Gegenleistung für ihre Hilfe, aber sie wusste, dass Remus sich so weniger schlecht dabei fühlte, wenn er sie schon um einen Gefallen bitten musste. Und natürlich wusste auch Remus, dass er Lily nichts schuldete. Aber er war unendlich dankbar dafür, dass sie so viel Rücksicht auf seine Gefühle nahm und schätzte diese Geste mehr, als sie sich jemals vorstellen können würde.

Lily und Severus - Der Kampf zwischen Schatten und LichtWo Geschichten leben. Entdecke jetzt